Thyssenkrupp Der Aderlass hat erst begonnen

Die neue Konzernchefin Martina Merz kündigt Änderungen an. Ein Kulturwandel soll im Unternehmen stattfinden. Quelle: REUTERS

Bei ihrem ersten öffentlichen Auftritt als neue Konzernchefin schwingt Martina Merz den Kehrbesen. Die Dividende fällt aus, es könnten noch mehr Jobs gestrichen werden als bereits angekündigt. Aber die wichtigste Frage lässt die Konzernchefin offen.

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Das gab’s noch nie bei Thyssenkrupp. Erst stand Martina Merz an der Spitze des obersten Kontrollgremiums des Essener Industriekonzerns, dann wechselte sie Ende September vom Aufsichtsrat in den Konzernvorstand. Und noch was gab es nie zuvor bei dem Traditionskonzern: erstmals leitet mit der 59-jährigen Ingenieurin eine Frau die Geschicke des Konzerns - noch dazu in der Krise.

Bei ihrem ersten öffentlichen Auftritt nach sieben Wochen im Amt überrascht Merz mit einer erfrischend offenen und klaren Ansage, die keinen Zweifel zulässt: Die Lage bei Thyssenkrupp ist ernst. Hohe Verluste, wahrscheinlich noch mehr Stellenstreichungen, keine Dividende für die Aktionäre. Das trifft vor allem die Kruppstiftung, die mit den Dividenden ihre wissenschaftlichen und kulturellen Förderprogramme finanziert. Der „finanzielle Spielraum von Thyssenkrupp“ sei eingeschränkt, sagt Merz nüchtern.

Zwei bis drei Jahre veranschlagt Merz für die Sanierung des Traditionsunternehmens mit seinen weltweit mehr als 160.000 Mitarbeitern. Doch das kostet einen mittleren dreistelligen Millionenbetrag. Dazu wird eine millionenschwere Kartellstrafe die Bilanz belasten: Noch im Dezember erwartet Thyssenkrupp den Bußgeldbescheid von den Kartellbehörden wegen illegaler Preisabsprachen im Stahlgeschäft. Dafür hat das Unternehmen immerhin 370 Millionen Euro zurückgelegt. Da auch der konjunkturelle Rückenwind fehlt, wird der Industriekonzern im neuen Geschäftsjahr 2019/20 noch tiefer in die Verlustzone rutschen. Im abgelaufen Geschäftsjahr, das am 30. September endete, hatte Thyssenkrupp unter dem Strich ein Minus von 304 Millionen Euro eingefahren.

Merz: „Schluss mit Durchwurschteln“

Kein gutes Haar ließ Merz am Management. Ab sofort sei Schluss mit dem „Durchwurschteln“ bei Thyssenkrupp, sagt die neue Vorstandsvorsitzende. Ein Kulturwandel müsse her im Unternehmen: „Unpolitisch und weniger hierarchisch“. Und: Man habe die Verbesserungen in den einzelnen Geschäften nicht mit der notwendigen Konsequenz vorangetrieben.

Wettbewerb solle zwischen den einzelnen Geschäften des Konzerns herrschen. Die einzelnen Sparten stünden miteinander im Wettbewerb um Investitionen. Und wenn einzelne Geschäfte nicht zu den Branchenbesten aufschließen könnten, müsse sich Thyssenkrupp eingestehen, „dass wir nicht der beste Eigentümer sind“. Einen dauerhaften Ausgleich von Verlusten werde es nicht mehr geben. Wenn die Manager nicht die erwarteten Ergebnisse bringen, müssten sie „dafür geradestehen“.

Das sind klare Ansagen. Bleibt die Frage, ob Merz die zwölf Monate, die sie der Aufsichtsrat in den Konzernvorstand entsendet hat, reichen, um ihre neue Marschroute „newtk“ auch durchzusetzen.

Thyssenkrupp - quo vadis?

Thyssenkrupp müsse zukunftsfähig gemacht werden, betont Merz immer wieder. Sanieren, Stellen streichen, Sparen, gut und schön. Aber die wichtigste Frage lässt Merz offen: Thyssenkrupp - quo vadis? Was bleibt von dem Industriekonzern? Wohin geht die Reise strategisch? Wie sehen die Zielvorgaben für die nächsten Jahre aus?

An einer Strategie für das neue, alte Kerngeschäft, den Stahl, bastelt noch immer ein Top-Team. Erst im Dezember soll es dem Vorstand und Aufsichtsrat vorgelegt werden. Die Stahlindustrie leidet unter der schwachen Nachfrage in Europa und weltweiten Überkapazitäten. Bei Thyssenkrupp Steel ist der Gewinn massiv eingebrochen, das bereinigte Ergebnis (Ebit) sank von 687 Millionen Euro auf nur noch 31 Millionen Euro.

Wahrscheinlich ist im Stahlgeschäft die nächste Restrukturierungsrunde angesagt. Denn Geld für Investitionen fehlt. Das soll ja eigentlich der Verkauf der Aufzugssparte bringen. Aber auch hier ist noch alles offen: Immer noch steht auch ein Börsengang, ein Teil- oder Komplettverkauf im Raum. Die Entscheidung darüber soll jetzt in den ersten drei Monaten des nächsten Jahres fallen. Im Bieterrennen um die Aufzugssparte von Thyssenkrupp sind dem Unternehmen zufolge mindestens zwei direkte Konkurrenten. Außer dem finnischen Wettbewerber Kone im Bündnis mit dem Finanzinvestor CVC gibt es also noch einen zweiten Konkurrenten, der ebenfalls am Kauf der Aufzugssparte von Thyssenkrupp interessiert ist.

Die Thyssenkrupp-Aktie verlor nach den Ankündigungen der neuen Chefin. In Stellung brachte sich auch der Betriebsrat. Konzernbetriebsratschef Dirk Sievers warnte Merz vor einem ausufernden Stellenabbau. „Dass wir als Arbeitnehmervertreter nicht abstreiten, dass restrukturiert werden muss, heißt noch lange nicht, dass hier freies Schießen ist.“ Betriebsratschef Sievers forderte ausgewogene Pläne und Zusagen für Investitionen. „Einen Überbietungswettbewerb bei Abbauzahlen machen wir nicht mit.“
Es wird schwer für Merz, den kriselnden Konzern wieder auf Kurs zu bringen.

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