Toyota Die Roboterrevolution eines Autobauers

Sie werden von Laien bewundert, von Gewerkschaften verpönt: Roboter revolutionieren die Arbeitswelt. Warum der japanische Autobauer Toyota jetzt Google das Geschäft mit der künstlichen Intelligenz streitig machen will.

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Der Autobauer Toyota hat ein internes Unternehmen für vernetztes Fahren eingerichtet – mit großen Plänen für die Zukunft. Quelle: AP

Tokio Auch die größten Experten für künstliche Intelligenz leisten sich kleine Laster. Bei Gill Pratt, dem Chef vom Toyota Research Institute (TRI), ist es Coca Cola. Fürsorglich haben die Toyota-Mitarbeiter im Tokioter Sitz des Autobauers eine Flasche der Brause an seinen Platz gestellt, von dem der schlacksige Amerikaner Journalisten Toyotas Weg zur künstlichen Intelligenz erklären will. Und Pratt nimmt sie dankbar auf – als ein Beispiel für die Roboterrevolution, die er heraufdämmern sieht.

Mit dem Siegeszug der Smartphones und Fortschritten im Maschinenlernen hätten Roboter nun die Fähigkeit bekommen, ihre Umwelt zu erkennen, so Pratt. „Bis vor drei Jahren war das noch nicht Realität.“ Wie einst in der Tierwelt vor hunderten Millionen Jahren sieht er damit heute die Bedingungen gegeben für eine „kambrische Artenexplosion für Roboter.“

Der Unterschied: Im Vergleich zur natürlichen Vermehrung der Tierarten wird es diesmal eine Evolution im Zeitraffer geben. Denn vernetzt über die Cloud könnten die Roboter gemeinsam lernen, zum Beispiel, dass er Coca Cola mag. Und überall, wo er hinkomme, würden Roboter ihm sein Lieblingsgetränk anbieten. „Ich glaube, dass diese Vernetzung zu einem hyper-exponentiellen Anstieg der Fähigkeiten von Robotern führen wird“, sagt Pratt.

Wenn Pratt zu Superlativen greift, lohnt es sich, hinzuhören. Denn der Amerikaner ist kein weltferner Technikfan, sondern einer der wichtigsten Manager der Maschinenevolution. Früher hat er bei der legendären amerikanischen Forschungsbehörde Darpa (Defense Advanced Research Projects Agency) als Direktor die Darpa Robotics Challenge organisiert, in der Roboter sich als Retter in gefährlichen Umgebungen bewähren sollten. Nun kann der Experte für künstliche Intelligenz die Träume der Roboterforscher im kalifornischen TRI in die Tat umsetzen. Denn das Institut hat eine historische Mission, wenigstens für Akio Toyoda, den Konzernchef des Autobauers.

Unbescheiden verglich Toyoda jüngst die Gründung der Intelligenzschmiede mit der Gründung der Automobilsparte durch seinen Urgroßvater Sakichi, dem Gründer des Ur-Toyota, eines Webstuhlherstellers. Sprich, das TRI soll die Keimzelle für ein Toyota jenseits seines Daseins als Webstuhlhersteller und Autokonzern sein. Dementsprechend ambitioniert ist Pratts Institut aufgestellt.


Mehr Sicherheit durch vernetztes Fahren

Für die ersten fünf Jahre versprach Akio Toyoda bereits zur Institutsgründung ein Budget von einer Milliarde US-Dollar. Und Pratt arbeitet schnell. 100 Forscher seien schon eingestellt, davon 30 von Toyota. Auch größere Zukäufe sind augenscheinlich nicht ausgeschlossen.

Das TRI wurde kürzlich als möglicher Käufer von Googles Roboterfirmen Boston Dynamics und Shaft in den Medien genannt, die Google wegen kurzfristig fehlenden Gewinnaussichten loswerden will.

