Was Unternehmen zum Brexit sagen "Erwarten deutlichen Rückgang des Geschäfts"

Die Enttäuschung über den Brexit in der Wirtschaft ist riesig. In Großbritannien arbeiten Hunderttausende in Niederlassungen deutscher Konzerne, die Geschäfte werden leiden. Konzernchefs und Banken verlangen von der EU rasche Klarheit.

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Rolls-Royce-Fertigung im südenglischen Goodwood Quelle: REUTERS

Katerstimmung in den Chefetagen nach dem Brexit: Die deutsche Wirtschaft ist fassungslos über das Votum der Briten, die für einen Austritt aus der Europäischen Union gestimmt haben. Die Industrie fürchtet harte und unmittelbare Folgen für den Handel mit der Insel. Dort arbeiten fast 400.000 Beschäftigte in Niederlassungen deutscher Firmen. „Der Brexit ist für die deutsche Wirtschaft ein Schlag ins Kontor“, sagte der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Eric Schweitzer, am Freitagmorgen.

Auch die Exportwirtschaft sprach von einer Katastrophe für Großbritannien, Europa und Deutschland. „Es ist bestürzend, dass die älteste Demokratie der Welt uns den Rücken kehrt“, meinte der Chef des Außenhandelsverbandes BGA, Anton Börner. „Die Briten werden die Ersten sein, die unter den wirtschaftlichen Folgen leiden werden.“

Nach Einschätzung der Industrie wird der Brexit sich direkt negativ auf die Wirtschaftsbeziehungen mit dem Vereinigten Königreich auswirken. „Wir erwarten in den kommenden Monaten einen deutlichen Rückgang des Geschäfts mit den Briten. Neue deutsche Direktinvestitionen auf der Insel sind kaum zu erwarten“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Industrieverbandes BDI, Markus Kerber. Die Beschäftigten in deutschen Niederlassungen stünden vor unsicheren Zeiten. Besonders betroffen vom Brexit seien die Branchen Auto, Energie, Telekom, Elektronik, Metall, Einzelhandel und Finanzen.

Der Brexit ist ein dramatischer Weckruf für alle Europäer – so sieht es zumindest Charles-Edouard Bouée, Chef der Strategieberatung Roland Berger. „Der EU ist es offensichtlich nicht gelungen, eine Mehrheit von Einwohnern in Großbritannien und andernorts von sich zu überzeugen: Sie nehmen die EU offenbar eher als Hindernis wahr als eine Gemeinschaft, die ihre Entwicklung unterstützt“, so der gebürtige Franzose. „Es ist unsere Aufgabe und eine große Herausforderung, die EU wieder zu einem inspirierenden und zukunftsorientierten Projekt zu machen, das auf Unternehmergeist, Innovation und Fortschritt gründet.“ Auf Frankreich und Deutschland käme noch größere Verantwortung zu: „Sie müssen ihre Partnerschaft stärken und gleichzeitig eine Lösung für das künftige Verhältnis mit Großbritannien finden. In beiden Ländern werden 2017 neue Regierungen gewählt: Das kann eine Chance für Europa sein – aber nur, wenn es über Lippenbekenntnisse hinausgeht, sich in Taten ausdrückt und die Menschen auf eine positive Reise mitnimmt.“

Autoindustrie gibt sich gelassen

Jedes fünfte in Deutschland produzierte Auto geht nach Angaben des Branchenverbandes VDA ins Vereinigte Königreich. Autos deutscher Konzernmarken haben danach auf der Insel einen Marktanteil von gut 50 Prozent. Im vergangenen Jahr wurden 810.000 Autos, die in Deutschland vom Band liefen, nach Großbritannien ausgeführt.

BMW reagiert betont zurückhaltend auf die Entscheidung der britischen Wähler. „Die Konsequenzen dieser Entscheidung sind heute noch nicht absehbar. Klar ist, dass nun eine Phase der Unsicherheit beginnt“, teilte der Münchener Autokonzern am Freitag mit. „Wir erwarten jedoch zunächst keine unmittelbaren Auswirkungen auf unsere Aktivitäten in Großbritannien.“ BMW baut in England jährlich mehr als 200.000 Minis und Rolls-Royce-Limousinen und beschäftigt dort 24.000 Mitarbeiter. Nach dem Brexit-Votum erklärte BMW, die Bedingungen für den Personen- und Warenverkehr müssten nun neu verhandelt werden. „Bevor die neuen Rahmenbedingungen nicht im Detail definiert sind, können wir uns zu konkreten Auswirkungen auf unsere Aktivitäten in Großbritannien nicht äußern.“

