




Das neue Hepatitis-Präparat wirkt Wunder. Die Patienten mit der gefährlichen Entzündung werden gesund, die Gefahr, an Leberzirrhose und Krebs zu erkranken, ist gebannt. Kosten der Behandlung mit dem Präparat Harvoni des US-Pharmakonzerns Gilead: 65.000 Euro, macht über 700 Euro pro Pille.
Einige Monate länger lebt, wer an Lungen-, Brust- oder Blutkrebs erkrankt ist und eines der neuen Mittel einnimmt, Vargatef von Boehringer Ingelheim, Kadcyla von Roche oder Imbruvica von Johnson & Johnson. Kosten: 20.000 bis 50.000 Euro.
Glück im Unglück hat auch, wer unter der seltenen Fettstoffwechsel-Krankheit LPLD leidet. Dagegen hilft das Medikament Glybera, das die holländische Biotechfirma Uniqure auf den Markt brachte. 1,1 Millionen Euro kostet die Therapie – damit ist Glybera die teuerste Medizin der Welt.
Ob Glybera, Imbruvica, Harvoni – so sehr die drei Präparate den Patienten auch helfen mögen, die Sensationsmeldungen über ihre Heilungserfolge sind nur die eine, die strahlende Seite der Medaille. Die andere besitzt weit weniger Glamour. Denn die neuen Wundermittel entfalten zugleich gewaltige finanzielle Nebenwirkungen.
Heimliche Rationierung
Jahrzehntelang galt in Deutschland: Von besseren Medikamenten profitierten Pharmaindustrie und Patienten. Die Hersteller freuen sich, weil sie Erfolg versprechende neue Produkte auf den Markt brachten; die Kranken sind zufrieden, weil ihnen die meisten Mittel bessere Heilungschancen, in vielen Fällen auch ein längeres Leben, versprachen. Viele der neuen Mittel, die in den vergangenen Monaten auf den Markt strömten, aber verschieben diese Vorteile einseitig: Bei Preisen von mehreren Zehntausend Euro aufwärts pro Therapie profitiert vor allem die Pharmaindustrie und nicht mehr so sehr der Patient.
Paradebeispiel hierfür ist das US-Unternehmen Gilead, das mit seinen neuen Hepatitis-C-Medikamenten Harvoni und Sovaldi gerade zum profitabelsten Pharmahersteller der Welt aufgestiegen ist. Sage und schreibe zwölf Milliarden Dollar Einnahmen bescherten die Präparate dem Konzern 2014, das entspricht etwa der Hälfte des Gesamtumsatzes. Dank der horrend teuren Pillen explodierte der Gewinn auf zwölf Milliarden Dollar – eine Marge von knapp 50 Prozent.
So teuer sind manche Medikamente
Kosten: 1.100.000 Euro*
Hersteller: Uniqure
Therapie: Behandlung von Lipoproteinlipase-Defizienz (LPLD),einer sehr seltenen Erbkrankheit, die mit erhöhten Fettwerten im Blut einhergeht
*pro Behandlungszeitraum bzw. Jahrestherapiekosten
Quellen: Unternehmensangaben, Bestandsmarktreport
Kosten: 65.000 Euro*
Hersteller: Gilead
Therapie: Behandlung von Infektionen mit chronischer Hepatitis C
*pro Behandlungszeitraum bzw. Jahrestherapiekosten
Kosten: 19.700 (Kombinationstherapie), 39.500 (Monotherapie)*
Hersteller: Abbvie
Therapie: Behandlung von rheumatoider Arthritis
*pro Behandlungszeitraum bzw. Jahrestherapiekosten
Kosten: 35.000 Euro*
Hersteller: Roche
Therapie: Behandlung von HER2-positivem Brustkrebs
*pro Behandlungszeitraum bzw. Jahrestherapiekosten
Kosten: 60.000 Euro*
Hersteller: Gilead
Therapie: Behandlung von Infektionen mit chronischer Hepatitis C
*pro Behandlungszeitraum bzw. Jahrestherapiekosten
Kosten: 30.000 Euro*
Hersteller: Johnson & Johnson
Therapie: Behandlung von Infektionen mit Hepatitis C
*pro Behandlungszeitraum bzw. Jahrestherapiekosten
Kosten: 20.000 Euro*
Hersteller: Pfizer
Therapie: Behandlung rheumatischer Erkrankungen und der Psoriasis
*pro Behandlungszeitraum bzw. Jahrestherapiekosten
Kosten: 20.000 Euro*
Hersteller: MSD
Therapie: Behandlung von rheumatisch-entzündlichen Erkrankungen sowie chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen
*pro Behandlungszeitraum bzw. Jahrestherapiekosten
Kosten: 17.500 Euro*
Hersteller: UCB
Therapie: Behandlung der entzündlichen Darmerkrankung Morbus Crohn sowie bei rheumatoider Arthritis
*pro Behandlungszeitraum bzw. Jahrestherapiekosten
Kosten: 15.700 Euro*
Hersteller: MSD
Therapie: Behandlung von rheumatoider Arthritis, Psoriasis-Arthritis, Morbus Crohn und weitere
*pro Behandlungszeitraum bzw. Jahrestherapiekosten
Üppige Einstandspreise für Mittel wie Harvoni und Sovaldi dehnen jedoch die ökonomischen Möglichkeiten des Gesundheitssystems bis an seine Grenzen: Krankenkassen drohen von den exorbitanten Preisen der Pillen erschlagen zu werden. Allein wegen der neuen Hepatitis-Mittel von Gilead rechnen sie in den nächsten Jahren mit Kosten von mehreren Milliarden Euro. 2014 gaben die gesetzlichen Kassen 31,4 Milliarden Euro für Arzneimittel aus, neun Prozent mehr als im Vorjahr. Ein wesentlicher Grund dafür waren die hohen Preise der Hersteller.
„Wir kommen in die Phase, in der die Krankenkassen die überproportional steigenden Arzneimittelausgaben auch mit Einsparungen in anderen Bereichen nicht mehr abfedern können“, sagt Matthias Mohrmann, Vorstand bei der AOK Rheinland/Hamburg, „über kurz oder lang wird es bei den gesetzlichen Krankenkassen steigende Zusatzbeiträge geben.“
Gleichzeitig gehen Patienten, die von den neuen Präparaten gehört haben, leer aus. Die heimliche Rationierung geschieht in den Arztpraxen: Etliche Mediziner weigern sich, die teuren Medikamente zu verschreiben – aus Angst, wegen zu hoher Ausgaben von den Kassen in Regress genommen zu werden. Krebsärzte, heißt es, verzichten schon mal darauf, die besseren, wirkungsvollen Präparate zu verordnen. Auch bei den teuren Hepatitis-Präparaten Harvoni und Sovaldi von Gilead halten sich die Ärzte zurück. „Nicht alle Patienten, die Sovaldi oder Harvoni benötigen, bekommen es“, sagt die Ärztin Christiane Fischer, Geschäftsführerin der kritischen Mediziner-Initiative Mezis. „Das heißt, im reichen Deutschland ist der Zugang zu einem Medikament beschränkt.“