Thyssenkrupp, Bayer, Siemens & Co. Wenn Finanzchefs die Macht übernehmen

Thyssenkrupp-CEO Guido Kerkhoff: Nur ein Lückenbüßer? Quelle: REUTERS

Konzernchef Guido Kerkhoff will Thyssenkrupp in eine Holding mit schlanken Sparten umbauen. Der ehemalige Finanzvorstand steuert den traditionsreichen Konzern damit nach der Logik der Börse. Auch in anderen Unternehmen haben ehemalige CFOs die Macht übernommen. Doch so richtig erfolgreich läuft es nur bei Zweien.

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Es ist die zweite Volte innerhalb von wenigen Monaten. Guido Kerkhoff war Interimschef, als er im vergangenen Jahr die Strategie verkündete, den Traditionskonzern in zwei Unternehmen aufteilen zu wollen. Kerkhoff, einst Finanzvorstand des Stahl- und Industriekonzerns, wurde daraufhin mit dem Chefposten befördert.

Vor wenigen Tagen folgte die Kehrtwende. Thyssenkrupp soll nun in eine Holding mit eigenständigen Sparten überführt werden. Einzelne Einheiten könnten dann verkauft oder an die Börse gebracht werden oder Thyssenkrupp findet für sie strategische Partner. „Mit der Strategie stellen wir uns insgesamt schlanker auf und geben den Geschäften Freiräume, sich besser zu entwickeln“, sagt Kerkhoff im Interview mit dem „Handelsblatt“. „Wir tun das, um das Beste für die Geschäfte zu erreichen – das Beste für Mitarbeiter, Kunden und Aktionäre.“

So verständlich die Strategie, so unsicher sind die Aussichten auf Erfolg an der Börse und auf das Geschäft. Ehemalige Finanzchefs steuern ein Unternehmen zwar oft so, wie Investoren es lieben. Doch mitunter ist die Performance der Konzerne danach nur mäßig.

Wo ehemalige Finanzvorstände heute das Sagen haben – und wie sie reüssieren.

Guido Kerkhoff war sieben Jahre lang Finanzvorstand, bevor er bei dem Essener Traditionskonzern im Juli 2018 das Ruder übernahm. Der Niedersachse galt als Lückenbüßer, eigentlich wollte Kerkhoff nie Konzernchef werden. Aber es fand sich kein anderer in der schwierigen Lage bei Thyssenkrupp, nachdem Ex-Chef Heinrich Hiesinger hinschmiss.

Viel Lob erhielt Finanzexperte Kerkhoff zunächst von Investoren: Endlich stünde mit Kerkhoff nach dem Ingenieur Hiesinger wieder ein Kaufmann an der Spitze bei Thyssenkrupp, freute sich etwa Investor Cevian. Um seine Macht zu zementieren, warf Kerkhoff einige Widersacher raus, die sich ihm in den Weg stellten.

Doch von Beginn an war fraglich, wie der neue Frontmann in Essen in dem düsteren operativen Umfeld für die beiden geplanten neuen Thyssenkrupp-Unternehmen eine Bilanz auf die Beine stellen will, die sich an der Börse auszahlt. Ausgerechnet er, der Ex-Finanzchef, lieferte die finanziellen Details nicht. Unbeantwortet ließ er die Frage, wie er die Finanzschulden von knapp vier Milliarden Euro auf die geplanten neuen Unternehmen verteilen wollte. Statt Fakten machte er Andeutungen: Stille Reserven ließen sich aus Tochtergesellschaften in China und in den USA heben, die das Eigenkapital aufpeppen könnten. Ein strategisches Zukunftskonzept, wie es mit den Geschäften Industrieanlagen, Marine, Werkstoffhandel und Auto weitergeht, bleibt Kerkhoff bis heute schuldig.

Die Börse strafte den neuen Mann an der Spitze gnadenlos ab: Die Aktie verlor seit seinem Amtsantritt im Juli 2018 ein Drittel ihres Wertes.

Seit Mai 2016 steht bei Bayer der frühere Finanzvorstand Werner Baumann an der Spitze. Seither ist der Aktienkurs von Bayer um etwa 40 Prozent gefallen. Als Finanzvorstand hatte Baumann bereits an zahlreichen Übernahmen mitgewirkt – mit wechselndem Erfolg. Wie etwa bei der Übernahme der rezeptfreien Arzneimittel vom US-Konzern Merck & Co. unter dem damaligen Vorstandschef Marijn Dekkers: Der vermeintliche Coup hat sich mittlerweile als Misserfolg entpuppt.

Baumann trieb auch die Übernahme von Monsanto voran. Nach nur zehn Tagen als Vorstandschef unterbreitete er den Amerikanern ein Übernahmeangebot – und riss so den Aktienkurs von Bayer in die Tiefe. Den Investoren graut vor den Prozessrisiken um den Pflanzen-Wirkstoff Glyphosat. Zwei Prozesse hat Bayer in erster Instanz verloren, Milliardenforderungen könnten auf Bayer zukommen. Bayer bestreitet, dass Glyphosat Krebs verursachen kann und belegt das mit zahlreichen Studien.

