
Joe Kaeser ist schlau. Wer dem Siemens-Chef in Paris zuhört, könnte leicht den Eindruck gewinnen, das gemeinsam mit den Japanern von Mitsubishi Heavy Industries (MHI) vorgelegte Angebot für den verschuldeten französischen Alstom-Konzern diene vor allem dessen Wohlbefinden.
"Wir wollen, dass Sie so stolz auf Alstom sind, wie wir es auf Siemens und MHI sind", streichelt Kaeser die französische Volksseele. Ein "Glanzstück" nennt er den Konkurrenten ein ums andere Mal. Eine Zerschlagung sei keinesfalls geplant. Im Gegenteil: "Wenn jemand Alstom zerschlagen will, muss er ein anderes Angebot annehmen", sagt er in unverkennbarer Anspielung an das Konkurrenz-Gebot des US-Konzerns General Electric (GE).
Seit Montag werben Kaeser, Siemens-Aufsichtsratschef Gerhard Cromme und MHI-Chef Shunichi Miyanaga in Paris intensiv für ihre Alstom-Offerte. Zuerst bei den Entscheidern im Unternehmen selbst. Am Dienstag folgten dann ein Treffen mit den Gewerkschaften, eines mit dem Staatschef und den zuständigen Ministern im Elysée-Präsidentenpalast, eine Pressekonferenz und am Spätnachmittag schließlich eine Anhörung im Wirtschaftsausschuss des französischen Parlaments.
Sorge um Ausverkauf
Wenn Kaeser in den vergangenen Wochen eines ganz klar für sich und Siemens zu nutzen verstanden hat, dann ist es die Sorge der französischen Regierung um einen drohenden Ausverkauf von Alstom. Der Konzern, der wie Siemens im Energie- und Bahngeschäft tätig ist, mag hoch verschuldet sein und mit dem zunehmenden Wettbewerb vor allem aus Asien kämpfen.
Das Tauziehen um Alstom
Am 24. April wird bekannt, dass GE Alstom kaufen will. Der Schritt gilt als Frontalangriff auf Siemens. Am nächsten Tag rufen die Übernahmegerüchte die französische Regierung auf den Plan. Sie will einen Verkauf in die USA mit allen Mitteln verhindern. Am 27. April greift Siemens in den Übernahmepoker ein. Man habe der Alstom-Führung „Gesprächsbereitschaft über strategische Fragen zukünftiger Zusammenarbeit“ signalisiert. Am 28. April schaltet sich Frankreichs Präsident Hollande in das Tauziehen ein. Bei getrennten Treffen berät er mit den Chefs von Siemens und GE. Einen Tag später kündigt Siemens ein Angebot für Alstom an. Bedingung dafür: Siemens will die Alstom-Bücher vier Wochen lang prüfen und Managementinterviews führen. Am 30. April empfiehlt der Verwaltungsrat von Alstom den Aktionären eine bindende Offerte von GE. Dieser will für die Energietechnik-Sparte von Alstom 12,35 Milliarden Euro zahlen.
Siemens-Chef Kaeser betont „ernsthaftes“ Interesse an Alstom. Zugleich sagt der Manager, er wolle mit dem Übernahmeplan auch die Handlungsfähigkeit der Siemens-Führung unter Beweis stellen. Einen Tag später lehnt Montebourg das GE-Angebot für Alstom öffentlich ab. Am 9. Mai berät Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) mit seinem Kollegen Montebourg über einen möglichen Alstom-Siemens-Deal. Am 11. Mai werden Medienberichte bekannt, laut denen Siemens Alstom neben der eigenen Bahnsparte auch das Geschäft mit Signaltechnik anbieten will.
Frankreichs Regierung sendet widersprüchliche Signale. Energieministerin Ségolène Royal bezeichnete das GE-Angebot in einem Interview als „sehr gute Gelegenheit“. Nach einem Treffen mit Kaeser teilt sie mit, das deutsche-französische Projekt komme gut voran. Einen Tag später erweitert Paris seine Eingriffsrechte bei internationalen Deals. Mittels Verordnung könne ohne die bei „nationalem Interesse“ nötige Zustimmung eine ungewünschte Alstom-Übernahme gekippt werden.
Der Siemens-Betriebsrat fordert für den Fall einer Alstom-Übernahme erneut den Erhalt der Arbeitsplätze in der Bahnsparte des Konzerns, die dann an die Franzosen gehen soll.
Nach Angaben der französischen Regierung hat Siemens um zusätzliche Informationen über das Unternehmen gebeten. Paris wertet dies als Hinweis auf ein bevorstehendes Übernahmeangebot.
Hollande lässt erneut ein Treffen mit GE-Chef Jeff Immelt anberaumen. Der Präsident hatte das GE-Angebot zuletzt als nicht ausreichend bezeichnet. Am 28. Mai bessert GE das eigene Angebot nochmals etwas nach.
Kaeser betont nochmals, dass Siemens keinen Zeitdruck verspüre und bis zum 16. Juni alle Optionen prüfen werde.
Überraschend geben Siemens und der japanische Konkurrent Mitsubishi Heavy Industries (MHI) bekannt, ein gemeinsames Angebot für Alstom zu prüfen.
Siemens und MHI legen ihr Angebot für Alstom vor. MHI will sich mit bis zu zehn Prozent an Alstom beteiligen und eine umfassende industrielle Allianz, aber keine Übernahme. Das Gasturbinen-Geschäft der Franzosen soll an Siemens gehen. Insgesamt beinhaltet die Offerte Barzahlungen von Siemens über 3,9 Milliarden Euro und von MHI über 3,1 Milliarden Euro.
Er bleibt in der Empfindung der Franzosen dennoch ein Kronjuwel, das es zu schützen gilt. Wie bereits vor exakt zehn Jahren, als der damalige konservative Wirtschaftsminister und spätere Staatschef Nicolas Sarkozy Alstom mit einer Staatsbeteiligung vor der Pleite rettete.
Sein sozialistischer Nachfolger François Hollande, ohnehin auf dem Tiefpunkt der Beliebtheitsskala, weil er den Franzosen hohe Steuern und Sparmaßnahmen aufbürdet, während gleichzeitig die Arbeitslosigkeit steigt, kann sich eine Preisgabe Alstoms schlicht nicht erlauben. Per Dekret könnte der Staat sogar jeden Deal mit Alstom verhindern.
Der eine selbstbewusst, der andere scheu
Das weiß Kaeser und hat nicht zuletzt deshalb seinen "guten Freund Shunichi Miyanaga", wie er ihn in Paris nennt, mit ins Boot geholt. Neben dem selbstbewussten Kaeser wirkte der MHI-Chef in Paris zwar scheu und sprach ein wenig verdruckst. Doch die Rolle von MHI wird ausschlaggebend dafür sein, ob das Geschäft Erfolg haben wird.
Der Überraschungscoup bringt GE jedenfalls in Zugzwang. Denn die Gemeinschaftsofferte hat den Charme, dass Alstom nicht nur als Rumpfunternehmen - wie bei einem Verkauf der Energiesparte an GE -, sondern als wichtiger Player erhalten bliebe und trotzdem sieben Milliarden Euro zur Schuldentilgung in die Kasse bekäme.