Schon die Einladung zeigt, dass man bei VW ganz bewusst weg will vom alten Großmannsstreben: „Get Closer, New Perspectives“, lautete das Motto der ersten Volkswagen-Vorabendveranstaltung bei einer großen Automesse seit der Dieselaffäre.
Statt weit über tausend Gästen wie früher waren jetzt nur 400 geladen. Statt in die ehrwürdige Halle Secheron ging es in die Halle 7 des Messegeländes am Flughafen. Und statt eines anderthalbstündigen Programms mit vielen Showeffekten, DJs, tanzenden Robotern, Chrom, PS und aufheulenden Motoren gab es diesmal lediglich zwei Reden. Die eine von Konzernchef Matthias Müller, das war wie immer. Die andere von Johann Jungwirth. Das war erstaunlich.
Denn Jungwirth ist weder Vorstand noch ein Mann mit besonders viel Erfahrung im VW-Reich. Erst seit November ist er an Bord. Da hatte der 42-Jährige den neu geschaffenen Fachbereich Digitale Strategie übernommen. Und weil die Autoindustrie gerade mitten im Wandel steckt, ist er natürlich Chief Digital Officer, also CDO.
Die Abgas-Tests in Deutschland und Europa
Neue Modelle werden in Deutschland und der EU nach dem Modifizierten Neuen Fahrzyklus (MNEFZ) getestet. Die Tests laufen unter Laborbedingungen, das heißt auf einem Prüfstand mit Rollen. Dies soll die Ergebnisse vergleichbar machen. Der Test dauert etwa 20 Minuten und simuliert verschiedene Fahrsituationen wie Kaltstart, Beschleunigung oder Autobahn-Geschwindigkeiten.
Getestet wird von Organisationen wie dem TÜV oder der DEKRA unter Beteiligung des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA). Dieses untersteht wiederum dem Verkehrsministerium.
Die Prüfungen der neuen Modelle werden von ADAC und Umweltverbänden seit längerem als unrealistisch kritisiert. So kann etwa die Batterie beim Test entladen werden und muss nicht - mit entsprechendem Sprit-Verbrauch - wieder auf alten Stand gebracht werden. Der Reifendruck kann erhöht und die Spureinstellungen der Räder verändert werden. Vermutet wird, dass etwa der Spritverbrauch im Alltag so häufig um rund ein Fünftel höher ist als im Test.
Neben den Tests für neue Modelle gibt es laut ADAC zwei weitere Prüfvorgänge, die allerdings weitgehend in der Hand der Unternehmen selbst sind. So werde nach einigen Jahren der Test bei den Modellen wiederholt, um zu sehen, ob die Fahrzeuge noch so montiert werden, dass sie den bisherigen Angaben entsprechen, sagte ADAC-Experte Axel Knöfel. Zudem machten die Unternehmen auch Prüfungen von Gebrauchtwagen, sogenannte In-Use-Compliance. Die Tests liefen wieder unter den genannten Laborbedingungen. Die Ergebnisse würdem dann dem KBA mitgeteilt. Zur Kontrolle hatte dies der ADAC bei Autos bis 2012 auch selbst noch im Auftrag des Umweltbundesamtes gemacht, bis das Projekt eingestellt wurde. In Europa würden lediglich in Schweden von staatlicher Seite noch Gebrauchtwagen geprüft, sagte Knöfel.
Die EU hat auf die Kritik am bisherigen Verfahren reagiert und will ab 2017 ein neues, realistischeres Prüfszenario etablieren. Damit sollen auch wirklicher Verbrauch und Schadstoffausstoß gemessen werden ("Real Driving Emissions" - RDE). Strittig ist, inwiefern dafür die bisherigen Abgas-Höchstwerte angehoben werden, die sich noch auf den Rollen-Prüfstand beziehen.
Wandler zwischen den Welten
Er selbst nennt sich nur „jj“, deswegen nennen sie ihn im Konzern jetzt auch alle so. Solche Leute brauchen sie jetzt. Stehen doch nicht mehr Hubraum, Drehmoment oder am Ende gar ein Dieselmotor für die Autohersteller im Mittelpunkt, sondern Digitalisierung, alternative Antriebe und autonomes Fahren.
Erst am Montag hatte Audi-Chef Rupert Stadler im Handelsblatt-Interview gesagt, dass es in Ingolstadt bald einen Chief Digital Officer geben soll, der am Vorstand angedockt ist. In Wolfsburg haben sie den schon. Und Konzernchef Matthias Müller stellt seinen neuen Mann gleich ins mediale Schaufenster.
Deswegen erscheint er jetzt auch nur im Hemd, ohne Jackett und Krawatte. Und kokettiert sogar damit. „Ein echter Vertreter aus dem Silicon Valley wäre jetzt mit Schlappen, Jeans und schwarzem Shirt gekommen“. Soviel Unterschied muss selbst beim neuen Volkswagen-Konzern sein. Zumal da ja immer noch die lästige Dieselaffäre ist.
