Subunternehmer in der Fleischindustrie Ein Ende der Werkverträge zerstört das Geschäft dieser Männer

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Bei Krankheit zehn Euro Miete mehr

Der Druck der Auftraggeber wie Tönnies auf ihre Subunternehmer ist groß. In der Fleischverarbeitung muss alles schnell gehen, jeder Griff und jeder Schnitt muss sitzen. Schaffen die Arbeiter nicht die vereinbarten Mengen, ist etwas falsch verpackt oder gibt es gar Hygieneverstöße, können die Auftraggeber Strafgebühren bei den Subunternehmern verlangen.

Umgerechnet nur etwa 18 bis 19 Euro die Stunde zahlen Tönnies und Co den Subunternehmern für die Arbeit der meist ungelernten Kräfte, heißt es in der Branche. Davon müssen die Subunternehmer nicht nur den Mindestlohn, sondern auch Steuern und Sozialabgaben zahlen. Hinzu kommen die Kosten für Anwerbung der Arbeitskräfte oder die Verwaltung. Viel übrig bleibt in der Regel nicht. Wer zu teuer ist, kann Aufträge verlieren.

Deshalb nutzen die Subunternehmer auch ihre Angestellten, um Geld zu verdienen: So besitzen MGM oder Besselmann gleich mehrere Immobilienfirmen, über die sie Wohnungen an Mitarbeiter vermieten. Auch den Transport zum Werk und zurück lassen sie sich oft bezahlen, Besselmann etwa verlangt dafür 100 Euro pro Monat von seinen Angestellten.

Als besonders trickreich gilt DSI. Der Name steht für Datenservice International. Den Ursprung hat das Unternehmen in der Lohnabrechnung. Statt Gehaltsabrechnungen verarbeitet DSI heute eher Werkarbeiter. Das Unternehmen gehört den Unternehmern Markus Sander und Christian Doits, beide stammen aus Polen, rekrutieren dort einen Großteil ihrer Beschäftigten.

Die können dann in Werkswohnungen von DSI leben. Allerdings berechnet DSI nicht nur Miete, sondern zieht auch noch zum Teil zu hohe GEZ-Gebühr vom Lohn ab. Das belegen Gehaltsabrechnungen, die der WirtschaftsWoche vorliegen. Zwar liegt die Rundfunkgebühr in Deutschland aktuell nur bei 17,50 Euro pro Haushalt. DSI aber berechnet jedem Mieter fünf Euro pro Monat – unabhängig davon, wie viele Menschen in der Haushalt leben. Bei zwölf Arbeitern würde sich DSI so einen Gewinn von über 40 Euro im Monat je Wohnung erwirtschaften. DSI äußerte sich dazu auf Anfrage der WirtschaftsWoche nicht.

Das Unternehmen lässt die Arbeiter auch dafür zahlen, wenn sie ihre Wohnung mehr als erwartet nutzen. So steht in einem Vertrag: „Im Falle eines unentschuldigten Fernbleibens von der Arbeit wird dem Arbeitnehmer eine Nutzungspauschale in Höhe von € 10,00 pro Tag für die Nutzung der Werkswohnung berechnet.“ Auch wer länger als zwei Tage krankgeschrieben ist, bekommt pro Tag in der Wohnung zehn Euro mehr von seinem Gehalt abgezogen. Auch dazu reagierte DSI auf Anfrage der WirtschaftsWoche nicht. Damit bleibt unklar, ob das Unternehmen eine solche Pauschale auch für seine Mitarbeiter geltend machen könnte, die nun in Quarantäne sind.

Späte Großzügigkeit

Die Konkurrenten bemühen sich in der Krise um mehr Aufklärung. Die Firma Besselmann etwa erklärt, ihre Mitarbeiter seien „von 5.00 Uhr morgens bis nachts“ im Einsatz, um ihre 1113 Kollegen in Quarantäne zu versorgen. Und MGM will seinen Mitarbeitern sogar eine Prämie für die Zeit zahlen, als Ausgleich für entgangene Zulagen.

Die Großzügigkeit kommt spät. Bereits Ende des Monats könnte die Regierung einen Gesetzesentwurf vorlegen, der das Ende der Werkverträge in der Fleischindustrie ab 2021 besiegelt. Tönnies selbst will noch schneller sein. Schon ab September sollen 1000 Werkvertragsarbeitern einen Arbeitsvertrag direkt in Rheda-Wiedenbrück erhalten, verkündete Deutschlands größter Fleischkonzern jüngst. Bis Jahresende sei das Ziel, alle „Mitarbeiter der Kernbereiche direkt beim Unternehmen einzustellen“, also sämtliches Werkvertragspersonal in Schlachtung, Zerlegung und Verpackung. Das verschärft die Lage für sie Subunternehmer noch einmal frühzeitiger.

Sigmar Gabriel hat im Laufe seiner Politkarriere fast alles erreicht. Nun rückt sein Tönnies-Engagement ins Licht. Gabriel baut sich ein zweites Leben in der Wirtschaft auf – und ist nicht gewillt, sich zu entschuldigen.
von Max Haerder, Cornelius Welp

Für die Subunternehmer sind das keine guten Nachrichten. Besselmann Services hat immerhin noch eine relativ breite Kundschaft. „Sicher ist die Fleischindustrie eine wichtige Branche für uns“, sagt Ralf Kerkhoff, Geschäftsführer des Unternehmens. „Aber sie ist eben auch nur eines unserer Standbeine.“ In dem Gesetzesvorhaben sieht er daher einen Schritt nach vorne, vielleicht sogar einen Schritt „gegen die Wettbewerbsverzerrung durch unseriöse Anbieter“, sagt er.

Der Konkurrent MGM sieht dem weniger entspannt entgegen. „Natürlich ist es ein Problem, wenn MGM in diesen Bereichen nicht mehr tätig sein könnte“, sagt Anwalt Thomas Kuhn, der das Unternehmen vertritt. Wie die Unternehmensgruppe darauf reagiert, sei noch nicht endgültig entschieden, sagt Kuhn. „Die Planungen dazu laufen noch.“

Immerhin: Kuhns Klient Dumitru Miculescu hat in seiner Heimat noch genügend andere Geschäfte. Nur in seinem Fernsehsender laufen dann vielleicht weniger Werbespots für die Arbeit in deutschen Schlachtbetrieben.

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