Volkswagen Herantasten an die neue Bescheidenheit

Den ersten Automessen-Konzernabend seit dem Dieselskandal feiert Volkswagen in Genf. Die Botschaft ist unüberhörbar: „Dass früher alles sehr viel größer und toller war, stört uns überhaupt nicht!“

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VW-Chef Matthias Müller (links) beim Genfer Volkswagen-Konzernabend zusammen mit Herbert Diess, Markenvorstand von Volkswagen. Quelle: dpa

Schon die Einladung zeigt, dass man bei VW ganz bewusst weg will vom alten Großmannsstreben: „Get Closer, New Perspectives“, lautete das Motto der ersten Volkswagen-Vorabendveranstaltung bei einer großen Automesse seit der Dieselaffäre.

Statt weit über tausend Gästen wie früher waren jetzt nur 400 geladen. Statt in die ehrwürdige Halle Secheron ging es in die Halle 7 des Messegeländes am Flughafen. Und statt eines anderthalbstündigen Programms mit vielen Showeffekten, DJs, tanzenden Robotern, Chrom, PS und aufheulenden Motoren gab es diesmal lediglich zwei Reden. Die eine von Konzernchef Matthias Müller, das war wie immer. Die andere von Johann Jungwirth. Das war erstaunlich.

Denn Jungwirth ist weder Vorstand noch ein Mann mit besonders viel Erfahrung im VW-Reich. Erst seit November ist er an Bord. Da hatte der 42-Jährige den neu geschaffenen Fachbereich Digitale Strategie übernommen. Und weil die Autoindustrie gerade mitten im Wandel steckt, ist er natürlich Chief Digital Officer, also CDO.

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Wandler zwischen den Welten

Er selbst nennt sich nur „jj“, deswegen nennen sie ihn im Konzern jetzt auch alle so. Solche Leute brauchen sie jetzt. Stehen doch nicht mehr Hubraum, Drehmoment oder am Ende gar ein Dieselmotor für die Autohersteller im Mittelpunkt, sondern Digitalisierung, alternative Antriebe und autonomes Fahren.

Erst am Montag hatte Audi-Chef Rupert Stadler im Handelsblatt-Interview gesagt, dass es in Ingolstadt bald einen Chief Digital Officer geben soll, der am Vorstand angedockt ist. In Wolfsburg haben sie den schon. Und Konzernchef Matthias Müller stellt seinen neuen Mann gleich ins mediale Schaufenster.

Der war bei Daimler und anschließend bei Apple, kennt also Neckar Valley und Silicon Valley. Ein Wandler zwischen den Welten, wie man sich ihn in der sinnsuchenden Branche momentan wünscht. Ein Mann also, der für Aufbruch und Fortschritt steht.

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500 Exemplare wird es vom Chiron nur geben, gut 200 sind bereits verkauft Quelle: Bugatti
Flankiert wird das Hufeisen von den flachsten Voll-LED-Scheinwerfern im Autobau, die acht Leuchtquadrate sind neun Zentimeter hoch Quelle: Bugatti
Bugatti Chiron Quelle: Bugatti
Bugatti-Lenkrad Quelle: PR
Oder die Bugatti-Linie genannte, seitliche C-Spange, hinter der sich die Lufteinlässe für den Mittelmotor verbergen Quelle: Bugatti
Bugatti Chiron Quelle: Bugatti
Bugatti Chiron Quelle: PR

Deswegen erscheint er jetzt auch nur im Hemd, ohne Jackett und Krawatte. Und kokettiert sogar damit. „Ein echter Vertreter aus dem Silicon Valley wäre jetzt mit Schlappen, Jeans und schwarzem Shirt gekommen“. Soviel Unterschied muss selbst beim neuen Volkswagen-Konzern sein. Zumal da ja immer noch die lästige Dieselaffäre ist.


Neuanfang für VW in Genf

Die Dieselaffäre lässt den Autobauer auch an diesem Montag vor Beginn von Europas wichtigster Automesse nicht in Ruhe. „2016 ist das Jahr, in dem wir das Problem mit unseren Dieselmotoren lösen wollen. Und 2016 ist zugleich das Jahr, in dem wir das Fundament legen für ein neues, ein besseres Volkswagen“, verwob Konzernchef Müller Altlast mit Vision.

Dabei ließ er auch die neue Atmosphäre als Sinnbild für Aufbruch sprechen: „Das Volkswagen Loft statt der großen Halle, konzentrierte Gespräch statt der großen Schau.“ So soll es jetzt sein im größten deutschen Konzern.

Zumindest an die Kleiderordnung hält er sich noch ganz traditionell. Weißes Hemd, grau-brauner Anzug, dazu passend eine karierte Krawatte. Trotz all der Worte vom Aufbruch und vom Neuanfang ist Volkswagen schließlich noch immer Aktiengesellschaft, Familien- und Staatsunternehmen in einem.

