VW, GM und Co. auf der CES Auto-Dämmerung in Las Vegas

Die Digitalisierung der Autoindustrie wird zur „Reise nach Jerusalem“. Wer keinen Stuhl hat, wenn die Musik endet, ist verloren. Ein gnadenloses Spiel für VW und Co. – eine Analyse.

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Alle großen Autohersteller präsentieren auf der CES in Las Vegas, wie sie sich die Zukunft der Automobilität vorstellen. Quelle: Reuters

Las Vegas Los Angeles hatte einmal das größte Straßenbahn-Netz der Welt. Die Menschen waren zufrieden. Doch Alfred P. Slone hatte andere Pläne. Sein kleines Unternehmen, General Motors, darbte Anfang 1920 vor sich hin. Bis er einen, sagen wir einmal kreativen Plan umsetzte. Ab 1922 kauften Schattenfirmen in 45 US-Großstädten, darunter Los Angeles, im Auftrag von GM die Nahverkehrssysteme auf, rissen sofort alle Schienen aus dem Boden und kauften nur noch Busse. In den sechziger Jahren war der Schienen-Nahverkehr in den USA praktisch ausgelöscht. Ohne eigenes Auto ging nichts mehr. GM war jetzt ein Gigant, und Los Angeles erstickte im Smog.

Es waren nicht immer die feinsten Methoden, mit denen die Autoindustrie zu einer der wichtigsten Branchen weltweit aufgestiegen ist, aber wie beim „großen amerikanischen Straßenbahnskandal“ ist ihr lange vieles verziehen worden. Autounternehmen waren autark und beherrschten ihre Märkte vollkommen. Und alleine.

Über Jahrzehnte sonnten sie sich in der großzügigen Förderung durch Regierungen, Straßenbau genoss absolute Priorität. Aufkeimende Käuferunlust in den Industriestaaten glichen zuletzt Wachstumsschübe in Asien, speziell in China, aus und übertünchten den aufgestauten Wandlungsbedarf. Denn mit zunehmender Urbanisierung gerieten die Umweltprobleme, der Verbrauch an Ressourcen und Zeit durch den Individualverkehr alter Prägung in die Kritik.

Das Konzept der ganzheitlichen sozialen und ökologischen Kostenbetrachtung eines Autos von der Produktion bis zur Verschrottung setzt sich durch, und die Bilanz ist nicht positiv. Megastädte führen Fahr-Verbotstage ein, Abgaswerte werden verschärft und sind immer schwerer einzuhalten. Das verleitet Firmen heute schon mal zum Foulspiel wie zu Zeiten der Straßenbahnkriege. Aber was gerade noch als hemdsärmelige Trickserei galt, wird nun geächtet und kriminalisiert.

100 Jahre lang hat die Automobilindustrie ihre Energie auf schnellere, schwerere und größere Autos verwendet und allmächtig mehr Raum und Ressourcen für sich gefordert. Nun hat eine neue Kraft das Ruder übernommen. Mit dem Internet stieg die Macht der Software, und Software wird im Silicon Valley gemacht. In Detroit und Wolfsburg hingegen wird Blech gebogen.


Alle Autohersteller tummeln sich im Silicon Valley

Praktisch alle Autohersteller sind deshalb heute mit hunderten Ingenieuren im Silicon Valley vertreten, von wo die neuen Konkurrenten ohne Ballast operieren. Tesla und Faraday, aus China finanziert, daneben Karma, aus der Fisker-Pleite hervorgegangen. Alle setzen auf Elektromobilität. Alle wichtigen Autohersteller sind auch auf der CES in Las Vegas, der Leitmesse der digitalen Welt. Chevrolet zeigt stolz sein Elektroauto-Auto Bolt, VW einen Elektro-Bus und will so die Zukunftsfähigkeit zeigen.

Doch viele Vorstöße aus der alten Welt haben nur ein Ziel: Sie sollen alte Machtpositionen konservieren.

Es gibt einen noch größeren Megatrend: Das Automobil der Zukunft muss zurück ins Glied und sich seinen Platz als Teil eines umfassenden Mobilitätssystems neu erkämpfen. Dienste wie Uber bedrohen heute Taxiunternehmen. Morgen werden sie die Art ändern, wie Autos „konsumiert“ statt gekauft werden. Autos werden nicht mehr die meiste Zeit in der Garage stehen und Geld kosten, sondern Geld verdienen.

Ford, Mercedes und andere sehen den Wandel. Mercedes bietet in den USA einen Service an, der Kinder zur Schule bringt, statt einer Familie noch ein weiteres Auto aufzudrängen. GM hat am Montag 500 Millionen Dollar in den Taxi-Service Lyft investiert, um vorbereitet zu sein, wenn Menschen in Ballungsräumen Autos nur noch bei Bedarf buchen.

Es ist völlig unklar, ob die Milliardenkonzerne der Branche potenzielle Umsatzeinbrüche ausgleichen können, wenn zum Beispiel Google riesige Flotten selbstfahrender Mini-Autos auf die Straßen entlassen wird. Die werden bis zur letzten Faser vertraut sein mit den Vorlieben und Bedürfnissen der Fahrgäste. Google oder Apple werden voraussagen können, wann ein Kunde wo sein nächstes Auto ordern wird. Klassische Autohersteller haben dem nichts entgegenzusetzen und auch keine Zeit mehr aufzuholen. Sie brauchen Partner wir Google, Apple oder Microsoft. Doch die werden ihre Bedingungen diktieren – und sie werden sich ihre Partner aussuchen.

In Las Vegas findet heute eine sehr ernste Version des alten Kinderspiels „Die Reise nach Jerusalem“ statt. Noch laufen alle im Kreis, noch spielt die Musik.

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