Das Rennen auf dem Markt für autonomes Fahren ist jung – doch bereits jetzt jagen alle Googles Schwesterfirma Waymo. Vor Rivalen wie General Motors hat Waymo sich einen deutlichen Vorsprung verschafft. Sie könnte fahrerlose Autos schon ein Jahr vor den Konkurrenten auf den Markt bringen.
Im Januar hat Waymo tausende zusätzliche Minivans des Modells Chrysler Pacifica gekauft. Diese werden mit Sensoren ausgestattet, die mehrere hundert Meter in alle Richtungen erfassen können. Die Google-Schwester ist das einzige Unternehmen, das bereits Mietfahrten anbietet und sein Angebot in mehreren US-Städten ausrollen will.
GM will nun mit einem autonomen Chevrolet Bolt aufholen. Der Wagen hat weder Lenkrad noch Pedale – und verwirklicht damit das ultimative Ziel der autonomen Technologie. Bereits ab Ende 2019 sollen Fahrgäste den Bolt an den Bordstein winken können. Die meisten anderen Wettbewerber sind in ihren Prognosen vorsichtiger und peilen frühestens 2020 als Ziel an.
Denn der Weg zum autonomen Fahren ist lang und kompliziert. Er kann auch gefährlich werden: Autos von Tesla und Uber waren jüngst in schwere Unfälle verwickelt. Im März tötete ein von Uber ausgerüstetes Volvo-SUV in Arizona eine Fahrradfahrerin – sie war der erste Mensch, der von einem selbstfahrenden Auto getötet wurde.
Ebenfalls im März starb der Fahrer bei einem Crash – er hatte den Autopiloten eingeschaltet und die Hände vom Lenkrad genommen. Auch Waymo ist vor Unfällen nicht gefeit: Einer der selbstfahrenden Vans der Firma war erst letzte Woche Teil einer Kollision, eine Testfahrerin wurde schwer verletzt.
Trotz dieser Vorfälle geht es den Firmen nicht schnell genug, die Technologie voranzutreiben. Setzt sie sich durch, fielen im Transportgeschäft kaum noch Personalkosten an – eine gewaltige Nachfrage nach autonomen Autos entstünde.
Kein Wunder also, dass innerhalb der nächsten drei Jahren fast alle großen Autobauer autonom fahrende Autos präsentieren wollen. Diese werden sich bei moderaten Geschwindigkeiten entlang fester Routen durch die Straßen schlängeln können.
Für viele Hersteller ist einfaches Fahren bei langsamem Tempo schon jetzt kein Problem mehr. Das kann schnell den Eindruck erwecken, dass sich alle auf einem Niveau befinden. Doch obwohl der Markt für autonomes Fahren noch in den Kinderschuhen steckt, kristallisieren sich schon klare Favoriten heraus.
„Waymo hat ein phänomenales Sytem entwickelt und befindet sich klar vor den anderen”, urteilt Brian Collie von der Beratungsfirma Boston Consulting Group. Er nennt aber auch weitere Favoriten. GM sei am ehesten in der Lage, ein komplettes Fahrzeug zu entwickeln, das wirklich autonom fährt. In Europa sei Daimler Vorreiter.
Entwickler unterscheiden fünf Stufen des autonomen Fahrens – vom einfachen Fahrassistenten bis zur vollständigen Autonomie. Ein Auto, das ohne Fahrer auf vorgeplanten Routen unterwegs sein kann, entspricht der vierten Stufe.
Bisher ist nur Waymo soweit, dass das Unternehmen Level-Vier-Fahrzeuge auch außerhalb von Testfahrten einsetzen kann. Ein Level-Fünf-Auto, das kein Lenkrad und kein Gaspedal mehr hat, wurde noch von keinem Autobauer enthüllt.
Wer sich im Rennen um die Technologieführerschaft durchsetzt, kann darauf hoffen völlig neue Geschäftsmodelle zu etablieren: Extrem profitable Liefer- und Transportdienste.
Goldman Sachs prognostiziert, dass der Umsatz des Taxigeschäft durch den Einsatz von Robotertechnik von heute fünf Milliarden Dollar bis 2030 auf 285 Milliarden Dollar steigen könnte. Ohne Fahrer könnte die operative Marge um die 20 Prozent betragen.
Das ist mehr als das Doppelte dessen, was Automobilhersteller heute erwirtschaften. GM könnte in diesem Fall damit rechnen, dass seine jährlichen Margen sogar verdreifachen. Zusatzeinnahmen etwa durch eigene Lieferdienste sind in dieser Schätz noch gar nicht berücksichtigt.
Doch warum spielt es eine solche Rolle, wer dieses Ziel zuerst erreicht? Damit ein fahrerloses Geschäftsmodell funktioniert, muss eine große Flotte den Service in wichtigen Märkten etablieren.
