
Um den Jahreswechsel herum war es um den in der Krise steckenden Ruhrkonzern ThyssenKrupp wieder ruhig geworden nachdem die Schlagzeilen vor Weihnachten so hoch brandeten, dass die Nerven der Stahl- und Technologiemanager in Essen arg strapaziert wurden. Gleich drei Vorstände mussten gehen, wegen Erfolglosigkeit und wegen bisher rechtlich unbewiesener Verstrickungen in Korruptionsfälle. Der Verdacht reichte schon aus, sie vor die Tür zu setzen.
Cromme und Beitz trugen alles mit...
In einer Sondersitzung am 20. November versuchte der ThyssenKrupp-Aufsichtsrat erneut, die Verursacher des Milliardendesasters bei den Stahlwerken in Brasilien und Alabama (USA) auszumachen.
Die Kontrolleure unter Gerhard Cromme beriefen sich auf einen internen Bericht, nach dem Antworten des gesamten früheren Vorstands auf Fragen des Aufsichtsrates „unvollständig und teilweise falsch“ gewesen seien. Damit sprach sich Cromme frei.
Seit 2007 hatte sich aber abgezeichnet, dass die Baukosten der Stahlwerke „erheblich vom Plan abweichen“, wie es in einer Aufsichtsratsvorlage heißt. Cromme und Beitz zogen dennoch nicht die Notbremse. Schuld an Fehlentwicklungen im Konzern seien, so ein früherer Manager, „immer die anderen.“
Nun führt Konzernchef Heinrich Hiesinger das Unternehmen zusammen mit dem Finanzchef Guido Kerkhoff und dem Personalvorstand von der Arbeitnehmerseite. Das Trio ist nun für die Geschicke des Unternehmens verantwortlich. Sie sind von den Sünden der Vergangenheit unbeleckt, das Dreierteam gehörte vor zwei Jahren dem obersten Führungsgremium noch nicht an. Hiesinger kam von Siemens, Kerhoff von der Telekom. Unschuldiger für die Fehlinvestitionen von zwei Stahlwerken in Übersee, Brasilien und Alabama (USA) kann man wohl nicht mehr sein.

Aber einer ragt noch aus der alten Riege hervor. Der Mann, der sich im Spiegel-Interview vor Weihnachten als ganz und gar unschuldig bezeichnete für die zwölf Milliarden Euro, die in Übersee in den Sand gesetzt wurden: Gerhard Cromme, 69, der Aufsichtsratschef, will es nicht gewesen sein, der mitverantwortlich ist für das Fehlinvestment, das die Liquidität des Unternehmens arg beutelte.
Aus der ThyssenKrupp-Bilanz 2011/2012
2010/2011: 50,2 Milliarden Euro
2011/2012: 48,7 Milliarden Euro. Das entspricht einem Minus von drei Prozent.
2010/2011: 49 Milliarden Euro
2011/2012: 47 Milliarden Euro. Das entspricht eine Minus von vier Prozent.
2010/2011: - 1,3 Milliarden Euro
2011/2012: - 4,7 Milliarden Euro
2010/2011: 10,4 Milliarden Euro
2011/2012: 4,5 Milliarden Euro. Damit hat ThyssenKrupp sein Eigenkapital mehr als halbiert ( - 56 Prozent)
2010/2011: 3,6 Milliarden Euro
2011/2012: 5,8 Milliarden Euro. Die Nettofinanzschulden sind damit gegenüber dem Vorjahr um mehr als 60 Prozent gestiegen.
2010/2011: 0,45 Euro
2011/2012: keine Dividende
Zum Stichtag am 30. September 2012 beschäftigte ThyssenKrupp 167.961 Mitarbeiter. Das sind mehr als 12.000 weniger als im Vorjahr.
Dabei hat Cromme alle Investitionsanträge abgenickt, die ihm vorgelegt wurden. Er fühlt sich selbst hinters Licht geführt, laut selbst bestellter Rechtsgutachten, zu optimistisch, unvollständig und teilweise falsch informiert. Cromme ist der große Match-Maker im Hintergrund. Er und der Krupp-Patriarch Berthold Beitz, 99, führen das Unternehmen vom Olymp aus, dem „Hügel“ in Essen, mit harter Hand. Mal im Hintergrund, mal ganz operativ im Vordergrund. Auf dem Hügel befindet sich die Krupp-Stiftung, die größte Aktionärin von ThyssenKrupp. „Ihre undurchsichtige Rolle müssen die übrigen Anteilseigner auf der Hauptversammlung durchleuchten und auch anprangern“, sagt ein Aktionärsvertreter im Vorfeld der Hauptversammlung.
Schon am Freitag, den 18. Januar, ist es soweit. In der Bochumer Messehalle wird die Hauptversammlung von Gerhard Cromme eröffnet. Und schon jetzt lässt er sich „coachen“, wie es ein ThyssenKrupp-Manager schildert, um nicht ins Schwimmen zu geraten, wenn die Aktionäre bohren. Sie werden nach seiner Rolle fragen, die er im Konzern wahrnimmt, auf welcher Grundlage er dem desaströsen Bau der Stahlwerke zustimmt, die nur hohe Verluste schreiben. In den vergangenen Jahren war Cromme in mehrstufigen Investitionsentscheidungen in allen Gremien des Konzerns als oberster Kontrolleur des Konzerns eingebunden.
Kann man sich mit dem Feuern von allen anderen Schuldigen und Mitschuldigen reinwaschen?
Auch die Frage, zu welchem Kaufpreis die Stahlwerke nun verkauft werden und wie hoch der Abschreibungsbedarf im Unternehmen ist, wird die besorgten Aktionäre umtreiben. Für die nächsten Tage und Wochen gilt: ThyssenKrupp ist noch lange nicht aus dem Schneider, erst recht nicht aus den Schlagzeilen.