Der Genfer Auto-Salon ist in Europa die Messe Nummer eins für Volkswagen nach Bekanntwerden der Diesel-Affäre. Und sie soll irgendwie auch für Neuanfang stehen. Im September, zur Hälfte der zweiwöchigen IAA in Frankfurt, war der größte Skandal in der Unternehmenshistorie publik geworden.

Seither ist in Wolfsburg nichts mehr wie es war. Schon Anfang des Jahres wollten sie deswegen alles besser machen. Aufräumen, den Neuanfang im Konzern auch mit neuer Offenheit in die Tat umsetzen.

Das neue Who is Who im VW-Konzern
Stefan Knirsch Quelle: Audi
Hinrich Woebcken Quelle: dpa
Neuer Generalbevollmächtigter für die Aggregate-Entwicklung: Ulrich EichhornVolkswagen hat einen neuen Koordinator für die Aggregate-Entwicklung auf Konzernebene. Der WirtschaftsWoche bestätigte Ulrich Eichhorn, dass er im Frühjahr zu VW zurückkehrt. Der 54-Jährige kommt vom Verband der Deutschen Automobilindustrie (VDA), wo er die Verantwortung für die Bereiche Technik und Umwelt inne hatte. Zuvor war Eichhorn neun Jahre lang Entwicklungsvorstand bei der VW-Tochter Bentley. Eichhorn wird nicht Mitglied des Vorstands, sondern berichtet als Generalbevollmächtigter direkt an VW-Chef Matthias Müller – ähnlich wie der neue Chef-Stratege Thomas Sedran. Quelle: Presse
Der neue Generalbevollmächtigte für Außen- und Regierungsbeziehungen: Thomas StegEs ist kein Wechsel der Funktion, sondern der Zuordnung: Thomas Steg ist seit 2012 Generalbevollmächtigter des Volkswagen-Konzerns für Außen- und Regierungsbeziehungen. Bislang war dieser Bereich Bestandteil der Konzernkommunikation. Jetzt ist das Team um Steg als eigenständiger Bereich in das Ressort von VW-Chef Matthias Müller zugeordnet, an den Steg persönlich berichtet. Der diplomierte Sozialwissenschaftler wird zusätzlich das Thema Nachhaltigkeit verantworten. „Mit der Bündelung der Konzernzuständigkeiten und der neuen Zuordnung des Themas Nachhaltigkeit trägt Volkswagen dessen wachsendem Gewicht Rechnung“, teilte der Konzern mit. Steg begann seine berufliche Laufbahn 1986 als Redakteur der Braunschweiger Zeitung. Danach war er Pressesprecher zunächst des DGB Niedersachsen/Bremen, ab 1991 des Niedersächsischen Sozialministeriums und ab 1995 der SPD-Landtagsfraktion Niedersachsen. 1998 übernahm er im Bundeskanzleramt die stellvertretende Leitung des Büros von Bundeskanzler Gerhard Schröder, ab 2002 war er stellvertretender Regierungssprecher, ab 2009 selbstständiger Kommunikationsberater. Quelle: Presse
Der neue VW-Entwicklungsvorstand: Frank WelschKurz nach dem Bekanntwerden von Dieselgate wurde der Entwicklungsvorstand der Marke VW, Heinz-Jakob Neußer, beurlaubt. Bei der Aufsichtsratssitzung am 9. Dezember ernannte das Kontrollgremium Frank Welsch zu seinem Nachfolger. Der promovierte Maschinenbau-Ingenieur ist seit 1994 im Konzern. Über verschiedene Stationen in der Karosserie-Entwicklung, als Entwicklungsleiter in Shanghai und Leiter der Entwicklung Karosserie, Ausstattung und Sicherheit der Marke Volkswagen arbeitete er sich zum Entwicklungsvorstand von Skoda hoch. Diesen Posten hatte Welsch seit 2012 inne.Sein Vorgänger Neußer verlässt den Konzern allerdings nicht, sondern steht laut VW-Mitteilung "dem Unternehmen für eine andere Aufgabe zur Verfügung". Quelle: Volkswagen
Der neue VW-Beschaffungsvorstand: Ralf BrandstätterRalf Brandstätter wird Vorstand für Beschaffung der Marke Volkswagen. Der 47-Jährige folgt in seiner neuen Funktion auf Francisco Javier Garcia Sanz, der die Aufgabe als Markenvorstand in Personalunion zusätzlich zu seiner Funktion als Konzernvorstand für den Geschäftsbereich Beschaffung wahrgenommen hatte. In Zukunft wird Garcia Sanz zusätzlich zu seinen Aufgaben als Konzernvorstand Beschaffung die Aufarbeitung der Diesel-Thematik betreuen. Brandstätter kam 1993 in den Konzern. Seit dem ist der Wirtschaftsingenieur in verschiedensten Posten für die Beschaffung verantwortlich gewesen, zuletzt als Leiter Beschaffung neue Produktanläufe. Zwischenzeitlich war er auch Mitglied des Seat-Vorstands. Seit Oktober 2015 ist Brandstätter auch Generalbevollmächtigter der Volkswagen AG. Brandstätter berichtet wie der ebenfalls neu berufene Entwicklungschef Frank Welsch direkt an VW-Markenvorstand Herbert Diess. Quelle: Volkswagen
Neuer VW-Personalvorstand: Karlheinz BlessingMitten in der größten Krise der Konzerngeschichte bekommt Volkswagen mit dem Stahlmanager Karlheinz Blessing einen neuen Personalvorstand. Der Aufsichtsrat stimmte am 9. Dezember bei seiner Sitzung dem Vorschlag der Arbeitnehmerseite für den vakanten Spitzenposten bei Europas größtem Autobauer zu. Blessing folgt damit auf den bisherigen Personalvorstand Horst Neumann, dieser war Ende November in den Ruhestand gegangen. Der Ernennung war eine lange Suche nach einem geeigneten Kandidaten vorausgegangen. Blessing (58) ist seit 2011 Vorstandsvorsitzender der Stahlherstellers Dillinger Hütte. Zuvor war er Büroleiter des damaligen IG Metall-Vorsitzenden Franz Steinkühler und Anfang der 1990er Jahre Bundesgeschäftsführer der SPD. 1993 ersetzte er als Arbeitsdirektor bei der Dillinger Hütte Peter Hartz, der damals zu VW nach Wolfsburg ging. Blessing sei gut in der IG Metall vernetzt, habe aber auch unternehmerische Erfahrung, hieß es in den Konzernkreisen. Quelle: dpa