Der Markenname muss synonym mit dem Geschäftskonzept werden – so wie es Uber bei Fahrdiensten geworden ist. Beobachter erwarten, dass sich das Feld der Wettbewerber auch beim autonomen Fahren schnell verkleinern wird.
„Es wird nur wenige Firmen geben, die sich gleich zu Beginn das Vertrauen der Kunden sichern“, sagt Collie. Aktuell wetten Investoren auf mehrere Firmen: Die Bewertung von Tesla stieg 2016 enorm, als ein Analyst von Morgan Stanley über eine eigene selbstfahrende Flotte des Unternehmens spekulierte.
Die Aktien von General Motors ist innerhalb eines Jahres um 20 Prozent gestiegen, nachdem das Unternehmen den Start einer Fabrik für fahrerlose Autos verkündet hat. Auch das Start-Up Zoox hat 360 Millionen Dollar von Investoren eingesammelt – eine gewaltige Summe für ein junges Unternehmen ohne Umsatz.
Chris Urmson, der als Gründer von Aurora Innovation ein Pionier auf dem Feld der Autonomie ist, sagt: „Ich kann mir vorstellen, dass innerhalb der nächsten fünf bis zehn Jahre viele selbstfahrende Autos auf den Straßen zu sehen sein werden.“ Das hieße, dass sogar die heutigen Nachzügler Zeit zum Aufholen hätten. Die Technologieführer und ihre härtesten Konkurrenten im Überblick:
Die Favoriten
Waymos autonome Flotte hat bereits über acht Millionen Kilometer in insgesamt 25 Städten zurückgelegt – dazu weitere Milliarden an Kilometern in Computersimulationen.
Die Roboter-Autoflotte besteht aus Chrysler Pacifica-Minivans – ein Modell, das für Familien ausgelegt ist. Die Vans fahren derzeit über die Straßen San Franciscos und erreichen auf Highways schon Höchstgeschwindigkeit.
Noch in diesem Jahr startet Waymo ein Pilotprogramm mit einem kommerziellen Fahrservice ohne menschlichen Fahrer: Selbstfahrende Autos sollen Passagiere in Phoenix gegen Entgelt abholen und an ihr Ziel bringen.
Waymo-Chef John Krafcik kündigte an, seine Flotte um 20.000 Jaguar I-Pace SUVs, dem erste Elektrofahrzeug des britischen Herstellers, zu erweitern. Gleichzeitig signalisierte Krafcik, derzeit an einer Kooperation mit Honda zu arbeiten.
Eine wichtige Frage für alle Konzerne im Bereich es autonomen Fahrens: Wie häufig muss ein Ingenieur während der Tests ins Lenkrad greifen, weil das Computerprogramm nicht allein zurechtkommt? Hier weist Waymo bei weitem die niedrigste Quote unter allen Herstellern auf.
Waymo verzeichnete während seiner Testfahrten in Kalifornien im Jahr 2017 zugleich die niedrigste Unfallquote: Während es bei der Google-Schwester auf mehr als 560.000 Kilometern zu drei Unfällen kam, verzeichnet Rivale General Motors auf nur 212.433 Kilometern 22 Unfälle.
Trotzdem zählt auch GM zu den Favoriten: Der Chevy Bolt schafft es, sich bei einer Geschwindigkeit von rund 40 km/h durch die viel befahrenen Straßen von San Francisco zu lotsen. Der Autobauer aus Detroit ist auf dem Gebiet autonomes Fahren sogar schon so fortgeschritten, dass er im kommenden Jahr einen Anhalter-Service als Pilotprogramm auf die Straße bringen will – und Autos ohne Lenkrad und Pedal ausliefert.
GM hat noch einen weiteren Vorteil: In Norden von Detroit besitzt General Motors ein eigenes Werk, in dem am laufenden Band selbstfahrende Chevy Bolts produziert werden können.
Das dürfte General Motors dabei helfen, die Produktion effektiv und günstig zu gestalten – ohne auf Partnerfirmen angewiesen zu sein. Zur Zeit kostet es den Konzern 200.000 US-Dollar, ein selbstfahrendes Modell ihres Chevy Bolts zu bauen. Zum Vergleich: Der Verkaufspreis für ein E-Auto liegt bei 35.000 US-Dollar.
Beim Tempo hinkt GM Waymo aber noch hinterher. Die Höchstgeschwindigkeit der Wagen liegt bei etwa 40 km/h – schneller zu fahren, gilt nicht mehr als sicher.
Kyle Vogt, Gründer und Chef von General Motors-Tochterfirma Cruise Automation, sagte, sein Programm werde demnächst ein sogenanntes Lidar-System der Startup-Firma Strobe verwenden, welche der Autobauer im vergangenen Jahr aufgekauft hatte.
