Das US-Pharma-Unternehmen Merck hat die Entwicklung von zwei Corona-Impfstoffen gestoppt. Frühe Testreihen hätten keine guten Ergebnisse gebracht, erklärte das Unternehmen in Kenilworth im US-Staat New Jersey am Montag. Deshalb werde sich Merck jetzt auf Medikamente zur Behandlung von Covid-19-Patienten konzentrieren. Merck hatte erst im Herbst mit ersten Tests für einen Corona-Impfstoff begonnen. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich die inzwischen zugelassenen Entwicklungen von Biontech und Pfizer sowie Moderna schon in der Endphase.
In frühen klinischen Studien der Phase-1 hätten die beiden Vakzine eine unzureichende Immunreaktion erzeugt, teilte der US-Pharmakonzern am Montag mit. Diese sei niedriger als die bei ehemaligen Covid-19-Patienten und auch schwächer als die Ergebnisse anderer Covid-19-Impfstoffe in klinischen Studien.
Die Ergebnisse seien „enttäuschend, und ein bisschen überraschend“, sagte Nick Kartsonis, zuständig für klinische Forschung für Infektionskrankheiten bei Merck Research Laboratories. Die Merck-Aktie drehte nach Bekanntgabe der Nachricht vorbörslich ins Minus. Auch die US-Aktienfutures gerieten leicht unter Druck. Ermutigende Testergebnisse lieferte hingegen Moderna: Das Impf-Mittel des Herstellers schützt den Angaben zufolge wohl auch vor den ansteckenderen britischen und südafrikanischen Varianten des Erregers. Das verlieh der Aktie der Biotechfirma Auftrieb. Sie steigt um 8,4 Prozent.
Wie sich die Corona-Impfstoffe unterscheiden
Forscher liefern sich weltweit ein Wettrennen um wirksame Impfstoffe gegen Covid-19. Alle Impfstoffkandidaten basieren auf demselben Grundprinzip: Dem Abwehrsystem des Körpers werden Teile des Coronavirus präsentiert (Antigene), auf die die Immunzellen eine Antwort (Antikörper) herausbilden und so eine Immunität gegenüber dem Krankheitserreger aufbauen.
Dabei gibt es ganz unterschiedliche Herangehensweisen, etwa, welche Antigen-Teile dem Immunsystem wie präsentiert werden. Hier stehen derzeit zwei Entwicklungslinien im Fokus:
- Impfstoffe mit Vektorviren, das bedeutet so viel wie "Träger-Viren"
- und die neuartigen mRNA-Impfstoffe.
Stand: 11. Mai 2021
mRNA-Impfstoffe enthalten Abschnitte aus dem Erbgut des Coronavirus, die sogenannte messenger-RNA (kurz mRNA), die auch als Boten-RNA bezeichnet wird. Hiervon wird eine sehr geringe Menge dem Menschen in den Muskel injiziert. Die Körperzellen nehmen die Partikel auf und entschlüsseln die enthaltene Erbinformation. Kurzzeitig produzieren sie ein sogenanntes Spike-Protein, das an der Oberfläche des Coronavirus sitzt. Es macht vereinfacht gesagt dem Immunsystem deutlich, dass hier etwas Körperfremdes zu finden ist, das es unschädlich zu machen gilt. Für dieses Oberflächenprotein bildet das Abwehrsystem also Antikörper, die es ihm bei einer späteren Infektion mit dem Coronavirus ermöglichen, den Eindringling schnell zu erkennen und sofort eine Immunantwort parat zu haben.
Studien haben gezeigt, dass hiervon keine Gefahr für den menschlichen Körper ausgeht. Die eingeschleusten Erbgut-Teilchen werden innerhalb kurzer Zeit von den menschlichen Zellen abgebaut. Sie werden nicht in die menschliche DNA eingebaut. Sobald die mRNA des Impfstoffs abgebaut ist, findet keine weitere Produktion des Antigens statt.
Die mRNA-Impfstoffe können innerhalb weniger Wochen in sehr großen Mengen hergestellt werden. Sie bringen jedoch die Herausforderung mit sich, dass sie nach derzeitigem Forschungs- und Entwicklungsstand bei extrem niedrigen Temperaturen transportiert und dauerhaft gelagert werden müssen (-20 bis -80 Grad Celsius). Deshalb werden sie vorrangig in speziell dafür ausgerüsteten Impfzentren verabreicht. Hier soll der Moderna-Impfstoff allerdings einen Vorteil haben: Laut dem Hersteller kann er bis zu 12 Stunden bei Raumtemperatur und 30 Tage im Kühlschrank (2 bis 8°C) gelagert werden.