Pratt lehnt zwar jeglichen Kommentar zu derartigen Berichten ab. Aber gleichzeitig ist klar, dass Toyota auf seinem Weg zur künstlichen Intelligenz zwar auch mittelfristig Ergebnisse erwartet, aber vor allem langfristig denkt, langfristiger als das Silicon Valley jedenfalls. Immerhin hat der Autobauer von vor zehn Jahren eine Roboterabteilung gegründet und auch ohne rasche Produkte am Leben gehalten.

Wie das TRI soll die Robotersparte Synergien zwischen Fabrikrobotern, Fahrassistenzsystemen und Partnerrobotern heben. Denn ein Teil der Technologien wie Umgebungserkennung und Navigation sind sehr ähnlich. Inzwischen verlassen erste Prototypen für die Alten- und Krankenpflege sowie die Rehabilitation die Labore.

Darüber hinaus hat Toyota auch ein internes Unternehmen für vernetztes Fahren eingerichtet, dass sich auf das Hier und Jetzt konzentrieren soll. Das TRI soll nun weiter in die Zukunft denken, ohne allerdings das Heute zu vergessen. Daher hat Pratts Institut kurz-, mittel- und langfristige Ziele.

Zuerst geht es darum, durch die Entwicklung und Verbesserung von Fahrassistenzsystemen die Autos sicherer zu machen. „Wir sind nur dann nützlich, wenn wir eine Wirkung auf das Unternehmen haben“, betont Pratt. Er erwarte daher schon in den ersten fünf Jahren Beiträge seines Instituts. Er sei „sehr zuversichtlich“ im Bereich Fahrsicherheit Ergebnisse zu sehen, die das Auto zum Schutzengel des Fahrers machen würden. Das Auto könnte beispielsweise bei Gefahren eingreifen, in der Spur ausweichen oder sogar über eine Fahrspur hinaus.


Wann wird das Roboterauto kommen?

Ein zweites Ziel ist, Menschen den Zugang zu Mobilität zu gewährleisten, die bisher nicht oder nicht mehr selbst fahren können. Alte, Behinderte und Blinde beispielsweise müssten nicht mehr Mitmenschen um Hilfe bitten, um irgendwo hingefahren zu werden. Das Auto könnte das in bestimmten Situation selbst erledigen.

Drittens geht es um Autos der Zukunft und künstliche Intelligenz und Roboter jenseits der Automobilindustrie. Durch die Verbindung von Hard- und Software würden die Autos „zu Robotern, die auf der Straße reisen“, nennt Pratt ein naheliegendes Ziel. Doch Toyota denkt darüber hinaus. Auch Anwendungen daheim „sind sehr aufregend für uns.“ Im Klartext: Im Zeitalter der rapide alternden Industriegesellschaften denkt Toyota auch an Partnerroboter, die dem Menschen zur Hand gehen und ihm länger ein eigenständiges Leben ermöglichen.

Wann das wahre Roboterauto kommen wird, weiß er nicht. Trotz allen Hypes um die maschinellen Selbstfahrer hält er den Menschen am Steuerrad noch für überlegen. In Japan und den USA gebe es einen Verkehrstoten auf 100 Millionen gefahrene Meilen, sagt Pratt. „Nach meinem Wissen gibt es kein autonomes Autosystem, dass dies schaffen kann“, so der Experte, „wir haben noch immer einen langen Weg vor uns, bis wir dem Menschen gleichkommen.“

Aber er glaubt, dass Toyota ein guter Katalysator für die Evolution der Maschinenwesen ist. Denn er hofft, dass die Erfahrungen der Massenproduktion von Autos und Toyotas Prinzip des Kaizen, der immerwährenden Verbesserung von Produkten und Produktionsprozessen, sich auch auf die Herstellung von Robotern übertragen lässt. „Autos sind überall“, sagt Pratt, „und ich sehe keinen Grund dafür, dass nicht auch Roboter überall sein könnten.“

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