Der Aufschrei wirkt so seltsam wie das Blaubeer-Bier aus 3000-Liter-Holzfässern, das die dänische Brauerei Mikkeller herstellt. „Die Schöne und das Biest?!“ steht über einem Artikel des Bier-Bloggers Felix vom Endt (lieblingsbier.de), der es zunächst für „schlechten Witz hielt“, dass die Brauerei Mikkeller ihr Bier künftig in Deutschland statt wie bisher über zwei kleine Importeure nur noch über einen verkaufen möchte. Braufactum heißt das Unternehmen, das sowohl Biere selber braut als auch importiert. Es ist eine Tochter von Radeberger, die zum Oetker-Konzern gehört.
Die Enttäuschung über die Kooperation des ehemaligen Physiklehrers Mikkel Borg Bjergso, der in Dänemark nur einfach leckeres Bier brauen wollte und nun den ökonomischen Schulterschluss mit einer Tochter eines Industriekonzerns sucht, erinnert an die von Teeniefans, die weinen, wenn ihr Idol heiratet. Craft Beer – das ist die Geschichte von kleinen Brauereien, die in den USA vor Jahrzehnten begannen, gegen den vermeintlichen Einheitsgeschmack der großen Konzernbiere, anzukämpfen. Seit einigen Jahren ist dieser Trend nun auch mit voller Wucht in Deutschland angekommen. Mit dem Epizentrum Berlin wächst landauf landab die Szene der Kleinstbrauereien, die sich von den klassischen Sorten Pils, Export oder Kölsch und Alt verabschieden und stattdessen mit India Pale Ales, Stouts oder belgischen Varianten experimentieren.
Die internationalen Craft-Bier Stars
Die Schotten aus Aberdeen sind die wohl lautesten Craft-Bier-Brauer Europas. „Dead Pony Pale Ale“ heißt eines ihrer Biere, „Punk IPA“ ein anderes. Zur Finanzierung ihrer Expansion gaben sie eine Anleihe unter dem Motto „Equity for punks“ aus, die rasch unter den Fans verkauft war. Brew Dog suchen seit längerem nach einer Location für eine Bar in Berlin. Womit Besucher zu rechnen haben? Ungewiss: “ Experimentation is our Art. Revolution is our weapon. Walk tall, kick ass and learn to speak craft beer.”
Biertipp: Dead Pony Pale Ale
Statt nur Bier nach Deutschland zu exportieren, geht die kalifornische Brauerei einen Schritt weiter – 2016 plant sie im Marienpark in einer 4000 Quadratmeter großen alten Halle eine Brauanlage aufzubauen. An gleicher Stelle soll auch ein Restaurant entstehen – jedoch anders als ein klassisches Brauhaus mit Bioküche – und gegebenenfalls wie im Stone Bistro Escondido mit veganen Speisen am #meatlessmonday
Biertipp: Stone Smoked Porter
1985 wurde die Brauerei Boston Beer Company von Jim Koch gegründet. Ein Rezept seines Ur-Ur-Großvaters veränderte Koch und brachte es als Samuel Adams Boston Lager auf den Markt – und wurde drei Monate später unter 93 Bieren zum besten Bier der USA gewählt. Die Produktion stiegt in 25 Jahren von rund acht auf heute mehr als 160 Millionen Liter jährlich. Dennoch gilt die Boston Beer Company unter Craft-Bier-Anhängern dank der handwerklichen Zubereitung als Vorbild.
Biertipp: Samuel Adams Boston Lager
Widerstand gegen die Fernsehbiere
Während sich Marmelademanufakturen oder Ziegenkäsereien damit begnügen, ihre Produkte in ausreichender Zahl zu verkaufen, ist es für einen Teil der neu entstehenden Brauereien, die Kreativbrauerei Kehrwieder, Hopfenstopfer oder Crew Republic heißen, und ihren Fans auch wichtig, damit den Widerstand gegen die „Fernsehbiere“ zu demonstrieren. Klein ist fein, lokal ist super – diese banalen Formeln sind zwar längst keine Garantie für gute Bierqualität, sichern den immer neu entstehenden Brauereien aber Sympathiepunkte einer Generation Biertrinkern, die mit Tradition nichts an der Wollmütze hat.
