Unbeirrbare Grenzgänger Die Erfolgsgeschichte von Villeroy & Boch

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Frankreich und Deutschland

Der deutsche Keramikhersteller Villeroy & Boch will ab Herbst gemeinsam mit dem japanischen Sanitärtechnikriesen Toto in Deutschland das Dusch-WC ViClean Ultimate verkaufen und damit mittelfristig einen dreistelligen...
von Thomas Kuhn

Mal deutsch, mal französisch

Zu erwarten war der Verbleib der Franzosen in Preußen nicht. Schon 1840 wurden in Deutschland nationalistische Rheinlieder mit heftigsten Verbalattacken gegen die „Welschen“ gedichtet, und Reichskanzler Otto von Bismarck provozierte den deutsch-französischen Krieg. Nach dem Verlust von Elsass-Lothringen pflegte Frankreich einen starken Revanchismus. Im Ersten Weltkrieg metzelten sich die Nachbarn in den Gräben von Verdun nieder.

Danach oszillierte Villeroy & Boch regelrecht zwischen beiden Ländern. Erst gehörte das Unternehmen wieder zu Frankreich, weil das Saargebiet vom Deutschen Reich abgetrennt und wirtschaftlich von Paris für Reparationen ausgebeutet wurde. 1935 kam das Saarland dann unter die Verwaltung von Nazi-Deutschland. Nach dem Zweiten Weltkrieg lag es in der französischen Besatzungszone. Das Saarland einschließlich Mettlach erhielt den Sonderstatus eines französischen Protektorats mit eigener Staatsbürgerschaft. Dagegen begehrten die Einwohner auf. 1955 schließlich kam die Region, und damit auch Villeroy & Boch, per Volksabstimmung zur Bundesrepublik Deutschland.

Was die ganz Zeit über blieb, waren mit einigen Unterbrechungen die Absatzmärkte, die Villeroy & Boch bereits früh erschlossen hatte. Schon seit 1847 gingen größere Exporte nach Paris, Warschau und London, Moskau oder Sankt Petersburg. Auch Skandinavien, Italien, Spanien, Griechenland, die Schweiz und die Türkei gehörten zum Absatzgebiet. Etwa 1850 kamen Nord- und Südamerika hinzu.

„Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass es zu einem so frühen Zeitpunkt noch ein Unternehmen gab, das derart international unterwegs war“, sagt von Boch. Im August ist er 71 Jahre alt geworden. Den Adelstitel erhielt seine Familie 1892 von Kaiser Wilhelm II. Villeroy & Boch hatte längst auch Niederlassungen in Belgien und Luxemburg, ein Teil der Familie lebte auch dort. „Da fing es schon an, kompliziert zu werden“, sagt von Boch.

Erbfeindschaft, Revanchismus, Faschismus? Aufsichtsratschef von Boch schüttelt bei allen drei Wörtern energisch den Kopf. „Wir hatten gemeinsame Großeltern. Der Nationalismus, den man in und zwischen den Kriegen lebte, war für uns ein No-Go. Es war einfach nicht vorstellbar, weil wir eine ganz andere Kultur hatten.“ In seiner Familie habe es keine Nazis gegeben, weil diese politische Einstellung „uns völlig fremd war“.

So war die Villeroy & Boch-Erbin Martha von Boch-Galhau, die 1905 den Reaktionär und späteren Reichskanzler der Weimarer Republik, Franz von Papen, heiratete, dafür bekannt, dass sie Adolf Hitler verabscheute. Selbst in dessen Gegenwart verweigerte sie kategorisch den Hitler-Gruß. Im privaten Kreis sprach sie lieber Französisch als Deutsch. „Der kosmopolitische Geist unserer Familien prägt unsere Unternehmenskultur bis heute“, sagt von Boch.

Diesen Geist zu leben, war allerdings nicht immer einfach. Als das Saargebiet 1920 mit Inkrafttreten des Versailler Vertrags für 15 Jahre der Regierung des Völkerbundes unterstellt und wirtschaftlich dem französischen Zoll- und Währungsgebiet zugeschlagen wurde, durften die dortigen Werke das Deutsche Reich nicht mehr beliefern. Die Vorschrift hätte für Villeroy & Boch das Ende bedeuten können.

„Von 1870 an war das Unternehmen komplett in Richtung Deutschland ausgerichtet“, erzählt Vorstand Villeroy. „Unsere Home Base war Deutschland.“ Von Villeroy & Boch stammen beispielsweise die Fliesen für das berühmte 1300 Quadratmeter große Bodenmosaik im Kölner Dom. Ein Teil davon mit den Abbildungen von 93 Kölner Bischöfen, zahlreichen Wappen und Inschriften ist noch heute im Chorumgang zu sehen. Auch andere Kathedralen, Herrenhäuser, Banken und Schlösser wie Herrenchiemsee wurden von den Saarländern ausgestattet. Dass Villeroy & Boch trotzdem den Ausschluss vom deutschen Markt überlebte, lag daran, dass das Unternehmen zusätzliche Fabriken in Bonn, Torgau und Breslau kaufte, um im Reich Geschäfte machen zu können.

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