Thyssenkrupp Letzter Ausweg Börsengang

Gelingt die Fusion mit Wettbewerber Tata nicht, könnte Konzernchef Heinrich Hiesinger das Stahlgeschäft abspalten und einen Investor reinholen.

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Thyssenkrupp: Hiesinger muss das Stahlproblem endlich lösen. Quelle: imago images

Wer bei Verhandlungen viel rausholen will, muss seine eigentlichen Absichten tarnen. Pokerface heißt so etwas am Spieltisch. Sein Gegenüber nicht zu weit hinter die Fassade blicken zu lassen, das exerziert Thyssenkrupp-Chef Heinrich Hiesinger seit Monaten: „Wir verhandeln mit Tata, aber wir haben auch Alternativen.“

Diesen Satz wiederholt der Vorstandschef des Essener Industriekonzerns gebetsmühlenartig. Der indische Stahlriese Tata und Thyssenkrupp wollen ihr europäisches Stahlgeschäft zusammenlegen. Das Kalkül: Zusammen ließe es sich in der angeschlagenen Stahlbranche besser überleben. Doch die Parteien kommen seit Monaten nicht voran.

Vieles spricht dafür, dass Hiesinger längst eine andere Option durchspielt: Er könnte die Stahlsparte herauslösen, ähnlich wie es Bayer mit seiner Chemiesparte Covestro oder der Stromkonzern E.On mit seinen fossilen Kraftwerken gemacht hat. Das nötige Kapital könnten externe Investoren beisteuern. Thyssenkrupp will sich zu diesem Plan B nicht äußern und lässt wissen: „Thyssenkrupp hält eine Konsolidierung auf dem Stahlmarkt für richtig und wichtig. Ob diese kommt, mit wem sie kommt und wie sie dann aussieht, ist unklar.“

Thyssenkrupp ächzt unter dem kriselnden europäischen Stahlgeschäft. Gewinnbringer waren hingegen die Geschäfte mit Aufzügen und Autoteilen. Vorstandschef Heinrich Hiesinger bekräftigte die Prognose.

Wer an Thyssenkrupp denkt, denkt an Stahl. Der Werkstoff hat den Konzern über Jahrzehnte geprägt. Doch in Hiesingers Plänen hat er keinen Platz mehr: Er will aus Thyssenkrupp einen Technologiekonzern machen. Der konjunkturanfällige Stahl ist da nur Hemmschuh. Rentabel ist das Geschäft, der weltweiten Überkapazitäten wegen ohnehin nicht mehr. Besserung ist kaum in Sicht. Kein Stahlwerk in Europa verdiene mehr seine Kapitalkosten, sagt Hiesinger. Wohl und Wehe des Unternehmens hänge vom Stahl ab, das müsse sich ändern.

Da kam es gelegen, dass der indische Stahlkocher Tata schon Anfang vergangenen Jahres Interesse signalisierte, die Stahlsparten beider Unternehmen zusammenzulegen. Doch was als rasche Hochzeit über die Bühne gehen sollte, entpuppt sich als langwieriger Akt mit Hindernissen:

  • Als Mitgift würde Tata nach aktuellem Stand milliardenschwere Pensionsverpflichtungen für seine Stahlarbeiter in Großbritannien mit in die Ehe bringen. Zwar sind die dortigen Arbeitnehmer bereit, den Pensionsfonds für weitere Anwartschaften zu schließen. Doch das reicht Hiesinger nicht.
  • Dem indischen Stahlkonzern sollen auch noch hohe Abschreibungen auf den Firmenwert der britischen Werke drohen, wenn er diese in ein Gemeinschaftsunternehmen mit Thyssenkrupp einbringt. Weder Tata noch Thyssenkrupp sind in der Lage, das Gemeinschaftsunternehmen mit so viel Geld auszustatten, dass es diese Lasten tragen könnte.
  • Zu allem Unheil überschattet seit dem vergangenen Sommer auch noch der Brexit die Verhandlungen. Die Forderung der Deutschen, Tata müsse unrentable Hütten auf der Insel schließen, lässt sich politisch kaum noch durchsetzen. Schließlich hatte Premierministerin Theresa May versprochen, sie werde sich in besonderem Maße für Familien einsetzen, die gerade mal so über die Runden kämen. Protestierende Stahlkocher dürften kaum in ihr Konzept passen.
Thyssenkrupp

Für Thyssenkrupp-Chef Hiesinger rückt eine Einigung mit Tata deshalb in weite Ferne. Folglich muss eine andere Lösung für die seit Jahren kriselnde Stahlsparte her. Daran hängt auch sein Schicksal als Vorstandschef.

Nach Informationen der WirtschaftsWoche arbeitet Hiesinger bereits an einem Plan B. So spielt er, auch auf Druck seiner Investoren, die Ausgliederung der Stahlsparte in eine neue Tochter durch. Die Tochter könnte er dann an die Börse bringen – ohne Tata.

Suche nach einem Investor

Die größte Herausforderung bei dieser Variante liegt darin, die neue Tochter mit Kapital auszustatten. Eigenständig dürfte die abgespaltene Stahlsparte auf eine Bilanzsumme von rund zehn Milliarden Euro kommen. Für einen vernünftigen Kapitalmarktauftritt sollte die Eigenkapitalquote bei 30 Prozent liegen, also bei mindestens drei Milliarden Euro. Das entspräche dem gut Vierfachen des Ergebnisses vor Steuern, Zinsen, Abschreibungen (Ebitda) der Stahlsparte im vergangenen Jahr.