Vorbild neben Mikkeller ist die schottische Marke Brew Dog, deren Widerstand gegen die üblichen Mechanismen des Marktes so weit ging, dass sie mit „Equity for punks“ sich frisches Kapital für eine – sanfte Expansion – besorgt haben. Mikkel Borg Bjergso ist als Seiteneinsteiger und einer der innovativsten Köpfe der Szene und Projektionsfläche für den Idealismus einer vornehmlich jungen Garde an kleinen Unternehmer im Streben nach besserem Bier. Die Nachricht wird auch unter den Bierkennern unterschiedlich bewertet. „Ich bin da ambivalent. Die Brauerei Mikkeller ist inzwischen ein Unternehmen mit Mitarbeitern und nicht mehr länger nur der Lehrer, der in seinem Keller aus Spaß Bier braut. Entsprechend denkt und handelt Bjergso eben jetzt auch wie ein Unternehmer“, sagt Nina Anika Klotz, Herausgeberin des Online-Magazins hopfenhelden.de. Die Fronten zwischen Craft Breweries und Giganten wie Anheuser-Busch seien in den 70er Jahren aber in den USA klarer verlaufen als heute in Deutschland: „Wir haben trotz vieler großer Marken immer noch zahlreiche kleine Brauereien und die Frage, ob fränkische Hausbrauereien nicht auch Craft Bier braut, ist nicht mit Ja oder Nein zu beantworten.“, sagt Klotz.
Beliebte deutsche Craft-Brauereien
Nach dem Abbruch seines Biologiestudiums entdeckte Alexander Himburg seine Liebe zur Braukunst, heißt es auf der Homepage der Odenwälder Brauerei. In der hessischen Provinz experimentiert Himburg mit amerikanischen Hopfen aber auch neuen deutschen Sorten.
Biertipp: Mandarina IPA
Craft Beer is not a crime“ – das hat auch niemand behauptet. Dennoch ist das der Slogan der Gründer Mario Hanel und Timm Schnigula, die ihre Crew Alewerkstatt in München eröffnet haben. Wenn ein X auf dem Flaschenhals prangt, dann ist das Bier ein Versuch, von dem nicht klar ist, ob er wiederholt wird. Testballon hieß das früher. Wie Weinproduzenten schwärmen die Braumeister von Zweitaromen wie Sherry, Whiskey, Schokolade, Kaffee, Lakritz und einem Hauch Portwein – in einem Bier.
Biertipp: Sour Black
Der Name klingt verdächtig nach Brautradition wie wir sie kennen. Aber die Hamburger Brauerei hat in den Schanzenhöfen mitten in der Stadt „erst gebaut – dann gebraut“. Handwerkliches Brauen mit Hopfensorten, die mehr Aroma ins Bier geben ist auch beim Ratsherrn die Maßgabe.
Biertipp: Winter Red Ale
In den Frequently Asked Questions (FAQ) des Craft-Bier-Zweigs der Brauerei Häffner in Bad Rappenau, steht folgendes: „Welche Ziele verfolgt Ihr? Weltherrschaft in Sachen Bier! Nein Spaß beiseite! Wir verfolgen ein natürliches, nicht zu rasantes Wachstum und freuen uns einfach, Pioniere einer tollen Bewegung zu sein.“ Diese Haltung steckt hinter einer der beliebtesten Craft-Bier-Brauereien Deutschlands.
Biertipp: Dark Red Temptation
Dass die Entscheidung, sich von den beiden vorigen kleinen Importeuren in Deutschland zu trennen, in der eng vernetzten Szene der Craft-Brauer für Diskussionen sorgte, ahnte die Brauerei Mikkeler. „Wir wissen, dass in Deutschland mit dem Thema sehr viele Emotionen verbunden sind“, sagt Jacob Gram Alsing von Mikkeler. Der Grund für den Partnerwechsel hin zu einer Tochter der größten deutschen Braugruppe sei jedoch sowohl in der Unternehmensphilosophie wie dem deutschen Pfandsystem zu finden. „Wir möchten so vielen Menschen wie möglich unser Bier zugänglich machen“, sagt Alsing. Ein Gang selbst in den bestsortiertesten Getränkemarkt hätte da keinen Zweck dieser Tage. Die Radeberger-Tochter Braufactum hat in den vergangenen Jahren jedoch in vielen Supermärkten Kühlschränke aufgestellt, in den Spezialitäten aus eigenem Haus wie auch Importe zu haben sind – für Preise deutlich über dem Niveau des deutschen Durchschnittpils.
