Voestalpine "Wir sind kein Stahlunternehmen mehr"

Wolfgang Eder, Chef des österreichischen Stahlkonzerns Voestalpine und Präsident des Weltstahlverbands, erklärt im Interview mit der WirtschaftsWoche, warum Voestalpine kein Stahlunternehmen mehr ist und welche Zukunft das Stahlgeschäft in Europa noch hat.

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Wolfgang Eder Quelle: Voestalpine AG

WirtschaftsWoche: Herr Eder, die deutschen und europäischen Stahlunternehmen ächzen unter weltweiten Überkapazitäten und niedrigen Preisen. Müssen es nun wieder Staat beziehungsweise EU richten und den europäischen Unternehmen mit weiteren Schutzzöllen zu Hilfe eilen?

Wolfgang Eder: Ich bin ganz sicher kein Freund von Schutzzöllen oder Anti-Dumping-Maßnahmen. Allerdings gibt es Situationen, in denen sie der einzige kurzfristige Ausweg sind, um Märkte auf Kurs zu halten. In einer solchen Situation sind wir jetzt. Wenn unangemessen gepreiste, weil subventionierte Produkte aus China oder woanders her kommen, muss man sich wehren. Schutzzölle können aber immer nur eine Übergangsmaßnahme und nie eine Dauerlösung sein. Dauerlösung kann nur sein, die Strukturen zu optimieren und die Kapazitäten dem Bedarf anzupassen. In China genauso wie anderswo, einschließlich Europas.

Im „Handelsblatt“ haben Sie unlängst angeregt, europaweit auch Werksschließungen anzudenken. Sollten Sie dann nicht in Österreich zuerst mit solchen Schließungen beginnen? 

Ich würde sicher nicht über solche Maßnahmen reden, wenn ich nicht persönlich sehr intensive Erfahrungen damit gemacht hätte. Voestalpine war 1985 praktisch pleite. Sie hatte damals allein in Linz 30.000 Beschäftige. Binnen drei Jahren haben wir die Belegschaft auf unter 15.000 Leute abgebaut – aber sozialverträglich. Wenn Unternehmen und die zuständigen politischen Entscheidungsträger einschließlich der Gewerkschaften in einem gemeinsamen Kraftakt zusammenstehen, kann man auch solche strukturellen Anpassungsmaßnahmen in für die Menschen verträglicher Form setzen. Man wird auch in Zukunft um solche Schritte nicht herumkommen, denn wenn heute jemand glaubt, wir können weiter mit über 200 Millionen Tonnen Kapazitäten an Stahl in Europa leben, dann verkennt er die Realität. Das sind strukturell einfach 30 bis 40 Millionen Tonnen zu viel.

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In welchen Ländern müssten Stahlwerke schließen?

Sie werden darauf jetzt keine Antwort erwarten. Welche Stahlwerke weiter bestehen, entscheidet sich alleine über den Modernitätsgrad der Werke und die Konkurrenzfähigkeit ihrer Produkte. Je einfacher die Produkte, desto kritischer die Position. Daran bemisst sich letztlich, wie zukunftssicher Unternehmen sind - oder eben nicht. Das gilt ja nicht bloß für die Stahlindustrie. Denken Sie nur an die Automobilindustrie: Dort werden ja auch Werke geschlossen. Und die haben zum Teil wesentlich mehr Beschäftigte als viele Stahlunternehmen.

Unter dem aktuellen Druck scheinen viele Unternehmen in der Stahlbranche ihr Glück in der Konsolidierung zu suchen. Thyssenkrupp redet etwa aktuell mit dem indischen Konkurrenten Tata...

..wir reden mit niemandem.

Warum nicht?

Wir sind kein Stahlunternehmen mehr. Gerade noch 30 Prozent unseres Umsatzes kommen aus dem Stahl, aber auch in dem Bereich stellen wir keine einfachen Spot-Markt-Produkte her. 70 Prozent unseres Umsatzes entfallen auf anspruchsvolle halbfertige oder fertige Produkte oder ganze Systeme. Wir liefern zum Beispiel komplette Eisenbahnstrecken mit  allen Signal- und Sicherheitseinrichtungen. So wurde etwa der gesamte Sankt-Gotthardt-Tunnel von der Voestalpine bahntechnisch ausgestattet. Im Automotive-Bereich liefern wir zum Beispiel Autokomponenten aus verschiedensten Materialien. Das hat mit klassischer Stahlindustrie nichts mehr zu tun.

"Je anspruchsvoller der Stahl, desto besser für Europa"

Wir gehören mittlerweile auch zu den größten Aluminiumverpressern in Europa außerhalb der Autoindustrie. Wir haben keine Berührungsängste mit anderen Materialien und setzen zum Beispiel auch Titan ein. Das alles ist Konsequenz daraus, dass wir uns über die vergangenen 15 Jahre nicht für eine mengen- sondern eine qualitäts- und wertschöpfungsorientierte Strategie entschieden haben. Deshalb sehen wir unsere Zukunft auch sicher nicht in der Übernahme anderer Stahlunternehmen, was übrigens auch aus Investorensicht Wertvernichtung wäre.

