Thyssenkrupp Der Stahl wird aus Deutschland abwandern

Das Stahlwerk von Thyssenkrupp in Duisburg ist von der Halde Rheinpreussen in Moers zu sehen. Quelle: dpa Picture-Alliance

Auch wenn Thyssenkrupps Stahlsparte gute Zahlen vorgelegt hat und dem Konzern Luft verschafft. Die Wahrheit ist: In einer grünen Welt wird sich die Rohstahl-Erzeugung in Deutschland kaum lohnen. Der Staat aber darf nur dort helfen, wo die Industrie eine Zukunft hat. Ein Kommentar.

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Thyssenkrupp-Chefin Martina Merz hat am Vormittag gute Zahlen für die Stahlsparte vermeldet: einen bereinigten Gewinn von 1,2 Milliarden Euro. Nach miesen 116 Millionen Euro im Vorjahr ist das ein gewaltiger Sprung, endlich hat Thyssenkrupp Steel Europe die Preiskonjunktur beim Stahl post Corona nutzen können und so das Ergebnis des Mutterkonzerns aufgebessert. Sogar eine Dividende zahlt Merz nun wieder. Das freut vor allem die Krupp-Stiftung, mit knapp 21 Prozent größter Anteilseigner, die wegen ausbleibender Dividenden zuletzt arg unter Druck geraten war – und diesen Druck beständig an die Chefin weitergibt.

Merz hat am Donnerstag kein Blatt vor den Mund genommen, als es darum ging, dass jetzt wieder konjunkturell schwierige Zeiten anstünden, dass der Grat zwischen Sparen und Investieren schmal sei, sehr, sehr schmal. Sie hat auch verdeutlicht, dass es in diesen Zeiten der Unsicherheit schwer sei, Sparten in die Unabhängigkeit zu führen: Vor allem beim Stahl ist jedoch genau dies das lange erklärte und heiß ersehnte Ziel.

Die Wertschöpfungskette wird abreißen

Was Merz aber nicht gesagt hat, ist eine andere, bittere Wahrheit, die den Stahl betrifft und die alle Konjunkturflauten überdauern wird: nämlich jene, dass die Produktion von Roheisen aus der Region abwandern wird. An Rhein und Ruhr steht ein weiterer Kulturbruch bevor, die Wertschöpfungskette in der Stahlproduktion wird abreißen, entgegen der erklärten Ziele von Thyssenkrupp in Essen und der Stahlsparte in Duisburg, entgegen auch der erklärten Ziele der schwarz-grünen Landesregierung. Am Vormittag besuchte NRW-Regierungschef Hendrik Wüst (CDU) sogar die jährliche Konferenz der Betriebsräte-Arbeitsgemeinschaft „beim Stahl“. Er weiß: Dort arbeiten 26.000 Wählerinnen und Wähler.

Warum die Stahlerzeugung abwandert? Nun, dass die Stahlproduktion ergrünen muss, ist allen klar. Daran führt kein Weg vorbei. Allein Thyssenkrupp Steel Europe verursacht derzeit 2,5 Prozent der deutschen Kohlenstoffdioxid-Emissionen. 2,5 Prozent! Auch der Weg dorthin ist eindeutig, das ist keine Raketentechnik. Die Hochofen-Route, bei der Koks verwendet wird, um Eisenerz um Sauerstoff zu reduzieren, wird ersetzt durch sogenannte Direktreduktionsanlagen, DRI-Anlagen. Die ziehen Sauerstoff mithilfe von Wasserstoff aus dem Erz. Das Ergebnis ist sogenannter Eisenschwamm, der dann weiterverarbeitet werden kann. Auf dem Gelände des Duisburger Werks soll bis 2026 eine erste DRI-Anlage errichtet werden, Kostenpunkt über zwei Milliarden Euro. Das Land NRW, Schwarz-Grün, hilft mit einem „mittleren dreistelligen Millionenbetrag.“ So weit, so ambitioniert.