Welche Branchen besonders betroffen sind
AutoindustrieDie Queen fährt Land Rover – unter anderem. Autos von Bentley und Rolls-Royce stehen auch in der königlichen Garage. Die britischen Autobauer werden es künftig wohl etwas schwerer haben, ihre Autos nach Europa und den Rest der Welt zu exportieren – je nach dem, was die Verhandlungen über eine künftige Zusammenarbeit ergeben. Auch deutsche Autobauer sind betroffen: Jedes fünfte in Deutschland produzierte Auto geht nach Angaben des Branchenverbandes VDA ins Vereinigte Königreich. Autos deutscher Konzernmarken haben danach auf der Insel einen Marktanteil von gut 50 Prozent. BMW verkaufte in Großbritannien im vergangenen Jahr 236.000 Autos – das waren mehr als 10 Prozent des weltweiten Absatzes. Bei Audi waren es 9, bei Mercedes 8, beim VW-Konzern insgesamt 6 Prozent. Für Stefan Bratzel wird der Brexit merkliche negative Auswirkungen auf die Automobilindustrie haben, die im Einzelnen noch gar nicht abschließend bewertet werden können. „Der Brexit wird so insgesamt zu einem schleichenden Exit der Automobilindustrie von der Insel führen“, sagt der Auto-Professor. „Wirkliche Gewinner gibt es keine.“ Quelle: REUTERS
FinanzbrancheBanken brauchen für Dienstleistungen innerhalb der EU rechtlich selbstständige Tochterbanken mit Sitz in einem EU-Staat. Derzeit können sie grenzüberschreitend frei agieren. Durch den Brexit werden Handelsbarrieren befürchtet. Quelle: REUTERS
FinTechsDie Nähe zum Finanzplatz London und die branchenfreundliche Gesetzgebung machten Großbritannien in den vergangenen Jahren zu einem bevorzugten Standort für Anbieter internetbasierender Bezahl- und Transaktionsdienste, im Branchenjargon „FinTech“ genannt. Das dürfte sich nun ändern. Der Brexit-Entscheid werde bei den rund 500 im Königreich ansässigen FinTechs „unvermeidlich“ zu einer Abwanderung von der Insel führen, erwartet Simon Black. Grund dafür sei, so der Chef des Zahlungsdienstleisters PPRO, da ihr „Status als von der EU und EWR anerkannte Finanzinstitutionen nun gefährdet ist“. Simon erwartet von sofort an eine Verlagerung des Geschäfts und die Schaffung neuer Arbeitsplätze außerhalb von Großbritannien. „FinTech-Gewinner des Brexits werden meines Erachtens Amsterdam, Dublin und Luxemburg sein.“ Als Folge entgingen Großbritannien, kalkuliert Black, „in den nächsten zehn Jahren rund 5 Milliarden Britische Pfund an Steuereinnahmen verloren“. Quelle: Reuters
WissenschaftAuch in der Forschungswelt herrscht beidseits des Kanals große Sorge über die Möglichkeiten zukünftiger Zusammenarbeit. Die EU verliere mit Großbritannien einen wertvollen Partner, ausgerechnet in einer Zeit, in der grenzüberschreitende wissenschaftliche Zusammenarbeit mehr denn je gebraucht werde, beklagt etwa Rolf Heuer, Präsident der Deutschen Physikalischen Gesellschaft. „Wissenschaft muss helfen, Grenzen zu überwinden.“ Venki Ramakrishnan, der Präsident der Royal Society, fordert, den freien Austausch von Ideen und Menschen auch nach einem Austritt unbedingt weiter zu ermöglichen. Andernfalls drohe der Wissenschaftswelt „ernsthafter Schaden“. Wie das aussehen kann, zeigt der Blick in die Schweiz, die zuletzt, nach einer Volksentscheidung zur drastischen Begrenzung von Zuwanderung, den Zugang zu den wichtigsten EU-Forschungsförderprogramme verloren hat. Quelle: dpa
DigitalwirtschaftDie Abkehr der Briten von der EU dürfte auch die Chancen der europäischen Internetunternehmen im weltweiten Wettbewerb verschlechtern. „Durch das Ausscheiden des wichtigen Mitgliedslands Großbritannien aus der EU werde der Versuch der EU-Kommission deutlich erschwert, einen großen einheitlichen digitalen Binnenmarkt zu schaffen, um den Unternehmen einen Wettbewerb auf Augenhöhe mit Ländern wie den USA oder China zu ermöglichen“, kommentiert Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer beim IT-Verband Bitkom, den Volksentscheid. Daneben werde auch der Handel zwischen den einzelnen Ländern direkt betroffen: 2015 exportierte Deutschland ITK-Geräte und Unterhaltungselektronik im Wert von 2,9 Milliarden Euro nach Großbritannien geliefert; acht Prozent der gesamten ITK-Ausfuhren aus Deutschland. „Damit ist das Land knapp hinter Frankreich das zweitwichtigste Ausfuhrland für die deutschen Unternehmen.“ Quelle: REUTERS
ChemieindustrieDie Unternehmen befürchten einen Rückgang grenzüberschreitender Investitionen und weniger Handel. Im vergangenen Jahr exportierte die Branche nach Angaben ihres Verbandes VCI Produkte im Wert von 12,9 Milliarden Euro nach Großbritannien, vor allem Spezialchemikalien und Pharmazeutika. Das entspricht 7,3 Prozent ihrer Exporte. Von der Insel bezogen die deutschen Firmen Waren für 5,6 Milliarden Euro, vor allem pharmazeutische Vorprodukte und Petrochemikalien. Quelle: REUTERS
ElektroindustrieNach einer Umfrage des Ifo-Instituts sehen sich besonders viele Firmen betroffen (52 Prozent). Das Vereinigte Königreich ist der viertwichtigste Abnehmer für Elektroprodukte „Made in Germany“ weltweit und der drittgrößte Investitionsstandort für die Unternehmen im Ausland. Dem Branchenverband ZVEI zufolge lieferten deutsche Hersteller im vergangenen Jahr Elektroprodukte im Wert von 9,9 Milliarden Euro nach Großbritannien. Dies entspreche einem Anteil von 5,7 Prozent an den deutschen Elektroausfuhren. Quelle: dpa