Bayer-CEO Werner Baumann: Bei den Risiken verschätzt? Quelle: AP

Um etwa dreißig Prozent ging der Aktienkurs von Fresenius nach unten, seitdem dort im Sommer 2016 der einstige Finanzvorstand Stephan Sturm auf den Chefposten rückte. Ähnlich wie Baumann brachte auch Sturm reichlich Deal-Erfahrung mit.

Zuletzt hakte es freilich bei dem erfolgsverwöhnten Konzern: Wichtige Geschäfte laufen schlechter, zweimal musste Fresenius seine Gewinnprognose korrigieren, die Übernahme des US-Unternehmens Akorn erwies sich als Flop. Immerhin: Fresenius konnte vor Gericht geltend machen, von Akorn getäuscht worden zu sein – und konnte so die Übernahme rückgängig machen.

Tim Höttges hat am 1. Januar 2014 den Posten des Vorstandsvorsitzenden bei der Deutschen Telekom übernommen. Der „bekennende Netzinvestor“ hat das größte Investitionsprogramm in der Geschichte der Deutsche Telekom aufgelegt. Allein im vergangenen Geschäftsjahr flossen weltweit mehr als zwölf Milliarden Euro in die Modernisierung der Fest- und Mobilfunknetze. Dadurch stiegen die Nettofinanzverbindlichkeiten auf die neue Rekordhöhe von 55 Milliarden Euro. Der größte Teil des Umsatzwachstums auf inzwischen 75 Milliarden Euro (2018) stammt von der Konzerntochter T-Mobile in den USA, wo Höttges gerade mit den Wettbewerbshütern um die Genehmigung des Zusammenschlusses mit dem US-Konkurrenten Sprint ringt.

Investoren fürchten, dass der Investitionsbedarf in den nächsten Jahren durch den parallelen Ausbau von Glasfasernetzen und superschnellen 5G-Mobilfunknetzen noch steigen könnte. Die Börse bleibt daher skeptisch. Seit Höttges Amtsantritt stieg der Aktienkurs von 12,46 Euro auf heute 14,60 Euro – ein Plus von 17 Prozent.

Anfang 2012 übernahm der bisherige Finanzvorstand Olaf Koch den Chefposten bei Metro, dem damals größten Handelskonzern Deutschlands.

Koch setzt sukzessive das um, was eigentlich bereits sein Vorgänger geplant hatte: die Zerschlagung des Konzerns. Die Kaufhof-Warenhäuser veräußert Koch, die Elektronikhändler Media Markt und Saturn spaltet er ab. In der vergangenen Woche kündigt er den nächsten, den finalen Schritt an: den Verkauf der Real-Supermärkte. Wichtige Details sind noch offen, doch bis Sommer soll der Deal durch sein – und mit ihm der jahrelange Großumbau.

64,3 Milliarden Euro Umsatz brachte Metro vor gut einer Dekade auf die Waage, beschäftigte 270.000 Mitarbeiter. Nach der Trennung von Real werden es noch rund 120.000 Beschäftigte und 29,5 Milliarden Euro Umsatz sein. Der Konzern wird dann ein reiner Großhändler sein. Die Verschuldung wurde durch den Umbau massiv gesenkt. Dem Aktienkurs hat all das trotzdem nicht geholfen – Metros Börsenwert ist weit entfernt von früheren Glanzzeiten.

Metro-Chef Olaf Koch hat eine große Aufgabe: Den Großumbau des Großkonzerns. Quelle: dpa

Seit Mai 2016 ist der ehemalige McKinsey-Berater Mark Langer Chef des Herrenmodeunternehmens Hugo Boss, zuvor war er sechs Jahre lang Finanzvorstand. Konzernchef wurde Langer, weil sein Vorgänger Claus-Dietrich Lahrs nach mehreren Gewinnwarnungen gehen musste. Das Ziel, mit dem deutschen Herrenschneider in die globale Mode-Beletage aufzusteigen, war gescheitert. Vor allem in China und den USA büßte der Modekonzern damals ein.

Langer fährt nun einen anderen Kurs: Rendite statt Glamour. Er hat die Marken Hugo und Boss gestärkt, das Tempo von Eröffnungen neuer Filialen gedrosselt und den Fokus stärker auf digitale Marketing- und Vertriebskanäle gelegt. Zudem verabschiedete sich Langer zum großen Teil vom margenschwachen Großhandelsgeschäft in den USA und führte ein „konsequentes Kostenmanagement“ ein.

Die Umbau-Maßnahmen seien jetzt abgeschlossen, heißt es im Unternehmen. Im Jahresverlauf sollen sie Wirkung zeigen. Doch die Aktie hat sich nach einigem Auf und Ab unter dem Strich in den drei Jahren nicht vom Fleck bewegt: Heute wie damals dümpelt sie bei rund 60 Euro.

