Deutlich dahinter rangieren Merz in Frankfurt mit Präparaten wie Memantine gegen Alzheimer sowie Grünenthal in Aachen. Das eigentümergeführte Unternehmen war in den Sechzigerjahren durch das Schlafmittel Contergan in die Schlagzeilen geraten, das bei Tausenden Föten zu Missbildungen an Gliedmaßen führte. Heute kommen von Grünenthal vor allem Schmerzpräparate. Doch mit einem Umsatz von jeweils rund einer Milliarde Euro sind Grünenthal und Merz zu klein, um am Weltmarkt eine Rolle zu spielen.
Dass die Handvoll verbliebener namhafter deutscher Pillenhersteller nicht an den Fusionen der vergangenen Monate beteiligt ist, liegt entweder an fehlenden finanziellen Mitteln oder am ungebrochenen Glauben an sich selbst. „Die aktuelle Übernahmewelle in der Pharmaindustrie ändert nichts daran, dass wir aus eigener Kraft wachsen wollen“, sagt Merck-Chef Karl-Ludwig Kley, „unsere Medikamentenpipeline ist gut gefüllt.“
Seit 30 Jahren kein erfolgreiches Medikament
Woher der ungetrübte Optimismus rührt, ist allerdings wenig ersichtlich. Denn die Erfahrung der vergangenen Jahre sprechen gegen die Hessen, die nebenbei auch chemische Spezialitäten herstellen – etwa Flüssigkristalle, die in den Displays von Smartphones Verwendung finden.
Doch seit fast drei Jahrzehnten hat Merck kein einziges erfolgreiches Medikament mehr aus den eigenen Laborräumen auf den Markt gebracht. Die beiden aktuellen Top-Präparate, Rebif gegen multiple Sklerose sowie das Krebsmittel Erbitux, hat Merck schon vor Jahren zugekauft. 2014 wuchs die Pharmasparte nur um bescheidene 1,7 Prozent.
Der Weg von Merck in die Stagnation ist gepflastert mit gescheiterten Medikamenten. Die erhoffte Tablette gegen multiple Sklerose (MS) scheiterte ebenso wie ein Impfstoff gegen Krebs oder ein Mittel gegen Gehirntumor. Bei allen Medikamenten zeigte sich in den klinischen Tests, dass sie nur mangelhaft wirkten, beim Präparat gegen MS kam noch ein mögliches Krebsrisiko hinzu. Die Forschung und Entwicklung von Merck gehöre „zu den schlechtesten der Branche im vergangenen Jahrzehnt“, urteilte das amerikanische Analystenhaus Morningstar.
Zwar holte Konzernchef Kley den Bayern Stefan Oschmann, der inzwischen zu seinem Stellvertreter aufgestiegen ist und beste Chancen auf dessen Nachfolge hat, sowie die Spanierin Belen Garijo ins Haus. Beide gelten als fähige Chefs der Pharmasparte. Insbesondere Oschmann tauschte reihenweise Manager aus und strukturierte Forschung und Entwicklung um. So testet Merck neue Wirkstoffe nun früher und gründlicher als bisher.
Die zehn größten Akquisitionen in der Pharmabranche seit April 2014
Ursprungsland: Schweiz
Wert: 7,8 Mrd. Dollar
gekauftes Unternehmen: Intermune
Quelle: Unternehmensangaben
Ursprungsland: USA
Wert: 8,3 Mrd. Dollar
gekauftes Unternehmen: Cubist Pharmaceuticals
Quelle: Unternehmensangaben
Ursprungsland: Kanada
Wert: 11,6 Mrd. Dollar
gekauftes Unternehmen: Salix
Quelle: Unternehmensangaben
Ursprungsland: Deutschland
Wert: 14,2 Mrd. Dollar
gekauftes Unternehmen: Merck & Co OTC
Quelle: Unternehmensangaben
Ursprungsland: Schweiz
Wert: 14,5 Mrd. Dollar
gekauftes Unternehmen: GSK Onkologie
Quelle: Unternehmensangaben
Ursprungsland: USA
Wert: 16,5 Mrd. Dollar
gekauftes Unternehmen: Hospira
Quelle: Unternehmensangaben
Ursprungsland: USA
Wert: 19,8 Mrd. Dollar
gekauftes Unternehmen: Pharmacyclics
Quelle: Unternehmensangaben
Ursprungsland: USA
Wert: 20,8 Mrd. Dollar
gekauftes Unternehmen: Forest
Quelle: Unternehmensangaben
Ursprungsland: USA
Wert: 28,9 Mrd. Dollar
gekauftes Unternehmen: Perrigo
Quelle: Unternehmensangaben
Ursprungsland: USA
Wert: 65,0 Mrd. Dollar
gekauftes Unternehmen: Allergan
Quelle: Unternehmensangaben
Doch die eigene Medikamentenentwicklung braucht viel Zeit, jedenfalls mehr als der Kauf eines neuen Präparats per Firmenübernahme. Ob die von Merck derzeit entwickelten Medikamente, etwa gegen Krebs, endlich anschlagen, zeigt sich erst in einigen Jahren. „Der Turnaround in der Pharmaentwicklung ist erst dann wirklich geschafft, wenn wir ein neues Medikament registriert haben“, räumt Konzernchef Kley ein.
Kooperation mit Pfizer
Einen namhaften Partner konnte er allerdings kürzlich gewinnen. Gemeinsam mit dem US-Konzern Pfizer, dem Erfinder der Potenzpille Viagra, ist Merck eine Kooperation eingegangen: Beide Unternehmen wollen gemeinsam Medikamente auf den Markt bringen, die das körpereigene Abwehrsystem anregen sollen, bösartige Tumore zu bekämpfen. Im Erfolgsfall erhält Merck von Pfizer eine Prämie in Höhe von bis zu 2,3 Milliarden Euro. Doch der US-Partner ist keine Erfolgsgarantie. „Pfizer hat in der Vergangenheit auch nicht immer den besten Riecher gehabt“, sagt ein langjähriger Branchenbeobachter.
Ähnlich stur baut Boehringer auf die eigene Kraft. Jahrelang waren die Rheinland-Pfälzer ein Vorbild für Merck und standen für gutes Wachstum und jede Menge neue Top-Präparate. Alles vorbei: Der Erfolg hat die Ingelheimer offenbar nachlässig werden lassen. Der Umsatz schrumpft, der Gewinn stagniert. Das Top-Medikament Pradaxa gegen Schlaganfall hat die Erwartungen nicht erfüllt: Um Klagen in den USA wegen des angeblich höheren Blutungsrisikos abzuwehren, schloss Boehringer 2014 einen teuren Vergleich.