VW-Hauptversammlung Der schwere Gang in die Messehalle von Hannover

Eine Welle der Empörung schlägt dem VW-Konzern und seinen Top-Managern entgegen, Ermittlungen der Staatsanwaltschaft sorgen für zusätzliche Aufregung. Die VW-Hauptversammlung in Hannover dürfte unruhig werden.

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Es dürfte eine der unruhigsten VW-Hauptversammlungen der vergangenen Jahre werden. Quelle: dpa

Hannover Es ist alles andere als ein Routinetreffen. Wenn der Aufsichtsratsvorsitzende Hans Dieter Pötsch um 10 Uhr in einer von Hannovers größten Messehallen die Hauptversammlung von Volkswagen eröffnet, wird er nicht lange auf die verärgerten Zwischenrufe der Aktionäre warten müssen. Der Unmut unter den Aktionären ist riesig. Die im Herbst vergangenen Jahres bekannt gewordene Dieselaffäre hat im Wolfsburger Autokonzern alles verändert – auch das Verhältnis zu den Aktionären.

Die Anteilseigner haben allen Grund zur Unruhe: Der Aktienkurs ist seit Herbst von etwa 160 auf jetzt rund 120 Euro abgestürzt. Auf das große Geld müssen die Aktionäre in diesem Jahr verzichten. Für jede Vorzugsaktie sind dieses Mal magere 17 Cent vorgeschlagen – vor einem Jahr gab es noch etwa 30-mal so viel.

Eine Welle der Empörung schlägt dem VW-Konzern und seinen Top-Managern entgegen. Aktionäre fordern in Gegenanträgen, dass dem Aufsichtsrat und dem Vorstand in diesem Jahr die Entlastung verweigert wird. Einflussreiche institutionelle Investoren wie mächtige Pensionsfonds aus den USA haben bereits Milliardenklagen angekündigt.

Aktionärsschutzvereinigungen wie die DSW fordern Sonderprüfungen, um die Vorgänge in der Zeit der Dieselaffäre noch einmal untersuchen zu lassen. Sollten die großen Hauptaktionäre wie die Familien Porsche und Piech diese Sonderprüfung verhindern, droht die DSW nach dem Aktionärstreffen mit einer Klage.

Es dürfte eine der unruhigsten VW-Hauptversammlungen der vergangenen Jahre werden. In der Einladung zum Eignertreffen weist der Konzern auf die besonderen Sicherheitsvorkehrungen hin. „Gefährliche Gegenstände dürfen in den Versammlungsbereich nicht mitgenommen werden“, werden die Teilnehmer vorab schriftlich gewarnt. Der Ansturm der Aktionäre dürfte groß werden: Veranstaltungsort ist in diesem Jahr eine Messehalle, vor einem Jahr reichte noch das kleinere Kongresszentrum in Hannover.

Konzernchef Matthias Müller stellt sich auf einen langen Tag in Hannover ein. Jeder der Teilnehmer werde viel Kondition brauchen. Da mit vielen Redebeiträgen zu rechnen ist, könnte sich das Aktionärstreffen bis spät in den Abend hineinziehen. Vor Mitternacht muss die Hauptversammlung auf jeden Fall beendet sein. Wenn das nicht gelingt, sind alle vorangegangenen Beschlüsse ungültig und das Treffen müsste neu angesetzt werden. So schreibt es das Aktienrecht vor.

Der Unmut der Aktionäre ist Müller gewiss – obwohl er für die Dieselaffäre doch eigentlich überhaupt nichts kann. Als der Skandal bekannt wurde, war er noch Porsche-Chef in Stuttgart. Erst seit Ende September hat der 63-Jährige in Wolfsburg das Sagen – als Nachfolger des wegen des Dieselskandals zurückgetretenen Martin Winterkorn.

Müller würde wahrscheinlich viel lieber über etwas ganz anderes reden als die Vergangenheit, die Dieselaffäre. Etwa über die neue „Strategie 2025“, die er in der vergangenen Woche in Wolfsburg vorgestellt hatte und mit der er Volkswagen vom Autohersteller in einen Mobilitätskonzern umwandeln will.


Winterkorn und Diess im Fokus der Ermittler

VW steht angeblich der größte Umbau seiner Konzerngeschichte bevor, und der neue Vorstandschef will diesen Prozess möglichst schnell beginnen. „Ein Unternehmen dieser Größe kann man nicht mit den Prinzipien und Strukturen von gestern steuern“, hatte er schon vor einigen Wochen vor Führungskräften aus dem eigenen Konzern gesagt.

Wer in der Führungsspitze des Konzerns hat was und vor allem wann über die Dieselaffäre gewusst? Das ist die brennendste Frage, die die Aktionäre und natürlich auch die Kläger interessiert. Hätte der Vorstand viel früher über die Ermittlungen in den USA informieren müssen? Wenn sich ein Fehlverhalten des Top-Managements nachweisen ließe, dann könnten klagende Anteilseigner viel eher ihre Ansprüche gegenüber dem Konzern durchsetzen.

Deshalb haben Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Braunschweig noch unmittelbar vor der Hauptversammlung für zusätzliche Aufregung gesorgt. Am Montag war bekannt geworden, dass der frühere Vorstandsvorsitzende Martin Winterkorn und der aktuelle VW-Markenvorstand Herbert Diess ins Blickfeld der ermittelnden Staatsanwälte geraten sind.

Beide Top-Manager von Volkswagen sollen schon recht früh von den Ermittlungen der US-Behörden erfahren haben – lange bevor Volkswagen im September über die Untersuchungen wegen der Dieselaffäre informiert hat. Weil sie diese Information zurückgehalten hätten, hätten sich beide wegen Marktmanipulation zu verantworten, so die Staatsanwälte.

Die Ermittler teilten mit, es bestünden „zureichende tatsächliche Anhaltspunkte“ dafür, dass die Pflicht zur Information der Börse („ad-hoc-Publizität“) bereits zu einem früheren Zeitpunkt bestanden habe. Der Volkswagen-Aufsichtsrat hatte sich bereits im Mai dafür ausgesprochen, dem gesamten Vorstand trotz der weiter laufenden Untersuchungen auf der Hauptversammlung die Entlastung auszusprechen.

Die neuen Ermittlungen der Braunschweiger Staatsanwälte sind Wasser auf die Mühlen kritischer Aktionäre. Sie sehen sich durch das Vorgehen der Justiz in ihrem Protest gegen die Entlastungen bestätigt.

Nur in einem Punkt dürften das Unternehmen und die Aktionäre einer Meinung sein. Bislang musste Volkswagen mehr als 16 Milliarden Euro für mögliche Strafen und Gerichtskosten zurücklegen. Das hat 2015 für den ersten Verlust im Konzern seit 22 Jahren gesorgt. Alle Seiten müssen jetzt hoffen, dass nicht noch weitere Milliarden dazukommen. Denn dann würde der Kurs ein weiteres Mal abrutschen und die Dividende ließe noch länger auf sich warten.

Doch unter Experten kursiert die Auffassung, dass genau das passieren könnte. Der bisher veranschlagte Betrag könnte die Untergrenze sein. „Wir gehen weltweit von Gesamtkosten in Höhe von 20 bis 30 Milliarden Euro aus“, erwartet Frank Schwope von der NordLB. Diese Spanne dürfte eher über- als unterschritten werden. Die gesamten Kosten des Skandals dürften „frühestens in zehn Jahren feststehen“.

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