
Das Bundeskartellamt lässt bei den deutschen Stahlunternehmen nicht locker: Erneut durchsuchte die Behörde wegen des Verdachts kartellwidrigen Verhaltens mehrere Branchengrößen, wie das Kartellamt am Montag mitteilte und damit einen Bericht der "Rheinischen Post" bestätigte. Diesmal seien Unternehmen im Bereich Flachstahl betroffen. Am 22., 23. und 24. August seien insgesamt sieben Firmen sowie drei Privatwohnungen durchsucht worden. Namen nannte das Kartellamt nicht. Salzgitter und Arcelor Mittal räumten auf Nachfrage ein, von den Untersuchungen betroffen zu sein.
Am 22. August wurden laut Salzgitter mehrere Gesellschaften des Konzerns inspiziert. Das Unternehmen habe die geforderten Unterlagen zur Verfügung gestellt. Auch Arcelor erklärte, es habe Ende August in seinen deutschen Niederlassungen Durchsuchungen wegen Kartellverdachts gegeben. Der weltgrößte Stahlkonzern fügte hinzu, er kooperiere vollständig mit den Behörden.
"Manager-Magazin.de" berichtete unter Berufung auf Verbandskreise, dass das Bundeskartellamt auch gegen die Wirtschaftsvereinigung Stahl ermittle. Bereits im Januar seien die Geschäftsräume der Interessenorganisation im Zuge eines Ermittlungsverfahrens gegen Edelstahlhersteller durchsucht worden. Anfang vergangener Woche hätten die Kartellwächter den Verband darüber informiert, dass die Behörde ihre Ermittlungen mit zwei weiteren Verfahren gegen die Wirtschaftsvereinigung und gegen einzelne Stahlhersteller ausgeweitet habe. Ein Verbandssprecher lehnte eine Stellungnahme ab.
Fragen & Antworten: Jedes zweite Kartellverfahren wird durch Kronzeugen aufgedeckt
Der Verdacht gegen große deutsche Autobauer, ein Kartell gebildet zu haben, wiegt schwer. Sollte es zutreffen, dass sich - wie der „Spiegel“ am 21. Juli 2017 berichtet - Volkswagen, Audi, Porsche, BMW und Daimler über Jahre untereinander unter anderem über Technik und Kosten absprachen, wäre dies ein neuer, aufsehenerregender Fall. Der Kampf der Wettbewerbshüter für mehr Markttransparenz ist im 60. Jahr des deutschen Kartellrechts aktueller denn je. Zentrales Thema des Bundeskartellamts mit seinem Chef Andreas Mundt ist der Schutz der Verbraucher. Neben der Wettbewerbsaufsicht zählen auch noch die Fusionskontrolle sowie die Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen zu den Aufgaben der Behörde.
Quelle:dpa
Definiert ist es als Zusammenschluss von Unternehmen, die rechtlich und wirtschaftlich weitgehend selbstständig bleiben, aber etwa durch Preisabsprachen den Wettbewerb ausschalten. Tatsächlich ist es das erklärte Ziel des Bundeskartellamts, den Wettbewerb gegen jede Beschränkung zu schützen. Dabei kann es um rechtswidrige Absprachen über Preise zwischen einzelnen Unternehmen oder in ganzen Branchen gehen. Hintergrund ist die Überzeugung, dass Kartelle den Wettbewerb aushebeln und damit den „Motor der Marktwirtschaft“ zum Schaden von Kunden und Verbrauchern zum Stottern bringen. Dies kann etwa durch künstlich hoch gehaltene Preise oder beschränkte Mengen geschehen.
Kartellstrategien werden in der Regel im Geheimen besprochen, sie sind daher nur schwer aufzudecken und nachzuweisen. Bei seinen Ermittlungen ist das Bundeskartellamt daher weitgehend auf Hinweise von Eingeweihten angewiesen. Auf ihrer Internet-Seite fordert die Behörde offensiv: „Melden Sie sich bei uns, wenn Sie Hinweise auf illegale Absprachen haben!“ Dabei werden auch anonyme Hinweise telefonisch oder schriftlich entgegengenommen. Eine Rückverfolgung derartiger Hinweise ist dabei technisch ausdrücklich ausgeschlossen. Dazu kommen eigene Ermittlungen etwa auf der Grundlage anderer Verfahren, wenn die Verhältnisse in einem Markt verdächtig scheinen.
