VW-Chef im Gespräch „Deutsche Industrie wird dem Silicon Valley nicht das Feld überlassen“

Matthias Müller und Elmar Degenhart, Chefs der Dax-Konzerne VW und Continental, reden über die Zukunft der deutschen Industrie. In vielen Punkten herrscht Einigkeit – auch bei dem größten Kritikpunkt an der Politik.

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Der Volkswagen-Chef kritisiert das deutsche Bildungssystem. Quelle: Reuters

Hannover Deutschland ist nahe der Vollbeschäftigung, mancherorts fehlen sogar schon wieder Fachkräfte. Der Staat sitzt auf Milliardenüberschüssen, die Steuerquellen wollen nicht versiegen. Das Wachstum der Wirtschaft scheint unaufhaltsam, andere Länder blicken neidvoll auf das, was gerade hierzulande passiert.

Trotzdem herrscht nicht überall in der Wirtschaft eitel Sonnenschein. Das prägt den gemeinsamen Auftritt der beiden Vorstandsvorsitzenden von Volkswagen und Continental in Hannover. Matthias Müller und Elmar Degenhart treten gemeinsam bei den Unternehmerverbänden Niedersachsen auf. Eine seltene Gelegenheit, die Chefs der beiden Dax-Konzerne zusammen zu erleben. In vielen Punkten herrscht Einigkeit zwischen Zulieferer und Autohersteller.

Elmar Degenhart macht den Anfang. Der Conti-Chef beklagt Defizite in der Forschung. Dass ein Industrieland wie Deutschland im „Global Innovation Index“ nur auf dem zehnten Platz liegt, ist für ihn besorgniserregend. „Wir müssten viel weiter vorne sein, besser auf Rang drei“, beklagt Degenhart.

Die Ursache dafür hat er schnell ausgemacht. „Unser Bildungswesen ist nicht mehr zeitgemäß“, lautet seine Analyse. Deutschland investiere einfach zu wenig in die Bildung, was schon in wenigen Jahren die Wettbewerbsfähigkeit des ganzen Landes in Gefahr bringen könnte. Deutschland gebe 4,2 Prozent seines Bruttoinlandsproduktes für die Bildung aus, im OECD-Durchschnitt seien es 4,8 Prozent. Der Conti-Chef legt auch einen Lösungsvorschlag vor: In Deutschland müsse der Bildungs-Föderalismus aufhören, diese Aufgabe sollte besser in die Hände des Bundes gelegt werden.

Continental habe schon seit Jahren Probleme damit, in Deutschland genügend Entwicklungsingenieure zu finden. Mit der anstehenden Digitalisierung der Autos werde der Bedarf noch größer. Der Zulieferer reagiere darauf, indem Entwicklungskapazitäten in Länder wie Mexiko oder Indien verlagert würden, wo es ausreichend Ingenieure gebe.

Die hohen Energiekosten sind für den Vorstandsvorsitzenden von Continental ein weiteres Feld, auf dem Deutschland im Vergleich zum Rest der Welt hinterherhinkt. Für die deutsche Automobilindustrie habe das schon jetzt spürbare Konsequenzen – nämlich beim Aufbau einer leistungsfähigen Produktion für Elektroautos. Ein wichtiger Baustein werde wahrscheinlich nicht in Deutschland produziert werden können: die Batteriezellen. „Wie soll das mit diesen hohen Energiekosten funktionieren?“, fragt Degenhart. In osteuropäischen Nachbarstaaten wie Polen sei das vielleicht noch möglich.

Die Batteriezellen sind der wichtigste Teil der gesamten Batterien. Mit Samsung oder Panasonic sitzen die wichtigsten Hersteller heute in Asien. Die Fahrzeugbranche überlegt, ob sie die Batteriezellen selbst herstellt oder zukauft. Mit der flächendeckenden Umstellung auf Elektroautos nach 2020 werden die Autohersteller gewaltige Mengen an Batteriezellen brauchen. Allein die Baukosten einer einzelnen Zellfabrik werden mit mehr als zehn Milliarden Euro veranschlagt.


Braucht man in Städten noch Autos?

Volkswagen-Chef Matthias Müller kündigt zwar in Hannover an, dass sein Unternehmen „Schritt für Schritt zum Weltmarktführer in der Elektromobilität“ aufsteigen soll. Doch beim Thema Batteriezelle stößt auch der Vorstandsvorsitzende des größten Autoherstellers der Welt an seine Grenzen. „Wenn die Kosten so sind, wie sie sind, dann werden diese Fabriken nicht in Deutschland stehen“, sagt der VW-Chef.

Falls es in Deutschland schon keine Zellfabriken geben sollte, dann wollen Unternehmen wie Volkswagen und Continental zumindest die Technik verstehen. Matthias Müller kündigt für sein Unternehmen den Bau eines „Center of Excellence“ in Salzgitter an, wo Volkswagen sein wichtigstes Motorenwerk betreibt. In der niedersächsischen Industriestadt will Volkswagen das gesamte Know-how rund um Batterie und Batteriezelle konzentrieren.

Diese Art von konzerneigenem Forschungszentrum soll garantieren, dass Volkswagen den wichtigen Zelllieferanten wie Samsung oder Panasonic auf technischem Feld Paroli bieten kann. Volkswagen selbst will in den kommenden fünf Jahren etwa neun Milliarden Euro in den Aufbau der Elektromobilität investieren.

Den beiden Automanagern Müller und Degenhart ist klar, dass auch die neuen Elektroautos nicht automatisch für eine umweltgerechte Antriebsart stehen werden. Denn ein Großteil des Stroms für die neue Autogeneration kommt zunächst aus Kohlekraftwerken, die die Atmosphäre weiterhin belasten. Solar- und Windstrom erreichen derzeit einen Anteil von etwa 30 Prozent.

„Wir müssen hoch auf mindestens 50 Prozent, vielleicht sogar 70“, fordert der Vorstandschef von Continental. Solch eine Steigerung müsse auf europäischer Ebene koordiniert werden, vielleicht sogar weltweit. Die Autobranche könne andererseits trotzdem nicht auf den „grünen Strom“ warten und müsse jetzt in den Aufbau der Elektro-Produktion investieren.

Allerdings wird es noch mehr Veränderungen geben. Das eigene Auto verliert an Bedeutung, vor allem in den großen Ballungsräumen. „Der Trend in der Welt geht in die Stadt – und in den großen Städten ist es fraglich, ob man noch ein Auto braucht“, sagt Elmar Degenhart. Stattdessen werden Mobilitätskonzepte in den Vordergrund rücken: Jeder nimmt sich das Verkehrsmittel, das er gerade braucht. „Wir müssen Mobilität anbieten, das so bequem wie möglich“, ergänzt Matthias Müller.

Trotz der bestehenden Probleme gibt sich Müller optimistisch, dass der Wechsel zum Elektroantrieb und zu neuen Mobilitätskonzepten gelingen wird. „Die Stärke der deutschen Industrie liegt darin, dass wir uns immer wieder neu erfunden haben“, betont der Chef von Volkswagen. Im Zuge der Digitalisierung würden zwar auch Unternehmen wie Google oder Apple zu neuen Konkurrenten der Automobilhersteller.

Doch wer in der Vergangenheit nur Software produziert habe, der könne nicht gleich automatisch Autos oder Maschinen bauen. Der Conti-Chef pflichtet Müller bei: Die deutsche Industrie werde dem Silicon Valley nicht das Feld überlassen. „Das wird nicht passieren, da bin ich zuversichtlich.“

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