Über Auswirkungen auf die Produktionsstandorte – Oxford, Hams Hall, Swindon und Goodwood – werde der Konzern nicht spekulieren. BMW hat dort rund 2,2 Milliarden Euro investiert. Zudem ist Großbritannien ist für BMW nach China und den USA der drittgrößte Auslandsmarkt. Der Konzern verkauft dort bislang mehr als zehn Prozent seiner Autos – im vergangenen Jahr waren das 236.000 Fahrzeuge.

Auch der weltgrößte Autozulieferer Bosch will seine Investitionen nicht kürzen. „Wir bedauern die Entscheidung für einen Ausstieg Großbritanniens aus dem größten Binnenmarkt der Welt sehr – nicht nur aus wirtschaftlicher Sicht“, sagt Bosch-Geschäftsführer Volkmar Denner. „Die langfristigen Folgen für die Wirtschaft werden erst nach und nach erkennbar.“ Es sei noch zu früh, konkrete Aussagen zu den Auswirkungen zu treffen. Vorsorgemaßnahmen hat Denner aber trotzdem getroffen: „Beispielsweise haben wir unsere Sicherungsquoten deutlich erhöht, um der Abwertung des britischen Pfundes entgegen zu wirken.“

Großbritannien und die EU - eine schwierige Beziehung

Bosch-Konkurrent Continental gibt sich gelassen. „Die direkten wirtschaftlichen Auswirkungen auf Continental sind voraussichtlich nur begrenzt“, sagte Unternehmenschef Elmar Degenhart. Conti mache derzeit weniger als drei Prozent des Umsatzes in Großbritannien. Als Produktionsstandort hat Großbritannien mit 1400 Mitarbeitern keine große Bedeutung.

Mit Blick auf den Zusammenhalt in Europa sei das Ergebnis aber sehr beunruhigend. „"Jeder für sich" entspricht nicht der Gründungsidee der EU und kann nicht die Antwort auf die Herausforderungen im weltweiten Wettbewerb mit Amerika und Asien sein“, sagte Degenhart.

„Nach einem EU-Austritt sollte niemand Interesse daran haben, mit Zollschranken zwischen Großbritannien und dem Festland den internationalen Warenverkehr zu verteuern“, sagte VDA-Präsident Matthias Wissmann. Dabei ist der britische Automobilmarkt in hohem Maße auf Importe angewiesen: 86 Prozent der Pkw-Neuzulassungen sind Autos, die nicht in Großbritannien produziert, sondern importiert wurden. Ein Großteil davon kommt aus EU-Ländern.

Gleichzeitig ist UK aber auch exportstark: Von den knapp 1,6 Millionen Autos, die 2015 in Großbritannien gefertigt wurden, gingen gut drei Viertel in den Export. Die anderen EU-Länder sind dabei Hauptabnehmer, gut jedes zweite exportierte Auto (57 Prozent) fand dort seinen Käufer.