Hat Stahl überhaupt noch Zukunft in Europa? Wenn Länder wie China oder Russland ohnehin viel kostengünstiger produzieren können, warum verabschieden wir uns dann nicht vom Stahl. Ähnliches geschah ja auch in der Textilindustrie oder Mobilfunkproduktion.

Wenn das passieren sollte, würden langfristig wohl die meisten Wertschöpfungsketten, die Stahl als Basis haben, aus Europa verschwinden. Wenn in Europa kein Stahl mehr erzeugt wird, dann stellt sich die Frage, was etwa mit der Automobilindustrie, mit dem Maschinenbau, mit großen Teilen der Konsumgüterindustrie passiert. Für Europa, das von der Industrie lebt, wäre das ein Fanal und würde das Wohlstandsniveau und die soziale Sicherheit absolut in Frage stellen. Die Frage ist ja nicht, ob wir in Europa Stahl brauchen oder nicht, sondern welchen Stahl wir brauchen. Je anspruchsvoller der Stahl, desto besser für Europa. Je einfacher, umso kritischer. Ich bin zutiefst überzeugt, dass Unternehmen mit anspruchsvollen Stählen eine hervorragende Zukunft haben. Denn zentrale Industriesegmente in Europa leben vom Stahl.

Die größten Stahlhersteller

Wie könnte die Zukunft der europäischen Stahlbranche aussehen?

Man wird in hochentwickelten Ländern wie Europa oder Japan immer weniger Massenstähle brauchen. Andererseits ist Stahl der Werkstoff mit den größten Möglichkeiten der Weiterentwicklung. Stahl ist eben nicht gleich Stahl. Es ist ein Werkstoff, mit dem man immer wieder Neues schaffen kann. In unseren Werken in Linz und Donawitz erzeugen wir heute etwa völlig andere Produkte als noch vor 15 oder 20 Jahren. Nehmen Sie etwa den Automotive-Bereich: In jeder zweiten Autogeneration – und eine Autogeneration dauert etwa sieben Jahre – haben Sie hundert Prozent aus Stählen, die es davor noch gar nicht gab. Da sieht man wie groß das Innovationspotential des Werkstoffes nach wie vor ist.

Schaufelräder, Zementwerke und U-Boote
Künftig soll das reine Stahlgeschäft wie etwa die Produktion von veredelten Blechen für die Automobilindustrie nur noch 30 Prozent des Konzern-Geschäfts ausmachen. Dennoch bleiben Blechrollen wie diese ein Kernprodukt. Quelle: PR
Rolltreppen und Fahrsteige – etwa in Flughafen-Terminals – gehören ebenfalls zum ThyssenKrupp-Produktspektrum. Dieses Foto ist in einem Essener Einkaufszentrum aufgenommen worden. Quelle: PR
Allen Negativ-Schlagzeilen zum Konzern trotzt das Aufzuggeschäft von ThyssenKrupp. Vor allem starke Absatzzuwächse in Asien erfreuen das Unternehmen. Das Bild zeigt ein System mit zwei Kabinen in einem Aufzugschacht beim Einbau in der Essener Konzernzentrale Anfang 2010. Quelle: PR
Für die Automobilindustrie bietet ThyssenKrupp auch den Aufbau von Anlagen, die etwa automatisch Fahrwerke oder andere Komponenten einbauen. Quelle: PR
ThyssenKrupp setzt vermehrt auf Planung und Bau ganzer Chemie- und Industrieanlagen. Im Bild ein Zementklinkerwerk im Senegal. Quelle: PR
Dieses Schaufelradladgeärt steht im Hafen von Rotterdam und wird zur Verladung von Eisenerz eingesetzt. Geliefert wurde es von der ThyssenKrupp-Sparte „Plant Technology“. Quelle: PR
Großwälzlager von ThyssenKrupp kommen etwa in Kränen zum Einsatz, die schwere Lasten bewegen. Quelle: PR

Nehmen Sie etwa den Bereich der sogenannten hochfesten Stähle, die überhaupt erst in letzten zehn Jahren entstanden sind. Dieser Werkstoff wird im Automobilbau bis 2030 am stärksten wachsen, und nicht etwa Aluminium oder Carbon. Die Möglichkeiten des Stahls sind heute bei weitem nicht ausgeschöpft, da kommt noch sehr vieles nach. Wer da vorne dabei ist, muss sich keine Sorgen machen, vorausgesetzt er investiert konsequent weiter in Innovation und Technologie.

Was bedeutet die derzeitige Entwicklung für die Stahlpreise? Wie werden sich die Stahlpreise in Europa entwickeln?

Persönlich glaube ich, dass der Stahlsektor gar keine so schlechte kurzfristige Entwicklung vor sich hat. Zum ersten Mal seit fünf Jahren ist über den Sommer der Stahlpreis nicht eingebrochen. Das und steigende Rohstoffkosten deuten  darauf hin, dass gegen Jahresende vor dem Hintergrund einer recht stabilen Nachfrage die Preise tendenziell nochmals steigen könnten. Alles in allem also auch eine eher positive Ausgangslage für den Jahresbeginn 2017.

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