Lidar ist ein System, das mit Laserstrahlen die Umgebung abtastet, die Position und Geschwindigkeit von Objekten misst und selbstfahrende Autos somit navigieren kann.
Die Lidar-Technik ist kleiner, kostengünstiger und schafft es, weitere Entfernungen abzumessen als das bisherige System von General Motors. Das wird dem Konzern dazu verhelfen, höhere Geschwindigkeiten zu erreichen.
Die neue Ausstattung wird die Kosten weiter senken: Die aktuelle Generation an Lidar-Technik für selbstfahrende Bolts von GM kostet rund 30.000 US-Dollar pro Auto, wie Vogt im vergangenen November verriet. Sobald General Motors auf die neue Lidar-Technik von Strobe umstellt, würden die Kosten laut Vogt auf einige hundert Dollar zurückgehen.
Der Konzern plant, eine Milliarde seines jährlich acht Milliarden schweren Investitionsbudgets allein für die Entwicklung der selbstfahrenden Autos zu stecken. Genug Geld, um selbst einen Fahrdienstleister aufzubauen. Doch bisher hat sich GM noch nicht entschieden, ob der Autobauer ein eigenes Sharing-Pilotprogramm einzusetzen, wie für 2019 vorgesehen, oder auf bestehende Anbieter zu setzen. Doch an dem On-Demand-Transportservice Lyft Inc. besitzt der Konzern bereits Anteile.
Ein großer Nachteil von GM: Die autonomen Fahrzeuge des Konzerns haben unter allen in Kalifornien getesteten Modellen die meisten Blechschäden verursacht.
Im vergangenen Jahr war Cruise Automation von General Motors in 22 von 27 Unfällen von selbstfahrenden Autos in Kalifornien involviert. In diesem Jahr war GM bislang an fünf von sieben Unfällen beteiligt.
In den meisten Fällen lag die Schuld jedoch nicht bei den selbstfahrenden Wagen des Konzerns. In einem Interview erklärte GM-Präsident Dan Ammann, dass die höheren Unfallzahlen mit den vielen zurückgelegten Testmeilen auf San Franciscos dichtbefahrenen Straßen zusammenhängt.
Die engsten Verfolger
Bereits in den 1990er-Jahren hat Mercedes-Benz einen lernfähigen Tempomaten für die S-Klassen-Limousine entwickelt. Das System warnte, wenn sich das Fahrzeug der hinteren Stoßstange des vorausfahrenden Wagens zu schnell näherte.
Mercedes-Modelle mit „Intelligent Drive“ kommen dem autonomen Auto heute schon recht nahe. Sie helfen dabei, Passanten auszuweichen und Unfälle zu verhindern. „Intelligent Drive“ ist einer der Gründe, aus denen die Mercedes-Mutter Daimler laut den Forschern von Navigant Research hinter Waymo und GM auf Platz drei rangiert.
Um die Autos der Zukunft zu entwickeln, arbeitet Daimler eng mit der Bosch zusammen. Daimler hat nahe des hauseigenen Forschungszentrums in Böblingen bei Stuttgart zuletzt Kleinlaster der V-Klasse getestet.
Ab 2021 will Daimler Fahrassistenten mit seinem Modellen ausliefern, bei denen der Fahrer nur in Situationen zum Lenkrad greifen muss, die der Bordcomputer nicht mehr alleine bewältigen kann.
Vollständig selbstfahrende Autos werden zum gleichen Zeitpunkt auf den Markt kommen, verspricht Kaellenius. Allerdings werden diese für sogenannte „Ride-Sharing-Services“ genutzt.
Ähnlich wie bei Mitfahrgelegenheiten teilen sich mehrere Personen einmalig einen Wagen, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Für Einzelkäufer seien vollautonome Autos noch zu teuer.
Auch Audi hat mit dem A8 bereits das am meisten fortgeschrittene autonome Automobil auf dem Markt. Wer den A8 fährt, kann bei Geschwindigkeiten bis zu 60 km/h die Hände vom Lenkrad lassen.
Die zukünftigen Modelle von Audi versprechen bereits weitergehende Innovationen. Der Hersteller arbeitet ebenso wie Daimler mit Nvidia zusammen und will 2020 ein vollständig autonomes Fahrzeug auf den Markt bringen.
Die Audi-Mutter Volkswagen hat eine Partnerschaft mit Chris Urmsons Firma Aurora geschlossen. Allerdings spricht der Konzern noch nicht öffentlich über eine Marktstrategie.
Die deutschen Autobauer müssen sich jedenfalls beeilen, damit die Lücke zu den Spitzenreitern nicht zu groß wird. Nben Firmen wie Elon Musks Tesla und dem Fahrdienstleister Uber bringen sich auch unbekannte Wettbewerber aus China in Stellung.