Volkswagen und Dieselgate Hoffnung in der Autostadt

Volkswagen musste am Freitag der Öffentlichkeit den größten Verlust der Konzerngeschichte verkünden. Doch die Menschen in Wolfsburg gewinnen langsam wieder Zuversicht. Denn endlich gibt es wieder ein bisschen Klarheit.

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Die grundsätzliche Einigung mit den US-Behörden hat im Unternehmen für eine gewisse Erleichterung gesorgt. Quelle: Andreas Dörnfelder

Als alles überstanden war, legte Hans Dieter Pötsch den Arm um Matthias Müller. Der Aufsichtsratschef und der Vorstandsvorsitzende von Europas größtem Autobauer Volkswagen mussten der Öffentlichkeit gerade den größten Verlust der Konzerngeschichte verkünden. 5,5 Milliarden Euro Miese weist VW in seinem Geschäftsbericht 2015 aus.

Grund ist der aktuell größte Wirtschaftsskandal der Republik: Bei elf Millionen Dieselmotoren von Volkswagen schönt ein Computerprogramm die Abgaswerte. Der Betrug, davon geht die Führungsspitze aus, wird den Konzern wohl rund 16,2 Milliarden Euro kosten. So viel hat Volkswagen jedenfalls im Konzernabschluss zurückgestellt. Manche Experten hatten mit einem deutlich höheren Betrag gerechnet.

Am Abend vor der Aufsichtsratssitzung, die für Beobachter als Tag der Entscheidung für VW galt, herrschte eine gespenstische Ruhe in der Stadt. Taxifahrer Jochen Thomas (Name geändert) und seine Kollegen mussten am Bahnhof lange auf Kundschaft warten. „Die Stimmung in der Stadt ist nach wie vor bedrückt“, sagte Thomas. Seit Monaten schon kämen kaum noch Berater, externe Entwickler oder Leiharbeiter nach Wolfsburg. Man spüre die Auswirkungen des Dieselskandals. „VW muss sparen.“

In den wenigen Kneipen in der Stadt war am Donnerstag aber auch ein Hauch von Hoffnung zu spüren. Denn der Autobauer hatte sich gerade mit den mächtigen US-Behörden geeinigt. Die Nachricht habe im Unternehmen für eine gewisse Erleichterung gesorgt, sagte ein Konzernmitarbeiter beim Feierabendbier. Endlich gebe es ein wenig Klarheit.

Nach der Grundsatzeinigung mit dem US-Justizministerium soll VW rund 580.000 betroffenen Autofahrern in den USA eine „substanzielle Entschädigung“ zahlen und außerdem bis zu einer halben Million Fahrzeuge zurückkaufen, wenn keine technische Lösung gefunden wird.

Die Mitarbeiter in der Zentrale am Mittellandkanal dürfen seit Bekanntwerden des Dieselskandals kaum noch Geld ausgeben. „VW hat uns fast alle Budgets gestrichen“, sagte der Mann am Tresen, der im mittleren Management des Autoriesen arbeitet. Handwerker, die Tische zusammenschrauben oder Computer und Telefone umstecken, bekämen kaum noch Aufträge. Alle seien verunsichert.

In diesem Umfeld trafen nun die Männer zusammen, die der Konzernführung auf die Finger schauen. Die mächtigen Aufsichtsräte, darunter Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil und Wolfgang Porsche, begannen ihre Sitzung später als geplant. Zwar mischten sich schon vor halb acht Uhr morgens die ersten schwarzen Phaeton-Limousinen in die Schlange der ankommenden Mitarbeiter vor dem Wolfsburger Werkstor. Doch die Kontrolleure waren übernächtigt. Die Vorgespräche hatten bis tief in die Nacht gedauert. Und so startete das Gremium seine Sitzung erst um 9.45 Uhr. Aufsichtsratschef Pötsch sollte später von „harten Verhandlungen sprechen“.

Während die Kontrolleure tagten, warteten ihre Fahrer vor der Kantine nahe des riesigen Verwaltungsbaus mit dem VW-Logo auf dem Dach. Im Betriebsrestaurant hatte Volkswagen das Podium zur Pressekonferenz aufgebaut. Am Eingang und im Garten patrouillierten Sicherheitsmänner. Die rund 50 Journalisten, darunter ein Dutzend Kamerateams, mussten lange warten. Statt der versprochenen Statements reichte VW erstmal nur die hauseigene Currywurst.

Als die Konzernspitze schließlich um kurz nach halb vier am Nachmittag vor die Presse trat, wirkten die Manager abgekämpft. Vorstandschef Müller reagierte nicht, als ihm der niedersächsische Ministerpräsident und Aufsichtsrat Stephan Weil von der Seite ein zusätzliches Mikrofon zustecken wollte. Mit müden Augen erklärte er, dass die aktuelle Krise den Autobauer zwar belaste, dass das operative Geschäft aber nach wie vor kerngesund sei. Mit anderen Worten: Die Kunden kaufen weiter Autos aus Wolfsburg.

Für die Bewohner der Stadt dürfte das die wichtigste Botschaft gewesen sein. Einen Hoffnungsschimmer hatte auch schon am Vorabend der Taxifahrer Thomas ausgemacht. Ein Bekannter, der bei Volkswagen den Tiguan montiere, beobachte trotz des Dieselskandals eine gute Auftragslage. Und das liege nicht nur an den vielen Bestellungen des gerade ausgelaufenen Vorgängermodells. Am Band ließe sich das ganz einfach beobachten: „Es geht immer abwechselnd: ein alter, ein neuer, ein alter, ein neuer.“

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