Maschinenbau, Chemie und Finanzbranche

Einer der größten britischen Autobauer ist Jaguar-Land-Rover. „Wir werden die langfristigen Auswirkungen und Folgen dieser Entscheidung managen“, sagt Sprecher Chas Hallett. „Für uns oder die Autoindustrie wird sich nichts über Nacht ändern.“ Man werden mit der britischen Regierung daran arbeiten, die Wettbewerbsfähigkeit der britischen Autoindustrie zu gewährleisten, so Hallett weiter.

Ähnlich optimistisch äußerte sich der Sportwagenbauer McLaren. „Wir ermutigen die politischen Entscheidungsträger, den Prozess der Neuverhandlungen mit der EU zu beschleunigen, damit so schnell wie möglich wirtschaftliche Normalität einkehren kann“, sagt Sprecher Wayne Bruce. Von den Unternehmenszielen will McLaren wegen des Brexits nicht abrücken: „Doch unser kürzlich angekündigter Wachstumsplan bis 2022 bleibt unverändert und wir glauben, dass wir unseren Weg in eine gute Zukunft fortsetzen werden.“

Maschinenbau sorgt sich um einen wichtigen Exportmarkt

Die deutsche Schlüsselindustrie sorgt sich um einen ihrer wichtigsten Exportmärkte. Das Vereinigte Königreich belegte 2015 Rang vier der wichtigsten Ausfuhrländer. Deutsche Maschinenbauer lieferten im vergangenen Jahr Ware im Wert von 7,2 Milliarden Euro nach Großbritannien. Deutschland ist dem Branchenverband VDMA zufolge der wichtigste Lieferant der Briten. 2015 kamen 20,6 Prozent der importieren Maschinen aus der Bundesrepublik.

„Die Entscheidung für den Austritt Großbritanniens aus der EU ist ein Alarmsignal für die Unternehmen“, sagte Thilo Brodtmann, Hauptgeschäftsführer des VDMA. Der Industriestandort Europa werde Vertrauen bei Investoren verlieren. „Und es wird nicht lange dauern, bis unsere Maschinenexporte nach Großbritannien spürbar zurückgehen werden“. Bereits im ersten Quartal seien die Ausfuhren in den viertwichtigsten Auslandsmarkt der deutschen Maschinenbauer um vier Prozent im Vergleich zum Vorjahr gesunken.

Für Siemens-Chef Joe Kaeser sind die Folgen des Votums noch nicht abzusehen. „Dazu ist es zu früh. Europa wird sich durch das Votum aber verändern“, so Kaeser. „Die Einigung Europas ist eine große Erfolgsgeschichte."

Das sagen Ökonomen zum Brexit-Entscheid

Chemie-Industrie sieht schlechtes Signal für Europa

Die Chemie-Unternehmen befürchten einen Rückgang grenzüberschreitender Investitionen und weniger Handel. „Die deutsche chemische Industrie hat sich stets zur politischen und wirtschaftlichen Einheit der Europäischen Union bekannt“, sagt Ex-Bayer-Chef und heutiger VCI-Präsident Marijn Dekkers. „Daher bedauere ich es sehr, dass die Briten für einen Ausstieg aus der EU gestimmt haben. Gerade jetzt, wo sich die Konjunktur in Europa zaghaft erholt, ist der Austritt ein schlechtes Signal für die weitere wirtschaftliche Entwicklung.“ Im vergangenen Jahr exportierte die Branche nach Angaben ihres Verbandes VCI Produkte im Wert von 12,9 Milliarden Euro nach Großbritannien, vor allem Spezialchemikalien und Pharmazeutika. Das entspricht 7,3 Prozent ihrer Exporte. Von der Insel bezogen die deutschen Firmen Waren für 5,6 Milliarden Euro, vor allem pharmazeutische Vorprodukte und Petrochemikalien.

Covestro erwartet durch den Ausgang des britischen EU-Referendums momentan keine großen negativen Folgen für das eigene Geschäft. „Aus heutiger Sicht hat der Brexit nur sehr begrenzte Auswirkungen auf unser Unternehmen“, so der Vorstandsvorsitzende Patrick Thomas. Großbritannien zähle nicht zu den zehn größten Märkten von Covestro, und das Unternehmen sei dort nicht mit eigenen Produktionsstätten vertreten. Allerdings ließen sich die politischen Konsequenzen derzeit nicht abschätzen. „Man muss abwarten, was die kommenden Monate bringen“, so der Manager.