Siemens und Fraport - Wo es besser läuft

Richard Lutz wollte nie Bahnchef werden. Doch nachdem Rüdiger Grube Ende 2016 das Handtuch warf, übernahm der ehemalige Finanzvorstand den Staatskonzern im März 2017. Lutz agiert bis heute lieber aus dem Hintergrund. Spätestens mit seinem Brandbrief an die Führungskräfte im Herbst 2018 wurde er einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Lutz forderte von seinen Mitarbeitern mehr Engagement, um das desaströse Bild der Bahn zu korrigieren. Dieses bestand vor allem aus eklatant unpünktlichen Zügen.

Ausgerechnet Lutz muss nun umsteuern, was er selbst als Finanzvorstand einst eingefädelt hatte. 2010 kaufte die Deutsche Bahn den britischen Verkehrskonzern Arriva für fast drei Milliarden Euro ein. Nun wird Arriva wieder verkauft, um die Schulden in den Griff zu bekommen, die auf die 20-Milliarden-Marke hinzu marschieren.

Lutz hat in der Zwischenzeit mehr Ruhe in den Konzern gebracht. Sein wohl größter Verdienst: Die Bahn bekommt vom Staat immer mehr Geld für Neubau und Sanierung des Schienennetzes. Die operativen Probleme hat aber auch Lutz noch immer nicht in den Griff bekommen.

Seit der ehemalige Finanzchef Joe Kaeser 2013 die Führung von Siemens übernahm, baut er den Konzern konsequent um. Aus dem Mischkonzern sollte ein Spezialist für die digitalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts werden. Weil Konglomerate jeglicher Art bei Anlegern keine Begeisterung mehr hervorrufen, ist die einstige Devise von der Solidarität unter stärkeren und schwächeren Sparten im Konzern nicht mehr viel wert. Die Medizinsparte Healthineers ging voriges Jahr an die Börse, das Geschäft mit der Windenergie wurde mit den Spaniern von Gamesa zusammengelegt und ebenfalls an den Kapitalmarkt gebracht. Vom Leuchtmittelhersteller Osram trennte sich Siemens vor zwei Jahren komplett.

Vergangene Woche dann kündigte Kaeser den bisher größten Schnitt an: Die Energietechnik mit dem traditionsreichen, aber kriselnden Kraftwerksgeschäft wird ebenfalls abgespalten. Damit wird Siemens auf einen Schlag um 30 Milliarden Euro Umsatz (von zuletzt 83 Milliarden Euro) und rund 80.000 Mitarbeiter kleiner. Das einstige Umsatzziel seines Vorgängers Peter Löscher von 100 Millliarden Euro ist für Kaeser keine Zielmarke mehr. Im Gegenteil: Ohne den Ballast soll Siemens mehr Kraft für das Wachstum in den Zukunftsmärkten der digitalen Industrien und smarten Infrastruktur schöpfen.

Dem Aktienkurs hat das den lange erwarteten Aufschwung verliehen. Der Kurs stieg seit Kaesers Amtsübernahme um rund ein Drittel. Das Modell Siemens gilt deshalb bei vielen Konzernlenkern als Vorbild.

Joe Kaeser: Das Modell Siemens gilt bei vielen Konzernlenkern als Vorbild. Quelle: dpa

Als Stefan Schulte vor zehn Jahren bei Deutschlands größtem Flughafenbetreiber Fraport vom obersten Kassenwart zum Chef aufrückte, war die Skepsis groß. Denn neben seinem 16 Jahre lang aktiven volkstümlichen Vorgänger Wilhelm Bender wirkte der gelernte Banker aus Wuppertal vergleichsweise blass. Doch Schultes nüchterner Blick tat dem Unternehmen gut. Der heute 59-Jährige machte den Konzern weniger abhängig vom Hauptflughafen Frankfurt mit seinen nach Ende des aktuellen Ausbaus begrenzten Wachstumsmöglichkeiten.

Bereits als Finanzchef forcierte er die Investitionen in Beteiligungen an Airports von Wachstumsmärkten wie der Türkei oder Bulgarien – und zuletzt Brasilien oder Griechenland. Gleichzeitig trennte er sich von wenig aussichtsreichen Töchtern wie Hannover und vor allem dem darbenden Billigmekka Hahn. Das trieb den Umsatz seit 2008 um rund zwei Drittel auf heute 3,4 Milliarden Euro und den Gewinn trotz des teuren Ausbaus von 180 auf 500 Millionen Euro.

Der Lohn an der Börse war entsprechend: Auch wenn der Aktienkurs nach dem Allzeithoch zuletzt mit dem Rest Flugbranche im vorigen Jahr um fast ein Viertel sackte, hat sich der Preis in Schultes Amtszeit in etwa verdreifacht.

Damit ist Schulte wie Siemens-Chef Kaeser einer der wenigen, die als Ex-Finanzchef und heutiger Konzernchef so richtig Erfolg vermelden können.

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