Es dauert nur wenige Minuten, da ist Volkswagen-Chef Matthias Müller bei einem seiner Lieblingsthemen: dem Kulturwandel. Der, so sagt Müller, sei dringend notwendig – und auf den Weg gebracht. „Mir ist klar, dass manche denken: Der Müller geht auch wieder vorüber.“ Aber nein: Der Wandel komme ganz bestimmt –auch wenn es dauere. „Als Chef von Porsche habe ich drei Jahre für eine neue Kultur bei 30.000 Mitarbeitern gebraucht. Warum sollte es mit 600.000 Mitarbeitern schneller gehen?“
Müller stellte sich am Montagabend den Fragen von Journalisten und Firmensprechern im Club Hamburger Wirtschaftsjournalisten - und nutzte die Gelegenheit, um ein Zwischenfazit seiner ersten elf Monate als Konzernchef zu ziehen. Keine einfache Zeit: Volkswagen ist in der Dauerkrise, seitdem herauskam, dass im Konzern absichtlich Software eingesetzt wurde, um bei Schadstofftests mit Diesel-Fahrzeugen wesentlich besser abzuschneiden. Kurz gesagt: Kunden und Behörden wurden hinters Licht geführt.
Konzernchef Martin Winterkorn ging, Müller kam. Das war vor elf Monaten. „Dieser Konzern hat eine Kultur gehabt, die sich seit 20, 30 Jahren festgesetzt hat“, sagt Müller heute. Soll heißen: hierarchisch, selbstbezogen. Schlanker soll Volkswagen jetzt werden – ohne betriebsbedingte Kündigungen – und unternehmerischer.
An diesem Abend jedoch sieht er Volkswagen offenbar eher in der Opferrolle. „Wir sprechen über 15 Milliarden Dollar Strafe – ein gutes Ende wird das sowieso nicht. Das ist schweineteuer“, empört er sich. Empfindsam reagiert er auf die Frage, wie er einschätzt, dass Renault ebenfalls betrogen haben soll. „Das ärgert mich, weil andere mit dem Finger auf uns gezeigt haben.“ Und: „Es schmerzt, weil wir die ganze Wucht abbekommen haben und der gemeine Bürger denkt, bei den anderen sei alles okay.“ Doch der Diesel sei auch bei VW nicht tot, beteuert Müller – in zehn Jahren allerdings könnten die Luftreinhalte-Vorschriften so streng sein, dass sich die Abgasreinigung beim Diesel gegenüber einem Elektrofahrzeug nicht mehr lohne.
Überhaupt: Elektrofahrzeuge. Müller kommt gerade aus dem Hamburger Rathaus, wo er eine Partnerschaft mit den Behörden geschlossen hat. Hamburg soll zur globalen Teststadt für e-Mobilität, Vernetzung und autonomes Fahren aus dem VW-Konzern werden. Wo Google, Amazon, Tesla und Uber das Silicon Valley auf eigene Faust zum Testlabor machen, holt sich Volkswagen die Unterschrift des Ersten Bürgermeisters der Freien und Hansestadt Hamburg, Olaf Scholz (SPD). Und wo die US-Konzerne vom autonomen Fahren schwärmen, hält Müller gerade einmal einen „Kreuzungs-Assistenten bei unübersichtlichen Kreuzungen“ für wirklich wahrscheinlich.
Den Visionen aus den USA für einen nachhaltigen Umbruch in der ganzen Branche setzt er einen Beschluss entgegen: In fünf Schritten werde sich das Autonome Fahren nach und nach entwickeln, so habe es der Deutsche Automobilverband VDA festgelegt. Nebenbei kassiert er gleich mal – nur wenige Minuten nachdem er den Wert der neuen Meinungsvielfaltskultur im Konzern gepriesen hat – die Interviewaussage eines seiner neuen Digital-Vordenker, die nächste Generation werde keinen Führerschein mehr brauchen. Müllers kürzlich geborener Enkel Felix jedenfalls werde sicherlich einen Führerschein machen, sagt der Großvater voraus.
Leiser Spott über Tesla
Außerdem spottet er ein bisschen über den Shooting-Star Tesla, der schlagzeilenträchtig den ersten Unfall einen teilautonomen Autos verkraften musste. „Wir sehen am Beispiel Tesla, dass doch alles nicht ganz so einfach ist, wie es im Hype dargestellt wird.“ Das alles klingt wahlweise vernünftig – oder eben wie ein Quelle-Manager im Jahr 1995, dem als Antwort auf Amazon einfällt, den Hauptkatalog demnächst auf CD-Rom brennen zu wollen.
Schließlich sehen die Visionen für Autonomes Fahren auf Knopfdruck im Silicon Valley so aus, dass die Hersteller zu bloßen Lieferanten der neuen Mobilitätsdienstleister degradiert werden. Ein eigenes Auto zu besitzen – Volkswagens Geschäftsmodell als Markenhersteller – ist für sie überholt. Doch bloßer Zulieferer, das war Müllers Rolle nie.
Dabei hat er gerade den großen Ärger mit der Zulieferer-Gruppe Prevent überstanden. Zeitweise standen die Bänder in Wolfsburg und in Emden still, bis der Lieferant bessere Verträge bekam. „Anyway – das ist Schnee von gestern“, antwortet Müller auf eine entsprechende Frage. Dann wird er doch konkreter: Prevent sei nie dem VDA-Kodex für Zulieferer beigetreten. „Unter dem Kodex wäre das nie passiert – oder zumindest nicht öffentlich geworden.“ Volkswagen wolle die Verträge mit seinen Zulieferern überprüfen und noch einmal darüber nachdenken, wo es sinnvoll sei, sich auf nur einen Zulieferer zu verlassen. Generell sei aber die Strategie des Konzerns im Umgang mit Zulieferern richtig.
Seine Strategie für 2025 soll Volkswagen zudem in der Breite für Partner öffnen. Bis dahin sollen 30 elektrische Modelle im Sortiment sein – auch wenn der Großteil weiter einen Verbrennungsmotor hat. Wobei ein wenig überrascht, dass die konzerneigene Marktforschung offenbar im Vorfeld nicht herausfinden konnte, dass der staatliche Zuschuss zum e-Auto die Verkaufszahlen nicht groß steigen lässt – und dass ein Auto, dessen Reichweite gerade einmal zur Endstation der S-Bahn und zurück reicht, kein Preis-, sondern ein Produktproblem hat.
Müller verspricht als Reaktion darauf, dass der nächste e-Golf 300 Kilometer schaffen werde. „Also echte 300 Kilometer – das muss ich dazusagen“, sagt er so treuherzig in seinem Franz-Beckenbauer-Bayerisch, dass man ihm gerne glauben möchte.