
Wie stolz Bundeskartellamtspräsident Andreas Mundt auf seine Behörde und wie sicher er sich seiner Sache ist, offenbarte er kurz nach der Verhängung der drakonischen Bestrafung des Wurstkartells im Juli 2014: „Wir haben fünf Jahre ermittelt, sehr akribisch, nicht anders als eine Staatsanwaltschaft.
Es hat Durchsuchungen gegeben, Zeugen mit eindeutigen, belastbaren, detaillierten, glaubhaften Einlassungen. Es hat Notizen, E-Mails gegeben“, referierte der Kartelljäger: „Elf Unternehmen haben mit uns kooperiert und letzten Endes die Tat eingeräumt. Das alles fügt sich ineinander und erzeugt für uns ein klares Bild.“
Mundt auf der Höhe seiner Macht: Die Bußgeldsumme gegen 21 Wursthersteller sowie 33 Manager und Eigentümer der Unternehmen war mit 338 Millionen Euro fast so hoch wie die ebenfalls 2014 verkündete Strafe gegen das Bierkartell.

Desaster für das Kartellamt
Ein halbes Jahr später wird der Triumph zum Desaster. Der WirtschaftsWoche liegen Unterlagen vor, aus denen sich ergibt, dass Mundt vermutlich mehr als ein Drittel des Wurstbußgeldes in den Wind schreiben muss. Schuld sind zwei kurze Briefe, die im Januar bei der Bonner Behörde eingingen und zwei der je 300 Seiten starken Bußgeldbescheide zu Makulatur machen.
Die Kartellanwälte der Wursthersteller Böklunder und Könecke teilen in wenigen Zeilen mit, dass die beiden Unternehmen nicht mehr existieren und im Handelsregister gelöscht wurden. Folge: Mundt kann rund 70 Millionen Euro bei Böklunder und rund 50 Millionen Euro bei Könecke nicht mehr eintreiben. Ob es Rechtsnachfolger gibt, die zahlen müssen, ist nach Aktenlage äußerst fraglich.
Die größten Kartelle
Branche: Kautschuk
Kartellmitglieder: ENI, Bayer, Shell, Dow, Unipetrol, Trade-Stromil
Verhängte Geldbuße: 519 Millionen €
Jahr: 2006
Branche: Erdgas
Kartellmitglieder: E.On, GdF
Verhängte Geldbuße: 640 Millionen €
Jahr: 2009
Branche: Gasisolierte Schaltanlagen
Kartellmitglieder: Siemens, ABB, Alstom, Areva, Fuji, Hitachi, Mitsubishi, Toshiba
Verhängte Geldbuße: 751 Millionen €
Jahr: 2007
Branche: Vitamin
Kartellmitglieder: Hoffmann-La Roche, BASF, Aventis, Solvay, Merck, Daiichi, Eisai, Takeda
Verhängte Geldbuße: 791 Millionen €
Jahr: 2001
Branche: Luftfracht
Kartellmitglieder: Air France, British Airways
Verhängte Geldbuße: 799 Millionen €
Jahr: 2010
Branche: Kugellager
Kartellmitglieder: SKF, Schaeffler, JTEKT, NSK, NFC, NTN
Verhängte Geldbuße: 953 Millionen €
Jahr: 2014
Branche: Aufzüge und Rolltreppen
Kartellmitglieder: ThyssenKrupp, Otis, KONE, Schindler
Verhängte Geldbuße: 992 Millionen €
Jahr: 2007
Branche: Autoglas
Kartellmitglieder: Saint-Gobain, Asahi, Pilkington, Soliver
Verhängte Geldbuße: 1384 Millionen €
Jahr: 2008
Branche: Fernsehröhren und Monitore
Kartellmitglieder: Philips, LG Electronics, Samsung, Panasonic, Toshiba, Technicolor Verhängte Geldbuße: 1471 Millionen €
Jahr: 2012
Branche: Manipulation Derivate Euribor/ Libor/Yen
Kartellmitglieder: Deutsche Bank, Royal Bank of Scotland, Citigroup, Société Générale, JP Morgan, RP Martin
Verhängte Geldbuße: 1710 Millionen €
Jahr: 2013
Grund ist eine tief greifende Umstrukturierung beim größten deutschen Wurstkonzern Zur Mühlen, der dem Fleischtycoon und Schalke-04-Boss Clemens Tönnies privat gehört. Die soll vordergründig Synergieeffekte in der verschachtelten Unternehmensgruppe heben, zu der auch Böklunder und Könecke gehören. Alle Beteiligten machen jedoch keinen Hehl daraus, dass es nicht nur um die Schaffung eines schlagkräftigeren Konzerns geht.
„Aufgrund einer Umstrukturierung kann eine Kartellbuße entfallen beziehungsweise können die Verteidigungsmöglichkeiten von Unternehmen erweitert werden“, sagt Matthias Blaum von der Düsseldorfer Kanzlei Hengeler Mueller, dessen Juristenteam die neue Struktur der Zur-Mühlen-Gruppe ersonnen hat.
Gelingt der Tönnies-Trick, wäre das für Mundt die größte Schlappe seiner siebenjährigen Amtszeit. Die Masche könnte zur Blaupause werden für andere Kartellsünder.