Neuanfang für VW in Genf
Die Dieselaffäre lässt den Autobauer auch an diesem Montag vor Beginn von Europas wichtigster Automesse nicht in Ruhe. „2016 ist das Jahr, in dem wir das Problem mit unseren Dieselmotoren lösen wollen. Und 2016 ist zugleich das Jahr, in dem wir das Fundament legen für ein neues, ein besseres Volkswagen“, verwob Konzernchef Müller Altlast mit Vision.
Dabei ließ er auch die neue Atmosphäre als Sinnbild für Aufbruch sprechen: „Das Volkswagen Loft statt der großen Halle, konzentrierte Gespräch statt der großen Schau.“ So soll es jetzt sein im größten deutschen Konzern.
Zumindest an die Kleiderordnung hält er sich noch ganz traditionell. Weißes Hemd, grau-brauner Anzug, dazu passend eine karierte Krawatte. Trotz all der Worte vom Aufbruch und vom Neuanfang ist Volkswagen schließlich noch immer Aktiengesellschaft, Familien- und Staatsunternehmen in einem.
Der Genfer Auto-Salon ist in Europa die Messe Nummer eins für Volkswagen nach Bekanntwerden der Diesel-Affäre. Und sie soll irgendwie auch für Neuanfang stehen. Im September, zur Hälfte der zweiwöchigen IAA in Frankfurt, war der größte Skandal in der Unternehmenshistorie publik geworden.
Seither ist in Wolfsburg nichts mehr wie es war. Schon Anfang des Jahres wollten sie deswegen alles besser machen. Aufräumen, den Neuanfang im Konzern auch mit neuer Offenheit in die Tat umsetzen.
Auch bei der Automesse in Detroit mischte sich Konzernchef Matthias Müller unter die Journalisten. Nur dass die Amerikaner nicht ganz so freundlich mit ihm umgingen wie die europäischen Kollegen an diesem Abend. Am Ende stand ein PR-Desaster, das von Seiten des Konzerns so erklärt wurde, dass Müller womöglich im Getümmel die Begriffe „technisch“ und „ethisch“ falsch verstanden hätte.
Wie beiläufig lässt er nun in Genf das „ethische Problem“ einfließen, das die Dieselaffäre erst möglich gemacht hat. Damit ist diese Klippe schon mal umschifft.
VW probt das „Downsizing“
Natürlich muss Müller auch an diesem Abend auf die ungeklärte Aufarbeitung des Skandals in den USA zu sprechen kommen. Auch wenn sich der Konzern eigentlich selbst einen Maulkorb verhängt hat und es vorzieht, lieber gar nichts zu sagen als etwas, was die US-Behörden womöglich wieder missverstehen könnten.
Also sagt Müller auch gar nichts. Das hört sich dann so an: „In den USA arbeiten wir gemeinsam mit den zuständigen Behörden mit Hochdruck an einer tragfähigen Gesamtlösung. Wir sind hier weiter in konstruktiven Gesprächen.“
Lieber spricht er ohnehin über das, was vor VW liegt. Die Neuausrichtung des Konzerns, den „Game Changer“, den die Digitalisierung für die Autoindustrie darstellt. Deswegen gründet der Konzern in Europa, Kalifornien und Asien drei „Volkswagen Group Future Center“. Designer und Digitalisierungsexperten wie Johann Jungwirth sollen dort Hand in Hand am Auto der Zukunft bauen. Das Zentrum in Potsdam steht schon, die anderen beiden sollen bald folgen.
Abkehr von der Mega-Show
Bleibt noch der Blick in den Rückspiegel, auf Konzernabende voller Bombast und Mega-Show. „Future Tracks“ hieß beispielsweise die Veranstaltung vor zwei Jahren in Genf. Internationale DJs, die auf so illustre Namen wie Cryptex, Zebbler Encanti Experience oder Absurd Monkey Project hörten, setzten die Auftritte von Seat, Porsche oder Ducati musikalisch in Szene.
Im vergangenen Jahr ließen Fertigungsroboter riesige Bildschirme tanzen, grelle Farben sorgten für viele „Aaahs“ und „Ooohs“ im Publikum. Dass es dabei um Autos gehen sollte, geriet schon fast in den Hintergrund. Das Spektakel soll angeblich einen höheren einstelligen Millionenbetrag gekostet haben, hieß es aus Kreisen derer, die es eigentlich wissen müssen. Diesmal wird VW deutlich günstiger davonkommen.
Denn nun wird zusammengerückt, dazu werden neue Perspektiven beschworen. Ersteres hat schon mal ganz gut geklappt - mit „Downsizing“, ebenfalls einem Begriff aus dem modernen Motorenbau.
„Das Automobil hat die besten Zeiten noch vor sich. Volkswagen hat die besten Zeiten noch vor sich“, schloss Matthias Müller den gut halbstündigen Auftritt mit seinem neuen IT-Mann „jj“. Der neue Konzernabend war ein kleiner Schritt in diese Richtung.