Die Akquisition von Unternehmen mit zulassungsreifen Präparaten als generelles Gegenmittel lehnt Boehringer-Chef Barner allerdings ab: „Was zählt, ist die eigene Forschung.“ Der Mediziner setzt auf organisches Wachstum und will höchstens mal hier und da eine „gezielte Akquisition“ wagen.
Eine gewagte Strategie: Denn während Boehringers wichtigste Präparate wie etwa Spiriva gegen Raucherlunge, Umsatz verlieren, drängt sich von den neu entwickelten Arzneien – unter anderem gegen Krebs oder Lungenfibrose – noch kein Mittel als milliardenschwerer Verkaufsschlager, in der Branche „Blockbuster“ genannt, auf.
An fehlenden finanziellen Mittel kann Barners Fremdeln nicht liegen. Zwar kann sich das Familienunternehmen nicht über die Börse finanzieren. Doch mithilfe eigener Mittel und Bankkrediten könnte durchaus ein zweistelliger Milliardenbetrag im unteren Bereich für eine größere Akquisition zusammenkommen, heißt es im Unternehmen. Doch mit Barner ist das nicht zu machen. „Auch Zukäufe“, weiß er, „bergen Risiken.“
Es mangelt an Innovationen
Klar an finanzielle Grenzen stoßen im laufenden Übernahmeboom dagegen die viert- und fünftplatzierten der deutschen Pharmabranche, Merz und Grünenthal.
Der Ex-Contergan-Hersteller konnte sich 2013 gerade mal die Übernahme eines kleinen Medikamentenherstellers in Südamerika leisten und unter anderem deshalb einen Umsatzzuwachs von 28 Prozent im vergangenen Jahr erzielen. Doch mit Gesamterlösen von knapp über einer Milliarde Euro ist der Fusionszug rund um den Globus für Grünenthal abgefahren. Zudem läuft wohl längst nicht alles rund: Von ihrem Schmerzmittel Palexia hatten sich die Grünenthal-Manager mehr versprochen, ist aus der Branche zu hören; Vertreter von Krankenkassen beklagen die mangelnde Innovationskraft der Rheinländer.
Mindestens so ernüchternd sieht es bei Deutschlands kleinster Pharmafirma Merz aus. Das Geschäft stagniert, bei den Frankfurtern laufen derzeit die Patente für das Alzheimer-Präparat Memantine aus, das zuletzt für 400 Millionen Euro Umsatz steht. Ein Mittel gegen Tinnitus scheiterte vor der Zulassung.
Angesichts begrenzter finanzieller Möglichkeiten tritt Merz die Flucht nach vorn an und gab in den vergangenen Jahren einige Hundert Millionen Euro aus, um sich langfristig als Spezialist für Schönheitsmedizin zu etablieren. Auch diese Strategie ist kein Selbstläufer. Denn mit seinen Mitteln fürs bessere Aussehen konkurriert Merz künftig gegen den ungleich größeren US-Konzern Actavis, der kürzlich für 65 Milliarden Dollar den Wettbewerber Allergan übernahm. Allergan stellt Botox her, das Gesichtszüge strafft.
Bayer erwartet steigende Umsätze
So richtig rund läuft es derzeit nur bei Bayer mit einem jährlichen Pharmaumsatz von zwölf Milliarden Euro. Allein die fünf neuen Top-Präparate der Leverkusener – der Gerinnungshemmer Xarelto, das Augenmedikament Eylea, die Krebsmittel Xofigo und Stivarga sowie Adempas gegen Lungenhochdruck – sorgten 2014 für einen kombinierten Umsatz von fast drei Milliarden Euro. Das Ende ist damit noch nicht erreicht. Nach Analystenschätzungen könnten die fünf Arzneien in einigen Jahren sogar doppelt so viel einbringen.
Im Gegensatz zur deutschen Konkurrenz mischt Bayer zumindest in Maßen bei den weltweiten Akquisitionen mit. Neben den rezeptfreien Pillen des US-Konzerns Merck übernahm der Konzern im vergangenen Jahr auch den norwegischen Pharmaspezialisten Algeta– inklusive des vielversprechenden Krebsmittels Xofigo.
Dabei stand die Pharmasparte von Bayer noch vor gut einem Jahrzehnt – nach dem Rückzug des Cholesterinsenkers Lipobay wegen schwerer Nebenwirkungen – vor dem Aus. Nach der Krise strichen die Leverkusener die Zahl der Therapiegebiete zusammen und kauften später den Konkurrenten Schering.
Merck-Chef Kley lassen solche Erfahrungen hoffen; doch statt auf Zukäufe setzt er dabei weiter auf die eigenen Leute: „Viele Pharmaunternehmen stehen nach herben Rückschlägen in der Vergangenheit heute wieder sehr gut da.“