Unrühmlicher Spitzenreiter Deutschland hat ein Papier-Problem

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Sind die alternativen Verpackungen wirklich ökologischer?

Eine Idee für nachhaltige Verpackungen ist Graspapier. Wie der Name vermuten lässt, wird es aus Grasfasern hergestellt – deren Anteil am Endprodukt beträgt bis zu 50 Prozent. Vereinfacht erklärt wird dafür Heu gereinigt, in Fasern geschnitten, gemahlen und dadurch die Faser separiert – ein rein mechanischer Vorgang ohne chemische Aufbereitung.

Uwe D’Agnone ist Geschäftsführer der Creapaper GmbH. Er hat das Graspapier erfunden und ist von seinem Produkt überzeugt: „Für eine Tonne herkömmlicher Fasern benötigt man etwa drei Tonnen Holz. Um die Fasern dann zu separieren braucht man enorm viel Wasser und Energie, außerdem ist ein chemischer Vorgang nötig. Im Gegensatz dazu kann die Grasfaser ohne chemischen Prozess hergestellt werden und besteht zudem aus einem lokalen Rohstoff, der überall wächst“. Insgesamt spare man so 75 Prozent Emissionen gegenüber herkömmlichen Rohstoffen zur Papierherstellung, sagt D’Agnone. Zudem könne man die Faserstoffe für die Herstellung sämtlicher Papierprodukte verwenden.

D'Agnone erzählt, dass er derzeit viele Graspapiererzeugnisse an Supermarktketten, da die durch das neue Verpackungsgesetz bald viele Plastiktüten nicht mehr verwenden dürfen. Das Verbot von Einwegplastik beflügelt das Graspapiergeschäft mit Strohhalmen, Tellern oder Kaffebechern zusätzlich. Auch als Karton-Alternative für den Versandhandel will D'Argogne seine Erfindung positionieren: „Aktuell sind schon einige Versandhändler Kunden bei uns – die Branche passt zu uns wie gemalt.“ Einen Markt mit derart hohem Verbrauch zu bedienen, würde die Firma ihrem Ziel näherbringen, die Nachhaltigkeit im Papiersektor durch ihr Produkt zu verbessern.

Die umweltfreundlichste Verpackung zu finden, ist schwierig

Aber ist Graspapier wirklich so ökologisch korrekt? Nicolas Fuchshofen ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Internationalen Zentrum für Nachhaltige Entwicklung (IZNE) der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Er hat an einer Studie mitgearbeitet, die untersucht, inwieweit der Einsatz von Graspellets statt entsprechender Anteile an Frischfasern oder Altpapierstoff ökologische Vorteile bringen kann.

„Grasbasierter Zellstoff schneidet im von uns untersuchten Zeitraum bezüglich des Energie- und Wassereinsatzes sowie des Versauerungspotentials und der Emissionsbilanz deutlich besser ab als holzbasierter Sulfat-Zellstoff und Altpapierstoff“, sagt Fuchshofen. Das liege am relativ geringen Treibstoff- und Energieeinsatz im Produktionsprozess und an den vergleichsweise geringen Transportwegen. Die Studie wurde jedoch von Creapaper mitfinanziert, aktuell gibt es keine weiteren wissenschaftlichen Untersuchungen zur Ökobilanz von Graspapier.

Jukka Valkama, Leiter des Studiengangs Papiertechnik an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Karlsruhe (DHBW), sieht Graspapier dennoch kritisch. Für ihn steht fest: Gras ist kein Ersatz,- sondern ein Zusatzstoff für Papier. Er befürchtet, ein hoher Graspapieranteil könnte den Altpapierkreislauf gefährden: „Graspapier ist zwar recyclingfähig, aber es wird nicht wideraufbereitet. Die Fasern sind so groß, dass sie von den Maschinen im Recyclingprozess aussortiert werden. Außerdem bekommt man die grünliche Farbe nicht weg, das ist zum Beispiel für Printprodukte ungeeignet“.

Die aktuellen Mengen für Graspapier seien für den Altpapierkreislauf unerheblich, gleichzeitig sei der Markt für Graspapier jedoch so klein, dass es sich nicht lohne, das Recycling anzupassen. Somit werde es aktuell nur einmalig verwendet, erklärt Valkama. Er hält stattdessen recyclebare Wellpappe für die bestmögliche Option: „Unsere Altpapierkreisläufe funktionieren extrem gut. Papier ist hervorragend für Recycling geeignet und gleichzeitig ein biologisch abbaubares Naturprodukt. Die Devise sollte lauten: Altpapier, wenn es geht – Zellstoff, wenn nötig“.

Ökobilanzierung „betrachtet nicht die Realität“

Wie beim Fußballplatzvergleich oder dem Pro-Kopf-Verbrauch zeigt sich auch bei Graspapier: Die miteinbezogenen Aspekte entscheiden bei einem Nachhaltigkeitsvergleich häufig über das Ergebnis. „Theoretisch recyclinggeeignete Materialien werden als nachhaltig deklariert, obwohl sie in der Realität nicht rezyklierbar sind, also wieder dem Kreislauf zuführbar“, bemängelt Valkama. Zahlreiche Plastik und Hybridprodukte seien zwar theoretisch rezyklierbar, würden aber im Endeffekt im Ausland, in der Natur oder auf Deponien und Verbrennungsanlagen landen, anstatt wiederverwendet zu werden. „Bei der Ökobilanz von Verpackungen wird nicht die Realität betrachtet.“

Für Verbraucher ist also schwer nachzuvollziehen, welche Verpackungsart die umweltschonendste ist. Und selbst wenn können sie kaum beeinflussen, welche Verpackung der Versandhandel verwendet.

Wer sein Müllproblem und damit das Deutschlands verringern will, dem bleibt ohnehin vor allem eine Option: einfach weniger Verpackungen nutzen.

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