
Wer Tom Enders treffen will, hat in seinem Büro in der Konzernzentrale am Flughafen im südfranzösischen Toulouse selten Erfolg. Anfang der Woche besucht der Chef des größten europäischen Luftfahrtkonzerns, der Airbus Group, meist ein Werk am Firmensitz oder konferiert dort mit Vorständen und Mitarbeitern. Mitte der Woche besucht der 55-Jährige dann ein paar der 180 Betriebsstätten des Konzerns oder trifft Politiker und wichtige Kunden. Und Ende der Woche reist der Vater von vier Kindern meist in die Airbus-Deutschland-Zentrale nach München, um von dort zur Familie an den Tegernsee zu fahren – sei es zur gemeinsamen Bergwanderung oder nur zu einem Tegernseer Hell aus einer Brauerei des ehemaligen bayrischen Königshauses Wittelsbach.
„Wir alle haben ja schon einen höllischen Zeitplan“, seufzt Marwan Lahoud, Marketing- und Strategievorstand der Airbus-Gruppe, voller Respekt. „Aber Tom legt da noch eins drauf.“
Die Omnipräsenz ist Enders’ Programm und Erfolgsrezept. Er führt den Konzern nicht einfach nur, was schon mit der schwerste Job in Europa wäre. Wohl kein Unternehmen ächzt dermaßen unter hochriskanten neuen Produkten, argwöhnischen deutschen und französischen Mitarbeitern sowie unter drohenden Einmischungen der Regierungen, in diesem Fall in Paris und Berlin.
Die Problemzonen der Airbus Group
Im Kerngeschäft Ziviljets lebt Airbus fast nur von den A320-Mittelstreckenfliegern. Auf der Langstrecke bringt nur das älteste Modell A330 Geld. Der neue A350 wird netto erst nach 2020 Gewinn abwerfen, der Superjumbo A380 wohl nie.
Kampfjets und Raketen bringen viel Profit. Doch ab 2018 fehlen neue Aufträge. Für die Drohne Talarion fand Airbus keine Kunden, und das Geschäft mit Grenzsicherung wirft weniger ab als erwartet.
Die Airbus Group wurde 2000 als EADS gegründet. Dabei wurden völlig unterschiedliche Unternehmen zusammengeworfen, die schon in ihren vier europäischen Heimatländern kaum kooperierten. Trotz mehrerer Umstrukturierungen werkeln Firmenteile weiter vor sich hin, gibt es Doppelarbeiten und kaum Synergien.
Seit der Airbus-Gründung kämpfen Frankreich und Deutschland darum, mehr High-Tech-Jobs als der andere zu bekommen. Dazu vergeben sie Aufträge und Anlauffinanzierungen. Paris versuchte auch schon, die Mehrheit am Konzern zu erlangen.
Eine Fusion mit dem britischen Rüstungskonzern BAE schien ideal: Sie rettete Airbus das Waffengeschäft und half bei der Globalisierung. Doch Enders hatte unterschätzt, wie viel politisches Porzellan er mit seiner schroffen Art in Berlin zerschlagen hatte. Berlin legte sein Veto ein.
2008 wollte Enders Airbus-Werke an Zulieferer verkaufen. Der Deal platzte, weil er den Käufern auch einen Teil des Wechselkursrisikos aufbrummen wollte.
Airbus prosperiert wie nie zuvor
Vielmehr lenkt Enders und baut Airbus gleichzeitig unablässig um, seit er 2012 den Steuerknüppel von seinem französischen Vorgänger Louis Gallois übernahm. In diesen zwei Jahren ist Enders nicht weniger gelungen, als Airbus neu auszurichten und aus einem technikverliebten Firmenkonvolut ein modernes, gewinnorientiertes Unternehmen zu formen, das seine Möglichkeiten effektiver denn je nutzt, ohne jeden Tag die Intervention einer Kanzlerin von der Spree oder eines Staatspräsidenten von der Seine fürchten zu müssen. Zudem prosperiert Airbus wie noch nie, ist der Aktienkurs heute fast doppelt so hoch wie vor zwei Jahren und nähert sich die Marge rekordverdächtigen sieben Prozent vom Umsatz. „Airbus geht es derzeit besser denn je“, sagt Richard Aboulafia, Analyst der auf die Branche spezialisierten Marktforscher Teal Group aus den USA.
Wie hat der drahtige Typ mit dem schütteren Haar und dem Major in der Vita das geschafft?
Für Außenstehende steht über allem, dass Enders einen Managementstil entwickelt hat, der militärische Attribute wie schnelle Entscheidungen geschickt vereint mit vermeintlich weichen Fähigkeiten, wie Verantwortung zu delegieren, offen zu diskutieren sowie menschliche Umgangsformen zu pflegen, statt sturen Gehorsam zu verlangen.
„Enders ist das Beste, was Airbus passieren konnte“, sagt Heinz Schulte, Chef des Branchen-Informationsdienstes Griephan. Und Brent Scowcroft, ehemals Sicherheitsberater von drei US-Präsidenten und heute Berater in Washington, assistiert: „Mit seiner Art zu führen ist Tom ein Vorbild für die ganze Branche – und auch weit darüber hinaus.“
Viele Startprobleme
Danach sah es am Beginn der Regentschaft des Deutschen bei EADS, wie die Airbus Group damals noch hieß, nicht aus. Im Sommer 2012, gleich nach Enders Antritt, rappelte es fundamental im Konzern. Die Auslieferung des Langstreckenflugzeugs A350, das gegen den Dreamliner 787 von Boeing anfliegen soll, verspätete sich beträchtlich, der Aktienkurs sank. Die Fusion mit dem britischen Rüstungskonzern BAE, von Enders als großer Wurf gegen die US-Konkurrenz gepriesen, scheitert nach einer medialen Schlammschlacht mit der Bundesregierung. Weitere Fehler hätte Enders sich nicht leisten können.





Das hat er auch nicht. „Seitdem gab es fast keine Schlagzeilen mehr – und wenn, dann nur davon, wie Enders den Konzern umbaut“, lobt Cay-Bernhard Frank von der Beratung A.T. Kearney.
Enders beherzigte, was er in Managementbüchern hätte finden können, jedoch aus eigenem Antrieb richtig machte. Als Erstes gelang ihm, die Eigentümer zu befrieden und den lähmenden Einfluss der Regierungen Deutschlands und Frankreichs zu minimieren. Dazu überzeugte er die Mächtigen beider Länder, dass sie sich künftig mit jeweils rund elf Prozent der Aktien begnügen und keinen direkten Abgesandten in den Aufsichtsrat hieven. Um die Regierungsferne zu betonen, verlegte er die Konzernzentrale nach Toulouse, für die Mächtigen in den Metropolen die totale Provinz.