Kein erprobtes Portfolio
„Uns ist es egal, wem das Unternehmen gehört, wenn die Qualität stimmt und wir spüren, dass unsere Partner das gleiche wollen wie wir“, sagt Alsing. Dazu komme, dass Braufactum Erfahrung mit dem deutschen Pfandsystem habe. Bislang konnte man sich in Deutschland Sorten wie „Spontan Cherry“, das in Eichenfässern reifte und 8,2% Alkohol hat, zuschicken lassen und umging so das Pfandsystem. Bei einer flächendeckenden Verbreitung ist das für eine Biermarke nicht drin – im Gegensatz zu Weinflaschen, denen ein Ende im Altglascontainer genügt. „Wir exportieren in 47 Länder. Wir können in unserer Größe nicht für jedes Land eigene Flaschen produzieren“, sagt Alsing. So kommt Mikkeller in Deutschland zunächst mit einem kleineren Programm in die Supermärkte – mindestens 600 Sorten hat Mikkeller seit seiner Gründung im Jahr 2006 produziert. Nicht ein erprobtes Portfolio sondern der ständige Wandel sind die Idee der Brauerei.
Die deutschen Mitbewerber von Radeberger werden auch diese Entwicklung genau beobachten. Die Brauerei Bitburger hat schon 2009 den Schritt in Richtung Mikro-Brauerei getan und mit Craftwerk eine Marke ins Leben gerufen, die auf der hauseigenen Versuchsanlage gebraut wird. Die Bayreuther Brauerei Maisels, bekannt für ihr Weizen und Weißbier, hat mit „Maisel & Friends“ ein Programm mit in der fränkischen Heimat eher unbekannten Sorten wie „Choco Bock“ gegründet. Vergangene Woche tauchten in Bier-Blogs Bilder von modern gestalteten Becks-Flaschen auf, die mit den Sorten „India Pale Ale“ oder „Amber Lager“ gefüllt sind.
"Losers - Corporate Beer still sucks"
In den USA ist die Entwicklung bereits einen Schritt weiter. Vor einigen Monaten kaufte die größte Braugruppe der Welt, AB-Inbev, 10 Barrel Brewing in Oregon. Während des Superbowls am vergangenen Sonntag lief in einem der eigens für dieses Ereignis produzierten Werbespots ein hämischer Film der Marke Budweiser, der über Biertrinker spottete, die ihr Bier wie Wein degustieren und Sorten wie „Pumpkin Peach Ale“ tränken. Pumpkin Peach Ale ist jedoch keine wirre Erfindung eines Werbers, der Kürbis und Pfirsich als Basis für Bier verhöhnen wollte, sondern eine Sorte Bier, die die Elysian Brewing Company aus Seattle tatsächlich braute – und die seit 23. Januar zur AB-Inbev gehört - und somit Konzernschwester von Budweiser ist. Ebenfalls – und laut Aussage von Elysian Brewing auch weiterhin – im Programm: Das Bier „Losers – Corporate Beer still sucks“.
Die Craft-Biere der großen Brauereien
Die Tochter der Radeberger-Gruppe ist das sicherlich sichtbarste Unternehmen der Craft-Bier-Szene. Die Kühlschränke von Braufactum mit eigenen Kreationen wie auch importierten Bieren (siehe Mikkeler) sind in guten Supermärkten zu finden.
Biertipp: Firestone Union Jack
Optisch wie geschmacklich sind die Craftwerk-Biere, die auf der Versuchsanlage von Bitburger gebraut werden, ein kompletter Bruch mit der Tradition und der Vermarktung der bekannten Marke.
Biertipp: Barrel Aged Ltd.
Die Köstritzer-Brauerei setzt nicht auf eine neue Marke, sondern versucht, beliebte Sorten der Craft-Bier-Szene unter eigenem Namen zu vermarkten. Derzeit im Angebot: Ein Weizenbier mit starker Fruchtnote unter dem Namen Witbier und ein Pale Ale.
Biertipp: Pale Ale
Mit Bildern von Darth Vader als rücksichtsloser Eroberer illustrierte das amerikanische Blog 'I Think About Beer' diese Akquisition und beschreibt die guten Vertriebswege der Konzerne als den Köder mit dem die kleinen Brauereien gefangen werden um im nächsten Schritt auf Effizienz getrimmt zu werden – bis hin zu umfangreichen Sparprogrammen, um die Profite zu steigern. Der Konsument, so argwöhnt Autor Christopher Barnes, sei der Gekniffene. Denn die Vertriebsmacht nutze AB-Inbev, um Marken, die nicht zum Konzern gehörten, aus den Läden zu entfernen.
Dieses Szenario ist eines, das auch durch die deutsche Craft-Bier-Szene geistert. Auch wenn der hiesige gemeine Getränkemarkt noch weit davon entfernt ist, überhaupt die Vielfalt der Craft-Bier-Szene darzustellen, bevor er sie wieder einschränken könnte. Auch Nina Anika Klotz kennt diese Sorgen. „Problematisch wird es aber vor allem dann, wenn die Konzerne den Preiskampf eröffnen und ein India Pale Ale für 1,20 anbieten – da könnten die kleinen handwerklichen Betriebe nicht mithalten.“