Für vektorbasierte Impfstoffe werden für Menschen harmlose Viren als kleine Transporter zweckentfremdet – sozusagen als trojanisches Pferd. Die Viren werden so verändert, dass sie in ihrem Erbgut auch den Bauplan für einen oder mehrere Bestandteile (Antigene) desjenigen Erregers enthalten, gegen den eine Immunität (Antikörper) aufgebaut werden soll. Das Prinzip ist immer das gleiche: Die menschlichen Zellen sollen auch hier Teile des Spike-Proteins des Coronavirus herstellen, damit das Immunsystem "weiß", wen es angreifen soll.
Auch hier werden die Viren-Erbinformationen nicht in die menschliche DNA eingebaut. Nach dem Abbau der von den Vektorviren übertragenen Erbinformation findet keine weitere Produktion des Antigens statt.
Vektorimpfstoffe wurden bereits zugelassen (zum Beispiel Ebola-Impfstoffe). Die Corona-Impfstoffe der Firmen AstraZeneca und Johnson & Johnson (J&J) sind Vektorimpfstoffe. Diese haben gegenüber den mRNA-Impfstoffen den Vorteil, dass sie bei Temperaturen von 2 bis 8 Grad Celsius transportiert und gelagert werden können. Das macht ihren Einsatz in normalen Hausarztpraxen simpler. Das J&J-Präparat hat zudem den Vorteil, dass es nur einmal verabreicht werden muss. Die drei anderen bislang in Deutschland zugelassenen Corona-Impfstoffe (von AstraZeneca, Biontech/Pfizer und Moderna) müssen zwei Mal gespritzt werden.
Quelle: RKI, eigene Recherche
Der US-Pharmakonzern Merck war erst vergleichsweise spät ins Rennen um einen Corona-Impfstoff eingestiegen. Dafür hatte Merck & Co im Mai 2020 die Übernahme des österreichischen Impfstoffherstellers Themis Bioscience angekündigt. Der Impfstoff von Themis, der in Zusammenarbeit mit dem Institut Pasteur in Paris entwickelt wurde, basiert auf einem modifizierten Masernvirus, das Teile des Coronavirus in den Körper abgibt. Das Projekt wurde durch die internationale Impfinitiative CEPI finanziell unterstützt.
Merck & Co wollte zudem in einer Zusammenarbeit mit der Internationalen Aids-Impfstoffinitiative IAVI einen weiteren Impfstoff entwickeln, der auf der gleichen Technologie wie der Ebola-Impfstoff Ervebo des US-Konzerns basiert. Wegen des Fehlschlags in der Impfstoffentwicklung werde im vierten Quartal eine Sonderbelastung vor Steuern anfallen, kündigte Merck & Co an, ohne eine genaue Summe zu nennen.
Die Entwicklung von zwei Medikamenten zur Behandlung von Covid-19 will das Unternehmen dagegen weiter vorantreiben. Ergebnisse aus den klinischen Studien mit den beiden Mitteln sollen noch im ersten Quartal veröffentlicht werden. Für eines der beiden Mittel namens MK-7110 hatte Merck & Co im Dezember eine Liefervereinbarung im Wert von bis zu 356 Millionen Dollar (knapp 293 Millionen Euro) mit der US-Regierung getroffen. Sollte es zugelassen werden, könnte Merck bis Ende Juni bis zu 100.000 Dosen davon liefern.
Weltweit befinden sich nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO derzeit 64 Impfstoffprojekte in der klinischen Entwicklung, davon 16 in der entscheidenden dritten Phase. Während Firmen wie die Partner Pfizer/Biontech, Moderna und AstraZeneca schon Notfallzulassungen erhielten, mussten andere auch schon Rückschläge verkraften. So muss der französische Pharmakonzern Sanofi wegen unbefriedigender erster Studienergebnisse eine weitere Studie starten, weshalb es bis zu einer möglichen Zulassung des Vakzins deutlich länger dauern wird als gedacht.
Die Europäische Union hat – im Gegensatz zum verspäteten Sanofi-Impfstoff – laut der offiziellen europäischen Impfstoffstrategie keine Dosen beim US-Konzern Merck geordert. Laut der Webseite der Europäischen Kommission gab es auch keine Sondierungsgespräche mit Merck.
Große Hoffnungen ruhen alldieweil auf dem Impfstoffkandidaten des US-Konzerns Johnson & Johnson. Bei diesem soll nur eine Verabreichung des Vakzins nötig sein; bei den bereits im Einsatz befindlichen Mitteln von Biontech und Moderna sind zwei Gaben notwendig. Das Präparat soll zudem monatelang bei Kühlschranktemperaturen lagerfähig und zudem noch günstiger sein, als die bisher zugelassenen Impfstoffe. 200 Millionen Einheiten hat die Europäische Kommission bei Johnson & Johnson bestellt – mit der Option für weitere 200 Millionen. Das Vakzin ist aber bisher noch nicht zugelassen.
Mehr zum Thema: Vakzine sind die großen Hoffnungsträger. Doch in Deutschland werden sie nicht im selben Tempo verabreicht wie in manch anderem Land. Woran es liegt, wie es besser ginge.