Unrühmlicher Spitzenreiter Deutschland hat ein Papier-Problem

Im Durchschnitt erhält jeder Deutsche 24 Pakete pro Jahr - die meisten sind aus Papier, Karton oder Pappe. Quelle: Imago

Deutschland ist beim Papierverbrauch Spitzenreiter der G20-Staaten. Besonders im Onlinehandel werden viele Papierverpackungen verwendet. Alternativen sind gefragt – umweltfreundliche zu finden ist jedoch schwierig.

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Das Internet macht vieles so einfach. Heute ein Ladekabel bestellen und morgen bequem ein Paket entgegennehmen. Aber wieso muss das die Größe eines Schuhkartons haben?

Es gehört zu den Dingen, die man als Onlinekunde lieber ausblendet: Waren im Internet zu bestellen ist nicht nur praktisch, es sorgt auch für Müll. Viel Müll. Der Boom des Onlinehandels treibt das gesamte Verpackungsaufkommen in die Höhe. In Deutschland macht es den größten Anteil am Verbrauch von Papier, Pappe und Karton aus. Aber muss der Versandhandel wirklich so viele Produkte in Papier, Pappe und Karton liefern oder gibt es Alternativen?

Papierverbrauch lässt sich schwer veranschaulichen

Auf Anfrage der Fraktion die Grünen hat die Bundesregierung die Entwicklung des Papierverbrauchs in Deutschland untersucht und kommt zu einem unrühmlichen Ergebnis: Kein anderes der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20) verbraucht so viel Papier wie die Bundesrepublik. Laut der Bundesregierung sind es 240 Kilogramm je Bürger pro Jahr. In der Antwort finden sich außerdem Angaben zu Energie- und Wasserverbrauch über den CO2-Ausstoß der Papierindustrie bis hin zum Papierverbrauch der Bundesregierung und ihrer nachgelagerten Behörden.

Die Zahlen des Berichts werden nun für allerlei symbolische Rechnungen verwendet. So behauptete die umweltpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion Bettina Hoffman gegenüber der Saarbrücker Zeitung, der Waldbedarf für die deutsche Papierproduktion umfasse eine Fläche von 40.000 Fußballplätzen, rein rechnerisch. Dabei machen unterschiedliche Produktions- und Erhebungsverfahren pauschale Aussagen zur Ökobilanzierung von Papier nahezu unmöglich.

Beispielsweise werden in Deutschland hauptsächlich Restholz und Sägespäne zu Zellstoff verarbeitet, der für die Papierherstellung notwendig ist. Die Recyclingquote liegt laut dem Verband Deutscher Papierfabriken (VDP) bei 76 Prozent. Andererseits importiert Deutschland aber auch Zellstoff für die Papierherstellung. Das Ergebnis einer veranschaulichenden Rechnung variiert zudem stark zwischen unterschiedlichen Regionen und der Art der Waldbewirtschaftung. Je detaillierter die Betrachtung, desto klarer wird: Der Fußballplatzvergleich hängt stark von der Berechnungsmethode ab.

Ähnlich verhält es sich mit den Angaben zum Pro-Kopf-Verbrauch von Papier, Karton und Pappe, denn er bezieht sich nur auf sogenannte Halbwaren, die teilweise noch weiterverarbeitet werden. „Verbräuche lassen sich aber nur auf Ebene der Fertigwaren sinnvoll interpretieren und vergleichen“, sagt eine Sprecherin des Bundesumweltministeriums (BMU). Dafür müssten auch der Nettoexport und mögliche Verluste bei der Produktion berücksichtigt werden. Laut BMU würde sich der jährliche Pro-Kopf-Verbrauch in Deutschland dadurch um fast 22 Kilogramm reduzieren.

Ebenfalls berücksichtig werden müsse die starke Exportwirtschaft, fordert der Interessenverband VDP. In den Logistiksystemen der Exporteure spiele Papier „eine wichtige Rolle“.

Die wichtigsten Fakten zum Papierverbrauch in Deutschland sind in der folgenden Grafik zusammengetragen.

Verpackungsboom durch Onlinehandel

Aus der Antwort der Bundesregierung geht hervor, dass insbesondere der Verbrauch von Papierverpackungen gestiegen ist. Ursache dieser Entwicklung sei die starke Zunahme des Onlinehandels. Tatsächlich hat dessen Umsatz in den letzten zehn Jahren stark zugelegt. Laut dem Online-Monitor des Handelsverband Deutschland (HDE) lag der Gesamtumsatz des Internethandels im Jahr 2018 bei 53,3 Milliarden Euro - vor zehn Jahren waren es noch 15,6 Milliarden. Und die Umsätze wachsen weiter, seit Jahren steigen sie um vier bis fünf Milliarden pro Jahr. „Jeder achte Euro des Einzelhandelsumsatzes wurde im letzten Jahr im Onlinehandel umgesetzt“, veranschaulicht eine Sprecherin des Bundesverbands E-Commerce und Versandhandel Deutschland (bevh) den Branchenumsatz.