Persönlich betrachtet Thomas als Engländer die Entscheidung seiner Landsleute mit Unverständnis: „In meiner persönlichen Sicht ist das Votum eine große Enttäuschung.“

Finanzbranche hofft auf schnelle Erholung

Nach dem Brexit-Votum brechen Aktien von deutschen und britischen Finanzinstituten ein. Die Papiere der Deutschen Bank und der Commerzbank verloren kurz nach dem Handelsstart am Freitagmorgen jeweils rund 16 Prozent. Die Anteilscheine der Commerzbank fielen vorübergehend auf den tiefsten Stand seit drei Jahren. Die Aktien der Royal Bank of Scotland lagen an der Londoner Börse rund 28 Prozent im Minus, Papiere von Lloyds büßten 22 Prozent ein. Auch der Versicherer Aviva verlor rund 25 Prozent.

Dennoch sind die deutschen Banken zuversichtlich, dass sich die Aktienmärkte rasch erholen. „Die Lage an den Finanzmärkten dürfte sich nach dem ersten Schock rasch beruhigen“, sagte der Präsident des Bankenverbandes, Hans-Walter Peters, der dpa. Die Notenbanken hätten zudem alle erforderlichen Vorkehrungen getroffen, um nach dem „schwarzen Freitag“ eingreifen zu können.

Peters geht davon aus, dass die Finanzplätze Kontinentaleuropas wie Frankfurt mittelfristig nach dem Brexit an Bedeutung gewinnen: „Auch wenn Frankfurt zu Lasten der City Marktanteile gewinnen würde, so wäre mir ein politisch geeintes Europa mit dem Vereinigten Königreich weitaus lieber.“ Sparkassen-Präsident Georg Fahrenschon meinte: „Wir brauchen jetzt eine ehrliche Revitalisierung der gemeinsamen europäischen Idee.“

Banken brauchen für Dienstleistungen innerhalb der EU rechtlich selbstständige Tochterbanken mit Sitz in einem EU-Staat. Derzeit können sie grenzüberschreitend frei agieren. Durch den Brexit werden Handelsbarrieren befürchtet. „Das ist kein guter Tag für Europa“, sagt der Brite und Deutsche-Bank-Chef John Cryan. „Die Konsequenzen lassen sich noch nicht vollständig absehen. Sie werden aber für alle Seiten negativ sein.“

Die Briten wollen die Europäische Union verlassen. IW-Ökonom Michael Hüther erklärt, wie die EU sich nun verhalten soll, was sie an sich selbst ändern muss und was im Brexit-Wahlkampf falsch gemacht wurde.
von Marius Gerads

Cryan sieht die Deutsche Bank jedoch gut darauf vorbereitet, die Folgen des Austritts zu mildern.
„Lassen Sie mich als Brite und Europäer aber noch eines hinzufügen: Ich bin ein überzeugter Anhänger der europäischen Idee“, so Cryan weiter. „Diese hat uns mehr als 50 Jahre Frieden und Wohlstand gebracht. Deshalb schmerzt es mich, dass Europa für viele meiner Landsleute offenbar an Attraktivität verloren hat. Das ist ein klares Signal an die Europäische Union, wieder näher an die Menschen zu rücken und die Demokratie zu stärken.“

Glodman-Sachs-Chef Lloyd C. Blankfein respektiert die Entscheidung. „Wir haben uns bereits seit vielen Monaten auf beide möglichen Ausgänge des Referendums vorbereitet“, so Blankfein in einer Mitteilung. „Unser Hauptaugenmerk bleibt dabei unverändert, den Anforderungen und Bedürfnissen unserer Klienten gerecht zu werden.“

Luftfahrt, Energieunternehmen und IT

Viel steht für die Deutsche Börse auf dem Spiel. Sie will sich mit dem Londoner Konkurrenten LSE zusammenschließen. Das Anteilsverhältnis ist schon festgezurrt. Der Deal könnte für den Frankfurter Marktbetreiber nun teuer werden, falls die Londoner Börse wegen des Brexits massiv an Wert verlieren sollte. Wegen des Brexit sei eine Verbindung zwischen Frankfurt und London sogar noch wichtiger, erklärte Deutsche-Börse-Aufsichtsratschef Joachim Faber.

„Wir sind davon überzeugt, dass der beabsichtigte Zusammenschluss von Deutscher Börse und London Stock Exchange durch das Abstimmungsergebnis eine noch höhere Bedeutung für unsere Kunden bekommen hat und sowohl für unsere Aktionäre als auch weitere Stakeholder Vorteile bringen wird.“ Die Aktionäre der LSE sollen am 4. Juli auf einer außerordentlichen Hauptversammlung grünes Licht für die Börsen-Hochzeit geben. Die Deutsche-Börse-Aktionäre haben Zeit bis zum 12. Juli, um das Fusionsangebot anzunehmen.

