Weltweiter Handelsstreit Die unkalkulierbare Standortwahl – warum Autohersteller in Schwierigkeiten geraten

Die Handelskonflikte wirken sich auch auf die Pläne der Automobilindustrie aus: Die langfristige Produktionsplanung wird immer schwerer kalkulierbar.

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Die Bayern betreiben Produktions- und Montagewerke in 14 verschiedenen Ländern. Quelle: dpa

München Als BMW kürzlich den 90. Geburtstag des früheren Vorstandschefs Eberhard von Kuenheim feierte, blickten die Münchner weit zurück in ihrer Geschichte und einmal rund um die Welt: 1973 übernahm der Konzern unter Kuenheim eine Fabrik in Südafrika und kam so zu seinem ersten Auslandsstandort.

Viereinhalb Jahrzehnte später ist BMW wie alle führenden Autobauer global aufgestellt. Die Bayern betreiben Produktions- und Montagewerke in 14 verschiedenen Ländern. VW mit seinen zwölf Marken zählt 31 Länder mit Fertigungsstätten. Damit die weltweiten Produktionsnetzwerke funktionieren, sind die Konzerne auf einen ungestörten Warenaustausch angewiesen. Handelskonflikte wie der zwischen China und den USA, den größten Pkw-Märkten der Welt, bringen die Hersteller enorm unter Druck. Gegensteuern können sie nämlich kaum, sie können einfach nicht schnell genug reagieren. „Ein internationales Produktionsnetzwerk kurzfristig umzusteuern ist sehr aufwändig“, sagt Norbert Dressler von der Beratungsfirma Roland Berger.

„Wenn sich ein Autobauer festgelegt hat, wo welches Modell gebaut wird, lässt sich das nicht auf die Schnelle ändern“, erläutert auch Branchenexperte Dressler. „Die Produktion eines Modells von einer Weltregion in eine andere zu verschieben dauert mindestens ein Jahr, wenn es dort schon eine Fabrik gibt. Muss sie erst gebaut werden, können es drei bis vier Jahre werden.“

Auf schnelle Schwenks sind globale Produktionsnetze gar nicht angelegt, wie ein hochrangiger Automanager erläutert. Entscheidungen über Werke würden langfristig getroffen, „für 20, 30 Jahre“. In der Vergangenheit versprach die Globalisierung kontinuierliches Wachstum, weil immer neue Märkte hinzukamen. VW etwa entschied sich Mitte der 1980er Jahre als erster deutscher Autokonzern für den Schritt nach China.

Längst ist das Land der größte Einzelmarkt der Wolfsburger und der wichtigste Automarkt der Welt. Als VW vergangene Woche den Bau eines neuen Werkes für Elektroautos startete, war der Spatenstich fast Routine für den Konzern - er hat in China schon 23 Produktionsstandorte.

Investiert ein Autobauer in eine neue Fabrik, passt er sie in sein bestehendes Fertigungsnetz ein. Welche Modelle sollen dort für welche Märkte gebaut werden? Aus welchen anderen Werken können Motoren oder Komponenten geliefert werden? Solche Fragen werden Jahre vor dem Produktionsstart beantwortet.

„Einzelne Standorte haben bestimmte Schwerpunkte, was beispielsweise Modelle oder Fertigungstechnologien angeht“, erläutert Peter Fintl von der Technologieberatung Altran. Bei Daimler etwa ist das Werk Bremen federführend für die Fertigung der absatzstarken C-Klasse der Marke Mercedes. Bei BMW ist die US-Fabrik in Spartanburg das Leitwerk für Geländewagen der X-Reihe.

Solche SUVs sind in China besonders beliebt, viele Fahrzeuge werden aus den USA dorthin exportiert. Werden die Autos oder Autoteile wie jüngst geschehen auf einmal mit Zöllen belegt, wird es für die Autobauer teuer: BMW rechnet für 2018 mit Kosten durch den Handelskonflikt zwischen China und den USA von knapp 300 Millionen Euro, für 2019 von einer halben Milliarde.

Daimler begründete seine erste Prognosesenkung im Juni unter anderem mit höheren Zöllen Chinas auf Autos, die in den USA gebaut wurden. VW mit seinen vielen Werken in der Volksrepublik ist fein raus - der Konzern exportiert keine Fahrzeuge aus den USA nach China.

Für Klaus Schmitz von der Beratungsfirma Arthur D. Little wäre es angesichts des Handelskonflikts „sehr erstaunlich“, wenn die Hersteller „nicht schon sehr konkret an alternativen Liefer- und Produktionsstrukturen für China arbeiten würden“. BMW will den Geländewagen X5 verstärkt in Thailand bauen.

Daimler könnte laut Konzernchef Dieter Zetsche kurzfristig über eine CKD-Montage nachdenken. Dabei werden Fahrzeugteile importiert und vor Ort zusammengebaut, die Zölle fallen dadurch niedriger aus. Hier und da können die Autobauer also Anpassungen vornehmen, wirklich flexibel sind sie aber nicht.

Hat sich ein Hersteller für eine neue Fabrik entschieden, richten sich nämlich auch seine Zulieferer darauf ein. Bei Bedarf ziehen sie eigene Standorte in der Nähe hoch, um genügend Kapazität zu schaffen. Startet die Fertigung, werden Teile und Komponenten direkt ans Band gebracht - „just in time“ oder „just in sequence“, also zur richtigen Zeit beziehungsweise in der richtigen Reihenfolge.

In der Praxis heißt das: In einem großen Werk liefern jeden Tag Hunderte Lkw Millionen Einzelteile an. Im Fall eines ungeordneten Brexit fürchten Branchenkenner deshalb „eine Katastrophe für die Autoindustrie“.

Womöglich käme die Lieferkette von einem Tag auf den anderen zum Erliegen, falls die Lastwagen am Ärmelkanal gestoppt würden. „Wenn es wirklich zu Grenzschließungen kommt, kann die Produktion nicht wirklich darauf vorbereitet werden“, sagt Schmitz von Arthur D. Little. „Zwischen Werken in einem Produktionsverbund kann sehr wohl die Auslastung balanciert werden“, sagt Fintl von Altran.

„Aber der Ausfall eines ganzen Standortes, verursacht etwa durch Störungen der Just-in-time Lieferkette, ist auch in so einem System kurzfristig nur schwer ausgleichbar.“ Mit Werksferien, Lager- und Parkflächen ließen sich zumindest einige Wochen überbrücken.

Für die Zukunft träumen die Hersteller davon, Autos nicht nur mit langem Vorlauf in großen Werken auf der grünen Wiese bauen zu können, sondern dank Vernetzung und neuer Technologien kurzfristig und auch an kleinen Standorten in der Innenstadt. Doch bis dahin ist der Weg weit, wie Fintl sagt. „Die dezentrale und hyperflexible Produktion ist noch Zukunftsmusik, auch wenn der 3D-Druck große Fortschritte macht. In den nächsten zehn Jahren wird sich diese Art der Serienfertigung noch nicht zu konkurrenzfähigen Kosten umsetzen lassen.“

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