Zudem müsste der Großteil der Schulden bei Thyssenkrupp bleiben. Problematisch sind neben 5,4 Milliarden Euro Finanzschulden auch die hohen Pensionslasten über knapp 8,1 Milliarden Euro – die zu 90 Prozent für aktuell in Deutschland arbeitende oder schon verrentete Stahlarbeiter reserviert sind. Bis 2026 erwartet Thyssenkrupp insgesamt knapp 5,4 Milliarden Euro an Abflüssen für die Altersvorsorge. Thyssenkrupp sollte aber, ohne die Stahlsparte, künftig in der Lage sein, die Kosten zu stemmen.

Bei einer stabilen Bilanzstruktur könnte die Stahlsparte auch das Rating der Mutter, aktuell mit BB+ am oberen Rand des Schrottbereichs, wohl halten, zumal Thyssenkrupp als ehemalige Mutter noch fünf Jahre lang, so will es das Gesetz, für Altschulden der neuen Tochter haften müsste.

Investoren würden wohl nur dann zugreifen, wenn der Stahlgesellschaft nicht zu viele Verbindlichkeiten aufgehalst würden. Als Ankerinvestor käme etwa der britische Finanzinvestor CVC Capital Partners infrage. Der hat nicht nur das notwendige Kleingeld, sondern ist auch zu Großinvestitionen in Industrieunternehmen bereit. 2008 waren die Briten als Großinvestor mit 25,01-Prozent-Anteil beim Essener Chemiekonzern Evonik eingestiegen. Mittlerweile haben sie ihren Anteil wieder verkauft – mit einem Gewinn von 1,7 Milliarden Euro.

Alte Sünden, neue Probleme bei Thyssenkrupp

Hiesinger müsste einem Finanzinvestor jedoch zunächst noch plausibel machen, dass er mit Stahl Geld verdienen kann, selbst dann, wenn die Preise am Boden liegen. Bis Mai soll Andreas Goss als Vorstand der Stahlsparte einen Sparplan vorlegen. Er hat mit zahlreichen Sparprogrammen bereits bewiesen, dass er die Effizienz steigern kann. So hat er alle IT-Systeme an den Standorten Duisburg, Bochum und Dortmund verknüpft. Vertrieb und Produktion werden so standortübergreifend gesteuert.

Selbst wenn Hiesinger diese Hürden nimmt, wäre es noch ein teurer Weg für den Thyssenkrupp-Chef, bis die Probleme der Stahlsparte nicht länger die seinen wären. E.On etwa hat die Abspaltung der Kraftwerke einen dreistelligen Millionenbetrag gekostet. Vom ersten Konzept bis zum Börsengang von Uniper sind fast zwei Jahre vergangen. Allerdings: Bei Thyssenkrupp dürfte der Aufwand geringer sein, weil das Stahlgeschäft schon in einer eigenen Sparte organisiert ist.

Arbeitnehmer zweifeln an Tata

Hiesinger favorisiert zwar immer noch eine Fusion mit Tata, vor allem weil nur so Überkapazitäten am Stahlmarkt abgebaut werden könnten. Doch dürfte es ihm schwerfallen, hierfür noch Unterstützer zu finden.

Die Arbeitnehmer halten von einer Fusion mit dem indischen Konkurrenten gar nichts. Tata hat der britischen Regierung für den Fall, dass sie ihren Pensionsfonds abtrennen dürfen, eine Bestandsgarantie für das Tata-Stahlwerk Port Talbot in Wales versprochen, die bis mindestens 2021 gelten soll. Zudem haben die Inder zugesagt, in den nächsten zehn Jahren eine Milliarde Pfund in die britischen Stahlhütten zu investieren. Deshalb fürchten die Gewerkschaften in Deutschland, dass bei einer Fusion mit Tata statt britischer Werke deutsche Standorte geschlossen werden. Immer wieder wird über eine Schließung der Werke in Bochum und Dortmund spekuliert.

Die Hütte in Duisburg von Thyssenkrupp und das Stahlwerk von Tata in den Niederlanden sind beide profitabel und topmodern. Darüber herrscht laut Aufsichtsratskreisen Einigkeit. Diese Kapazitäten zusammenzulegen und dafür unrentable und marode Werke in Großbritannien zu schließen wäre eine Möglichkeit. „Der Stahlschrott aus England darf auf keinen Fall in eine solche Fusion“, heißt es aus Arbeitnehmerkreisen im obersten Kontrollgremium von Thyssenkrupp. „Mit so einem Konstrukt würden wir keinen Cent mehr verdienen.“ Hiesinger habe sich mit seiner Ankündigung, den Markt konsolidieren zu wollen, zu sehr exponiert. „Jetzt kommt er da nicht mehr raus und könnte sich verrennen“, fürchtet die Arbeitnehmerseite.

Thyssenkrupp-Großaktionär Cevian dürfte es ziemlich egal sein, über welche der beiden Varianten Hiesinger den Stahl loswird. Denn beide dürften zur Folge haben, dass der Aktienkurs von Thyssenkrupp steigt.

Aktuell notiert das Papier der Essener kaum höher als vor 20 Jahren. Im Durchschnitt mickrige Dividenden wie zuletzt von 15 Cent je Aktie sind da kein Trost. Die europäische Stahltochter bindet 30 Prozent des Kapitals, trug 2015/16 aber nur 26,5 Prozent zum Ergebnis vor Steuern und Zinsen (Ebit) bei. Zum Vergleich: An der Aufzugssparte hingen zuletzt nur 7,1 Prozent des Kapitals, sie schaffte im Geschäftsjahr 2015/16 aber knapp zwei Drittel des Ebit.

Der Druck auf Hiesinger, eine Lösung für das Stahlgeschäft zu finden, ist deshalb groß. Er habe viel angekündigt und sei wenig vorangekommen, heißt es in Finanzkreisen. Dort weiß man längst: „Entweder dieses Jahr passiert etwas mit dem Stahl, oder es passiert etwas mit Hiesinger.“

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