Deutsche Börse und LSE haben ein Referendums-Komitee installiert, das nun über die Konsequenzen des Brexit für die Fusion beraten wird. Auch die Entscheidung für London als „alleinigem Sitz“ der fusionierten Börse solle dabei noch mal überprüft werden, hatte Faber im Vorfeld des Referendums angekündigt.

Der Betriebsrat der Gruppe Deutsche Börse fordert, dass nach einer Fusion mit der London Stock Exchange (LSE) der Rechtssitz in Frankfurt am Main sein solle. Das geht aus einer Betriebsratsinfo hervor, die der WirtschaftsWoche vorliegt. Nur so könne nach dem Zusammenschluss ein europäischer Börsen-Champion geschaffen werden. Jeder andere Standort und Rechtssitz außer Frankfurt sei ausgeschlossen.

Kritisch gesehen wird der Sitz in London unter anderem von der hessischen Börsenaufsicht, die den Zusammenschluss blockieren kann. Aus Sicht von Analysten steigt durch den Brexit die Gefahr, dass die Aufsichtsbehörden die Fusion verbieten. Deutsche-Börse-Aktien verloren rund sieben Prozent, LSE-Papiere brachen um 13 Prozent ein.

Luftfahrtbranche leidet auf der Insel und dem Kontinent

Die Investmentbank HSBC rät in einer aktuellen Studie zum Verkauf von Aktien aller europäischen Fluglinien. „Wir erwarten, dass der Flugverkehr nach Großbritannien spürbar zurückgeht und zwar sowohl bei Urlaubern aus Großbritannien als auch beim Geschäftsreiseverkehr von und nach Großbritannien“, schreiben die Analysten. „Während der zu erwartenden Verhandlungen über die künftigen Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU rechnen wir mit einer hohen Unsicherheit ob und unter welchen Bedingungen Großbritannien sich an den EU Single Aviation Area genannten gemeinsamen Flugmarkt anschließt. Dafür werden alle auf den britischen Inseln tätigen Fluglinien wie Easyjet, Ryanair, Norwegian und Wizzair wahrscheinlich neue Beteiligungen in der EU gründen, was zu höheren Kosten führt.“

Aber auch die Linien auf dem Kontinent seien betroffen: „Denn bei einem Rückgang des Flugverkehr von und nach Großbritannien werden sie ihre Flugzeuge vermehrt innerhalb der EU einsetzen, was die vorhandenen Überkapazitäten weiter verstärken wird.“

„Als Europäer bin ich enttäuscht und bedauere den Austritt von Großbritannien aus der Europäischen Union. Für uns als größter europäischer Luftfahrtkonzern sind die Auswirkungen beherrschbar“, sagt Lufthansa-Chef Carsten Spohr. Gemessen am Gesamtumsatz der Lufthansa Group liegt der Anteil des Markts Großbritannien bei fünf Prozent. Die konkreten Folgen des „Brexit“ seinen nun von den Verhandlungen zwischen der EU und Großbritannien abhängig.

Was die Briten an der EU stört
Nationale IdentitätAls ehemalige Weltmacht ist Großbritanniens Politik noch immer auf Führung ausgelegt. London ist gewohnt, die Linie vorzugeben, statt sich mühsam auf die Suche nach Kompromissen zu begeben. „London denkt viel mehr global als europäisch“, sagt Katinka Barysch, Chefökonomin beim Centre for European Reform in London. Die Angst, von EU-Partnern aus dem Süden Europas noch tiefer in die ohnehin schon tiefe Krise gezogen zu werden, schürt zusätzliche Aversionen. Quelle: dpa
Finanztransaktionssteuer und Co.Die Londoner City ist trotz massiven Schrumpfkurses noch immer die Lebensader der britischen Wirtschaft. Großbritannien fühlt sich von Regulierungen, die in Brüssel ersonnen wurden, aber die City treffen, regelrecht bedroht. „Regulierungen etwa für Hedgefonds oder die Finanztransaktionssteuer treffen London viel mehr als jeden anderen in Europa“, sagt Barysch. Allerdings hatte die Londoner City in der Finanzkrise auch mehr Schaden angerichtet als andere Finanzplätze. Quelle: dpa
Regulierungen des ArbeitsmarktsGroßbritannien ist eines der am meisten deregulierten Länder Europas. Strenge Auflagen aus Brüssel, etwa bei Arbeitszeitvorgaben, stoßen auf wenig Verständnis auf der Insel. „Lasst uns so hart arbeiten wie wir wollen“, heißt es aus konservativen Kreisen. Quelle: dapd
EU-BürokratieDie Euroskeptiker unter den Briten halten die Bürokratie in Brüssel für ein wesentliches Wachstumshemmnis. Anti-Europäer in London glauben, dass Großbritannien bilaterale Handelsabkommen mit aufstrebenden Handelspartnern in aller Welt viel schneller aushandeln könne als der Block der 27. Die Euroskeptiker fordern auch, dass der Sitz des Europaparlaments in Straßburg (hier im Bild) abgeschafft wird und die Abgeordneten nur noch in Brüssel tagen. Quelle: dpa
MedienDie britische Presse ist fast durchgehend europafeindlich und prägt das Bild der EU auf der Insel. Das hat auch politische Wirkung. „Ich muss meinen Kollegen in Brüssel dauernd sagen, sie sollen nicht den 'Daily Express' lesen“, zitiert die „Financial Times“ einen britischen Minister. Quelle: dpa

