Vorreiter Siemens Digitalisierung vor dem Durchbruch

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Der Kampf um den Zugang zum Endkunden

Für Riemensperger ist das der richtige Weg. „Den Plattform-Wettlauf zu gewinnen, wird entscheidend sein“, sagt er. „Denn wer die Kontrolle über die Plattform hat, hat auch die die notwendigen Daten für die neuen Geschäftsmodelle.“ Denn Daten sind die neue Währung in der künftigen digital gesteuerten Industrie, ermöglicht doch deren Analyse eine höhere Effizienz, bessere Qualität der Produkte und eine Verringerung der Ausfallzeiten der Maschinen.

Die Entwicklung solcher Plattformen ist entscheidend, weil sie sowohl eine völlige Digitalisierung innerhalb der Produktion, als auch die durchgehende Vernetzung mit Kunden und Zulieferern möglich machen. Da schon beim virtuellen Design von Maschinen und Anlagen das Thema Sicherheit ganz oben auf der Agenda steht, dürfte die Akzeptanz solcher Lösungen beflügeln.

Wo die Maschine den Mensch ersetzt

Dass ausgerechnet ein deutscher Konzern eine solche Plattform anbietet, dürfte vor allem den Wünschen des deutschen Mittelstands entgegenkommen. Der hatte in der Vergangenheit oft zu zögerlich die Chancen der Digitalisierung genutzt. Sorgen über den Schutz und die Sicherheit von Daten waren oftmals stärker als der Antrieb, in vernetzte IT- und Software zu investieren. Über allem schwebte die Angst, dass vor allem US-Konzerne aus dem IT-und Softwarebereich solche Plattformen anbieten würden, um eigene Geschäfte mit den Daten zu machen.

Wie sehr US-Konzerne darauf erpicht sind, an Maschinendaten zu kommen, machte vergangene Woche Thyssen-Krupp-Chef Heinrich Hiesinger deutlich. Er schilderte die sich über ein halbes Jahr hingezogenen Verhandlungen mit Microsoft über eine Kooperation im Bereich vorausschauende Wartung von Aufzügen.

Allein die Diskussion darüber, wer die Daten der in den Aufzügen verbauten Sensoren auf welche Weise nutzen darf, habe länger gedauert, als sich über die technischen Details zu verständigen, sagte der Thyssen-Krupp-Chef. „Der Kampf, wer den Zugang zum Endkunden hat, wird meist noch unterschätzt. Wir müssen sicherstellen, dass uns andere nicht von unseren Kunden abschneiden.“ Im Fall der Aufzugskooperation bedeutet das, dass die Essener die Hoheit über die Daten seiner Aufzüge behält, die nun digital verschlüsselt verwendet werden, um unbefugtes Mitlesen zu verhindern.

Helmrich weiß um die Nöte zahlreicher Industriekunden und legt deshalb Wert darauf, den offenen Charakter von Digital Enterprise zu betonen. So biete die Siemens-Plattform die Möglichkeit, dass Kunden zum Beispiel auch selbst entwickelte Apps andocken können. „Wir steigen nicht in einen Wettbewerb mit unseren Kunden ein. Wir bieten eine Plattform, auf der die Kunden mit ihren eigenen sowie externen Daten Geschäftsmodelle entwickeln können“, sagt Helmrich. „Du behältst Deine Daten und wir liefern Dir die Infrastruktur dafür“ – so werde man an die Kunden aus dem Maschinenbau und der Elektrotechnik herantreten. Auch die Bosch-Plattform ist offen, Geräte und Maschinen lassen sich herstellerübergreifend vernetzen.

Die Folgen von Industrie 4.0 für die Branchen in Deutschland bis 2025

Für Branchenexperten ist das der richtige Weg: „Es muss zwingend eine offene Lösung sein, die über Apps steuerbar ist“, sagte Daniel Küpper von der Beratungsgesellschaft BCG. Das Motto müsse sein: „Ich kaufe mir die Lösung, die ich brauche.“

Entscheidend wird es nach seinen Worten nun sein, dass die Unternehmen neue datengetriebene Services und Dienstleistungen entwickeln. Siemens biete dafür Mindsphere, eine Plattform auf Basis von SAP Hana, die Produkte und Fabriken mit digitalen Daten verzahnt. Siemens geht dabei mit einem Startvorteil ins Industrie 4.0-Zeitalter. Die Simatic-Automatisierungstechnik ist in zahlreichen Fabriken in fast allen Branchen in der Welt verbaut. „Wir haben eine Automatisierungskompetenz, die weltweit führend ist“, sagte Helmrich. Zudem ist der Konzern Weltmarktführer bei Industriesoftware. Als einziger Anbieter decke Siemens die gesamte Kette ab.

Die deutsche Position ist nach Einschätzung Helmrichs stark. „4.0 gibt der deutschen Industrie weltweit eine einzigartige Aufmerksamkeit.“ Niemand verstehe die industriellen Prozesse so gut. Vor allem die großen Konzerne seien sich der Bedeutung des Themas bewusst. „Unsere großen Kunden haben das auf ihrem Innovationsradar.“ Auch die Mittelständler verstünden inzwischen, dass sie vor allem durch Software ihre Produkte stärker vom Wettbewerb differenzieren könnten. Helmrich geht deshalb davon aus, dass sich Digital Enterprise schnell als industrieller Standard durchsetzen wird. „Man muss realistisch sein, es kann schon noch zwei bis drei Jahre dauern. Aber dann kann es auch sehr schnell nach oben gehen.“

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