Rentabel ist die Vorort-Produktion nicht

Nur: Rentabel, wettbewerbsfähig ist diese Art der Vorort-Produktion absehbar nicht, wird es möglicherweise nie sein. Denn der Bedarf an grüner Energie ist zu groß. Wollte Thyssenkrupp so viel Stahl – etwa elf Millionen Tonnen pro Jahr – wie er derzeit in den vier Hochöfen im Duisburger Werk erzeugt wird, grün herstellen, wäre viermal so viel Grünstrom nötig, wie ihn die Stadt Hamburg verbraucht. Viermal so viel wie eine deutsche Großstadt! Mit diesem Strom müsste dann mit Elektrolyseuren grüner Wasserstoff hergestellt werden.

Dass das mit grünem Wasserstoff aus dem Inland allein nicht klappt, ist eine Binse. Ebenfalls eine Binse ist, dass der grüne Wasserstoff an anderen Orten viel günstiger erzeugt werden wird, nämlich dort, wo es Strom aus Photovoltaik-Anlagen und Windparks in Hülle und Fülle gibt, wo die Sonne beständig scheint und der Wind beständig bläst, sei es in Skandinavien, in Schweden und Norwegen, sei es in Nordafrika, in den Golfstaaten oder sogar – ja, tatsächlich – in Kasachstan, die haben sogar Erz. In all diesen Gegenden kann man günstigere Elektrolyseure mit niedrigerem Wirkungsgrad aufbauen und trotzdem fast unendlich viel grünen Wasserstoff produzieren. Es ist entsprechend günstig, dort auch Roheisen in Direktreduktionsanlagen zu erzeugen – und das Material dann zur Veredelung zu exportieren. Dass der Thyssenkrupp-Konkurrent H2 Green Steel in Nordschweden jetzt eine DRI-Anlage in Auftrag gegeben hat, ist nur konsequent. Und das ist nur der Anfang. Die sogenannte „Upstream“-Produktion von Stahl wird deshalb nach und nach aus Deutschland verschwinden. Diese Teil-Deindustrialisierung ist unaufhaltbar.

Schneller schlau: Wasserstoff

Wenn es nicht lohnt, sollte der Staat nicht helfen

Für staatliche Hilfen bedeutet das im Kern: Wenn es sich nicht absehbar lohnt, sollte nicht in die Produktion des Grundstoffs Stahl investiert werden. Nur ein gewisses Maß an Grundstoffkapazität muss im Land verbleiben, um ein Mindestmaß an Unabhängigkeit zu gewährleisten. Deshalb ist das Düsseldorfer Investment in Duisburg auch richtig. Aber Geld für weitere Anlagen ergeben kaum Sinn.

Eine echte Zukunft in der Region hat nur der sogenannte „Downstream“-Teil der Produktion, die Weiterverarbeitung, das Veredeln. Das ist der Bereich, in dem Deutschland in Zukunft punkten kann, punkten muss. Hier müssen die Ingenieure und Maschinenbauer zeigen, was sie können. Hier muss auch in Zukunft investiert werden. Es ist allein dieser Teil der Produktion, der verhindern kann, dass Nordrhein-Westfalen, aber auch Teile Niedersachsens und des Saarlands, in reine Industriemuseen verwandelt werden. Bei Thyssenkrupp haben sie das schon verstanden: Sie investieren kräftig in Werke wie etwa die neue Feuerbeschichtungsanlage 10 auf dem Gelände der Westfalenhütte in Dortmund, in Bochum entsteht ein Werk, das grünen Stahl in besonders dünne Bleche für Elektroautos verwandeln soll, und auch das gigantische Werk in Duisburg ist so eingerichtet, dass Eisenschwamm hier nahtlos weiterverarbeitet werden kann.

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Dass der Region nach dieser Transformation größtenteils etwas fehlen wird, was sie bisher auszeichnet – die Herstellung von Stahl – wird das alles dennoch nicht verhindern.

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