Doch nicht nur die Fluglinien werden die Auswirkungen zu spüren bekommen, sondern auch die Flugzeugbauer. „Großbritannien wird zwar leiden, doch bin ich überzeugt, das Land wird sich noch mehr auf die Wettbewerbsfähigkeit seiner Wirtschaft gegenüber der EU und der gesamten Welt fokussieren“, sagt Airbus-Chef Tom Enders. „Natürlich werden wir unsere Investitionsvorhaben in Großbritannien überdenken, so wie jeder andere auch.“

Energiebranche bleibt zuversichtlich

Der Energiekonzern E.On rechnet nach dem Brexit nicht mit großen negativen Folgen für sein wichtiges Geschäft in Großbritannien. „Die Konsequenzen für E.On sind wohl beherrschbar“, sagte Vorstandschef Johannes Teyssen. „Unser Geschäft in Großbritannien ist ein regionales.“ Allerdings liege in der Entwicklung des Pfundes ein Risiko. Eine schwächere britische Währung führt dazu, dass von Gewinnen auf der Insel bei der Umrechnung in Euro weniger übrig bleibt. Teyssen betonte zugleich, dass der Konzern auch Schulden in Pfund habe. Das wirke ausgleichend. E.On hat in Großbritannien rund fünf Millionen Strom- und Gaskunden.

Konkurrent RWE hat ähnlich viele Kunden im Vereinigten Königreich. Der Konzern beliefert mit seiner Tochter Npower dort rund 3,2 Millionen Kunden mit Strom und zwei Millionen mit Gas – Großbritannien ist für RWE der zweitwichtigste Markt.

Der Energiekonzern hofft, in seinem Geschäft von den negativen Folgen eines britischen EU-Austritts verschont zu bleiben. „Niemand weiß genau, welche wirtschaftlichen Folgen der Brexit langfristig haben wird“, sagte Vorstandschef Peter Terium am Freitag in Essen. „Aber ich bin sehr zuversichtlich, was unser Geschäft mit Energie und Energiedienstleistungen in Großbritannien betrifft.“

Sollte es zu Handelshürden kommen, träfen RWE diese vermutlich nur am Rande. Die nationale Regulierung sowie die Akzeptanz vor Ort seien für den Geschäftserfolg viel entscheidender. „Daher sollten die ökonomischen Einflüsse eines Brexit auf unser Geschäft auch vergleichsweise gut beherrschbar sein.“ Er selbst sei „schockiert“ über die Entscheidung. „Wir verlieren einen starken Mitstreiter für Marktwirtschaft, Eigenverantwortung und Wettbewerb“, sagte Terium.

Post-Chef zeigt sich enttäuscht

„Wir sind davon überzeugt, dass wirtschaftliche Integration politische Stabilität und gesellschaftlichen Wohlstand bringt“, sagt Post-Chef Frank Appel. Da eine Übergangsphase von bis zu zwei Jahren zu erwarten ist, bevor ein Austritt wirklich vollzogen wird, sehen wir kurzfristig keine negative‎ Auswirkungen für unser Geschäft. Dennoch werden wir die Lage angesichts der Brexit-Entscheidung noch einmal prüfen.“

IT-Branche will UK als starken Partner

Der Branchenverband Bitkom sieht den digitalen Binnenmarkt gefährdet. „Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass die Auswirkungen auf die deutsche und europäische Digitalwirtschaft möglichst gering bleiben“ sagt Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder. Schwer werde es künftig insbesondere für Dienstleister und Start-ups. Rohleder: „Es ist zu erwarten, dass sich Großbritannien von den Standards des digitalen Binnenmarkts entfernen wird. Für Unternehmen aus Deutschland bedeutet das, dass sie sich mit abweichenden Regeln in Großbritannien beschäftigen müssen. Gerade für Mittelständler und Start-ups ist das oft kaum möglich. Und IT-Dienstleister, die fast immer in internationalen Teams arbeiten, werden künftig nicht mehr von der Arbeitnehmerfreizügigkeit profitieren können.“