Auch bei der Automesse in Detroit mischte sich Konzernchef Matthias Müller unter die Journalisten. Nur dass die Amerikaner nicht ganz so freundlich mit ihm umgingen wie die europäischen Kollegen an diesem Abend. Am Ende stand ein PR-Desaster, das von Seiten des Konzerns so erklärt wurde, dass Müller womöglich im Getümmel die Begriffe „technisch“ und „ethisch“ falsch verstanden hätte.

Wie beiläufig lässt er nun in Genf das „ethische Problem“ einfließen, das die Dieselaffäre erst möglich gemacht hat. Damit ist diese Klippe schon mal umschifft.

VW probt das „Downsizing“


Natürlich muss Müller auch an diesem Abend auf die ungeklärte Aufarbeitung des Skandals in den USA zu sprechen kommen. Auch wenn sich der Konzern eigentlich selbst einen Maulkorb verhängt hat und es vorzieht, lieber gar nichts zu sagen als etwas, was die US-Behörden womöglich wieder missverstehen könnten.

Also sagt Müller auch gar nichts. Das hört sich dann so an: „In den USA arbeiten wir gemeinsam mit den zuständigen Behörden mit Hochdruck an einer tragfähigen Gesamtlösung. Wir sind hier weiter in konstruktiven Gesprächen.“

Lieber spricht er ohnehin über das, was vor VW liegt. Die Neuausrichtung des Konzerns, den „Game Changer“, den die Digitalisierung für die Autoindustrie darstellt. Deswegen gründet der Konzern in Europa, Kalifornien und Asien drei „Volkswagen Group Future Center“. Designer und Digitalisierungsexperten wie Johann Jungwirth sollen dort Hand in Hand am Auto der Zukunft bauen. Das Zentrum in Potsdam steht schon, die anderen beiden sollen bald folgen.

Abkehr von der Mega-Show

Bleibt noch der Blick in den Rückspiegel, auf Konzernabende voller Bombast und Mega-Show. „Future Tracks“ hieß beispielsweise die Veranstaltung vor zwei Jahren in Genf. Internationale DJs, die auf so illustre Namen wie Cryptex, Zebbler Encanti Experience oder Absurd Monkey Project hörten, setzten die Auftritte von Seat, Porsche oder Ducati musikalisch in Szene.

Im vergangenen Jahr ließen Fertigungsroboter riesige Bildschirme tanzen, grelle Farben sorgten für viele „Aaahs“ und „Ooohs“ im Publikum. Dass es dabei um Autos gehen sollte, geriet schon fast in den Hintergrund. Das Spektakel soll angeblich einen höheren einstelligen Millionenbetrag gekostet haben, hieß es aus Kreisen derer, die es eigentlich wissen müssen. Diesmal wird VW deutlich günstiger davonkommen.

Denn nun wird zusammengerückt, dazu werden neue Perspektiven beschworen. Ersteres hat schon mal ganz gut geklappt - mit „Downsizing“, ebenfalls einem Begriff aus dem modernen Motorenbau.

„Das Automobil hat die besten Zeiten noch vor sich. Volkswagen hat die besten Zeiten noch vor sich“, schloss Matthias Müller den gut halbstündigen Auftritt mit seinem neuen IT-Mann „jj“. Der neue Konzernabend war ein kleiner Schritt in diese Richtung.

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