Sie beteuert, Onlinehändler arbeiteten „stets daran, die optimale Versandverpackung für Ihre Produkte zu wählen“. Neben möglichst geringem Volumen und wenig Füllmaterial bedeute das auch möglichst dünne Verpackungen und einen hohen Altpapieranteil. Immer mehr Versandhändler würden zudem Mehrweg-Versandverpackungen testen oder schon verwenden, wie beispielsweise die Memo AG. Der Fachhändler für Bürobedarf hat für die Warenlieferung eine Mehrwegbox aus Recyclingkunststoff entwickelt. Nach Erhalt der bestellten Artikel sendet man die Box dann an das Unternehmen zurück.

„Es wäre gut, wenn solche Mehrwegverpackungen etabliert würden – allerdings sollte ein einheitliches System eingerichtet werden, da die zusätzlichen Transportwege ansonsten die Ökobilanz schmälern“, sagt Sonia Grimminger, Umweltchemikerin im Umweltbundesamt. Aktuell ist die Memo Box allerdings nur für Bestellungen bei Memo oder zum Kauf verfügbar. Möchte der Onlinehandel wirklich etwas gegen den Verpackungsmüll unternehmen, müssen jedoch die Branchenriesen mitziehen.

Onlinehändlern fehlen alternative Verpackungsarten   

Einer von ihnen ist Otto, nach Amazon der umsatzstärkste Onlineshop in Deutschland. Laut einem Otto-Sprecher gibt es bei dem Unternehmen zwei große Verpackungsarten: wiederverschließbare Tüten aus recyceltem Kunststoff und Kartons. „Aus Platz- und Umweltgründen versuchen wir, nicht alle Waren in Pappkartons zu verpacken. Tüten sind platzflexibel und lassen sich besser verstauen.“

Insgesamt verschicke der Onlinehändler rund zwei Drittel der Versandware in Tüten, das andere Drittel in Kartons. Pappe werde vor allem verwendet, um zu garantieren, dass die Ware unbeschadet beim Kunden eintrifft. Um das Verpackungsaufkommen dennoch gering zu halten, ermittelt eine Software bei einer eintreffenden Bestellung, in welchem Lager möglichst viele bestellte Produkte liegen, sagt der Otto-Sprecher: „Die Waren werden unverpackt gelagert. Wenn ein Kunde beispielsweise ein Handy, Socken und einen Regenmantel bestellt, werden die Produkte nach Möglichkeit gebündelt versendet.“ So ließen sich auch die Transportwege reduzieren.

Bei MediaMarkt und Saturn setzt man bei Versandware vor allem auf Kartonagen. „Wenn möglich, versenden wir Produkte aber auch als Großbrief. Wir haben von Anfang an auf diese beiden Verpackungsoptionen gesetzt“, erklärt eine Sprecherin der beiden Elektronikhandelsketten. Um weniger Verpackungsmaterial zu verbrauchen, arbeite man vor allem daran, die Produktverpackungen zu optimieren. Besonders verpackungssparend sei jedoch die Abholung der bestellten Ware in einem Markt vor Ort: „Wir bieten unseren Kunden auch die Möglichkeit ihre Bestellung direkt im nächstgelegenen Markt abzuholen. Mehr als jeder zweite Onlinekunde macht davon Gebrauch“, sagt die Sprecherin von MediaMarkt und Saturn.

Für reine Onlineversandhändler bietet sich diese Ausweichmöglichkeit nicht. Otto sucht daher nach alternativen Verpackungsformen, sagt der Unternehmenssprecher. Bisher hat das Unternehmen jedoch keine geeignete gefunden: „Wir testen immer wieder neue Materialien, aber es gibt keine Art, die unseren Ansprüchen genügt. Die Verpackungen müssen beispielsweise wasser- und reißfest sein“, sagt der Otto-Sprecher. Dieses Problem sieht auch der bevh: „Gerade bei zerbrechlicher Ware ist Papier eher ungeeignet für den Versand. Denn nichts ist nachhaltiger als das Produkt auf dem Weg zur Haustüre zu schützen“, sagt die Sprecherin des Versandhandelsverbands.

Es gibt also offenbar einen Markt für innovative Versandverpackungen – aber wer kann ihn bedienen und womit?

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