Auch Telekom-Chef Timotheus Höttges sieht einen schlechten Tag für Europa. „In einer globalisierten und zunehmend digitalisierten Welt sind große, einheitliche Märkte wichtig, um wettbewerbsfähig zu sein“, so Höttges. „Deswegen wäre es gut gewesen, wenn sich die Briten für Europa entschieden hätten. Wir alle müssen uns damit auseinandersetzen, warum für viele Menschen die europäische Idee – von der ich zutiefst überzeugt bin – so deutlich an Faszination verloren hat.“ Man müsse nun darauf achten, dass die Wirtschaftsgrenzen mit dem Vereinigten Königreich dauerhaft offen bleiben.

Konkurrent Vodafone will die politischen und wirtschaftlichen Konsequenzen erst eruieren, bevor man Schlüsse aus dem Votum zieht. „Wie wir schon vor dem Referendum erklärt haben, werden wir unsere Kunden in Großbritannien auch weiterhin unterstützen – jetzt und in Zukunft und unabhängig vom Ergebnis“, teilt der Telekommunikationskonzern mit. „Es ist noch zu früh, eine Aussage zu den Auswirkungen des Ergebnisses auf den Geschäftssitz der Vodafone Gruppe zu machen.“

Der Softwarekonzern SAP respektiert die Entscheidung der britischen Wähler. „Wir wünschen uns, dass nun alle Kräfte in Großbritannien und Europa zügig die nächsten Austrittschritte einleiten, um Rechtsunsicherheit für Unternehmen zu vermeiden“, teilt das Walldorfer Unternehmen mit. „Ziel muss sein, das Vereinigte Königreich möglichst schnell von einem wertvollen Mitglied zu einem wertvollen Partner der EU zu machen.“

Für Karl-Heinz Streibich, CEO der Software AG, gilt es nun die richtigen Lehren für die weitere Politik zu ziehen. „Ein ‚Business-As-Usual‘ kann und darf es nicht geben“, so Streibich. „In zu vielen Ländern erstarken anti-europäische Bewegungen. Darauf hätten die Institutionen in Brüssel viel früher konstruktiv reagieren müssen. Die Zukunft der Europäischen Union wird nicht durch den Brexit entschieden, sondern durch die Lehren, die daraus gezogen werden. Ich hoffe, das wird in Brüssel erkannt.“

Deutsche Sportartikel-Hersteller bleiben gelassen

„Wir werden nun alles daran setzen, unser Geschäft in Großbritannien erfolgreich weiterzuführen“, sagt Adidas-Chef Herbert Hainer. „Großbritannien ist einer unserer wichtigsten Märkte in Europa, Adidas hat dort eine starke Stellung. Wir gehen davon aus, dass die Nachfrage nach Sportartikeln und der Trend zu einem sportlichen Lifestyle unverändert anhalten werden.“

Auch Puma sieht keine kurzfristigen Auswirkungen. „Den Wechselkurs des Pfundes haben wir abgesichert und daher ist Puma durch den Fall der britischen Währung keinen Risiken ausgesetzt“, sagt Vorstandschef Björn Gulden. „Derzeit ist es noch zu früh zu sagen, ob diese Entscheidung mittelfristig Auswirkungen auf unser Geschäft haben wird, da wir zunächst das Verbraucherverhalten beobachten und auch abwarten müssen, wie sich die Situation weiterentwickelt. Auf jeden Fall wird diese Entscheidung Unsicherheit hervorrufen und Unsicherheit ist natürlich niemals gut.“

Rolf Buch, Vorstandschef des Wohnungsvermietungs-Marktführers Vonovia, sieht für sein Unternehmen kurzfristig zwar „keine negativen Auswirkungen“ durch den EU-Exodus der Briten. Aber die Details zeigen, wie viele Sorgen etwa in Sachen Finanzierung damit verbunden sind. So ist Buch heute offensichtlich froh, dass Vonovia „keine Schuldverschreibungen in britischen Pfund“ hat. Zwar seien rund 30 Prozent der Vonovia-Anteilseigner „aus UK“, weiß er. Doch deren Investment diene vornehmlich der Diversifikation und der Risikominimierung. Vonovia sei „bis mindestens November 2016, voraussichtlich sogar Februar 2017 frisch durchfinanziert“ und den „Schwankungen an den britischen Kapitalmärkten somit nicht ausgesetzt“. Vorerst zumindest.

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