An einem Kartell Beteiligte haben so die Chance, im günstigsten Fall durch die sogenannte Kronzeugenregelung straffrei zu bleiben. Etwa jedes zweite Verfahren wird so ins Rollen gebracht. Derartige Anträge können jedoch nicht anonym gestellt werden. Es gilt dabei eine abgestufte Bonusregelung: Nur wer sich offenbart, bevor auch nur der leiseste Anfangsverdacht besteht, kann auf die vollen 100 Prozent hoffen. Eine spätere Kooperation wird nur noch mit abgestuften Abschlägen an einem späteren Bußgeld honoriert.
Das Bundeskartellamt verhängt Bußgelder, es vertritt aber nicht die möglichen Schadenersatz-Forderungen von Betroffenen. Kartell-Geschädigte müssen ihre Ansprüche daher in separaten Verfahren notfalls vor Gericht durchsetzen. Dabei steigen die Chancen jedoch deutlich, wenn die Wettbewerbsbehörde zuvor ein offizielles Kartellverfahren eingeleitet und vielleicht schon abgeschlossen hat.
Das Bundeskartellamt ermittelt in den unterschiedlichsten Branchen. In der jüngsten Zeit hatten unter anderem Verfahren gegen Zuckerhersteller und Bierbrauer für Schlagzeilen gesorgt. Aber auch Autozulieferer sind ins Visier der Bonner Kartellwächter geraten.
Beim deutschen Branchenprimus Thyssenkrupp gab es nach Angaben eines Firmensprechers hingegen keine Durchsuchungen. Der Konzern habe aber das vorläufige Ermittlungsergebnis des Kartellamtes der seit 2015 laufenden Untersuchungen erhalten. "Im Verdacht stehen insbesondere Absprachen bei der Festlegung von Zuschlägen bei Edelstahlprodukten beziehungsweise legierten Stählen", hieß es in einer Stellungnahme von Thyssenkrupp. Das Kartellamt habe zudem mitgeteilt, dass es seine Ermittlungen auf weitere Stahlprodukte ausgeweitet habe. "Wir nehmen die Vorgänge sehr ernst und unterstützen die Ermittlungen der Behörde, können aufgrund der laufenden Verfahren derzeit jedoch keine weiteren Angaben machen." Auch der Stahlhändler Klöckner & Co erklärte, von den Razzien nicht betroffen gewesen zu sein.
Das Kartellamt hat seit längerem die Stahlunternehmen im Visier. Seit Ende 2015 läuft ein Verfahren im Bereich Edelstahlproduktion und –vertrieb. Im Sommer vergangenen Jahres wurden sechs Firmen im Bereich des Einkaufs von Stahl durch die Automobil- und Automobilzulieferindustrie durchsucht. Im Juni 2017 durchleuchtete die Behörde drei Auto-Zulieferer aus der Schmiedebranche.
Durchsuchungsbeschlüsse setzen einen Anfangsverdacht für einen Kartellrechtsverstoß voraus, bis zum Abschluss des Verfahrens gilt aber die Unschuldsvermutung. Bestätigt sich der Verdacht der Wettbewerbshüter, können sie mit empfindlichen Geldbußen reagieren. Theoretisch kann das Kartellamt Firmen mit bis zu zehn Prozent ihres Jahresumsatzes belangen - in der Praxis schöpft die Behörde diesen Rahmen aber nicht aus. Die konkrete Höhe des Bußgeldes ist abhängig von der Schwere und der Dauer der Tat. Rekordbußgelder in einer Höhe von mehr als 700 Millionen Euro verhängte die Behörde etwa 2003 gegen die Mitglieder eines Zement-Kartells. Gerichte reduzierten die Strafsumme später aber deutlich auf rund 400 Millionen Euro.