Wenig Wasser, weniger Schiffe Mindestens acht bittere Sommer stehen der Industrie am Rhein noch bevor

Niedrigwasser im Rhein bei Düsseldorf Quelle: imago images

Trockenheit und Schiffsmangel schwächen Europas wichtigste Wasserstraße. Und das ausgerechnet jetzt, wo dem Fluss im Wirtschaftskrieg mit Russland eine zentrale Bedeutung zukommt. Besonders bitter: Für Teile der Not ist die deutsche Politik selbst verantwortlich.

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Die „Canaletto“ könnte helfen, doch sie kommt zu spät. Frühestens im Herbst, eher irgendwann vor Weihnachten wird das Schiff in der Werft des Schiffsbauers Gefo fertiggestellt und seine erste Fahrt nach Ludwigshafen antreten. Zum dortigen Hauptstandort von BASF wird das Schiff dann regelmäßig Spezialchemikalien transportieren, die es etwa in Rotterdam oder Antwerpen von Überseeschiffen einsammelt. Das ist tägliche Routine an Europas größtem Chemiestandort, dennoch ist die Canaletto kein normales Schiff. Sondern eine Spezialanfertigung für BASF. Auch bei extremen Niedrigwasser kann die 110 Meter lange Canaletto in ihren acht Edelstahltanks noch Spezialchemikalien nach Ludwigshafen befördern, wenn andere Schiffe längst in den Häfen bleiben müssen.

So wie jetzt. In Zeiten der Trockenheit. Und so tritt die Dürre 2022 nun in ihre zweite Phase: Erst traf es die Landwirte, jetzt sind auch die Binnenschiffer dran. Auf vielen Wasserstraßen wird der Verkehr bereits beschränkt, dürfen die Schiffe weniger schwer beladen werden. Bald schon könnte der Verkehr in weiten Teilen ganz stillstehen, so wie es 2018 schon einmal der Fall war.

Das Niedrigwasser kommt zur Unzeit

Besonders am Rhein würde das verheerende Folgen haben. Der Fluss ist mit seinen 160 Millionen Tonnen transportierten Waren im Jahr die mit Abstand bedeutendste Wasserstraße des Kontinents, die Donau kommt trotz ihres deutlich längeren Laufes gerade mal auf ein Viertel dieser Menge. In Deutschland werden gar drei Viertel aller Waren, die Binnenschiffe transportieren, auf dem Rhein bewegt. Weite Teile der chemischen Industrie und der Energiewirtschaft werden über den Fluss mit Kohle, Öl und chemischen Grundstoffen versorgt.
Niedrigwasser auf dem Rhein ist daher schon in normalen Jahren ein Problem. In diesem Jahr aber trifft die Trockenheit das Land in einer besonders pikanten Lage: Um sich auf einen möglichen Gasmangel im Winter vorzubereiten, sollen die Kohlekraftwerke so viel Leistung bringen, wie irgend möglich. Dafür aber braucht es Steinkohle vom Rhein.



Wenn diese Nachfuhr jetzt stocken sollte, dann hat die Politik sich das zudem selbst zuzuschreiben: Seit Jahren ist bekannt, wie der Rhein für niedrige Wasserstände fit gemacht werden könnte. Umgesetzt wird das aber frühestens 2030.

250 Millionen Euro Rhein-Verlust

Bei BASF in Ludwigshafen haben sie schneller reagiert, wahrscheinlich weil sie schon einmal erfahren mussten, wie schnell knappes Wasser zur existenziellen Bedrohung werden kann. 2018 konnte das Werk, das rund 40 Prozent seiner Rohstoffe über den Rhein bezieht, fast ein halbes Jahr über nicht angefahren werden. Der Gewinn im dritten und vierten Quartal des Jahres brach um 60 Prozent ein, am Ende stand ein Rhein-Verlust von 250 Millionen Euro. Und so hat sich der Konzern entschieden, eine ganze Flotte von Spezialschiffen zu ordern, die auch dann noch fahren können, wenn am kritischen Pegel Kaub die Marke von 30 Zentimetern erreicht wird. Eingesetzt werden kann bisher jedoch nur eines der drei georderten Schiffe, ein Gas-Tankschiff.

Nicht nur als Lieferweg, auch als Kühlwasser wird der Rhein in Chemiewerken wie dem in Ludwigshafen genutzt. Das aber ist bei niedrigen Wasserständen nicht möglich, weshalb BASF nach dem Desaster 2018 auch hier investiert hat. Neue Rückkühlwerke wurden errichtet, die bereits genutztes Wasser erneut in den Kreislauf einspeisen und so Rheinwasser ersetzen können. „Mit Maßnahmen wie dem Ausbau und der Optimierung der zentralen Rückkühlanlagen und der Optimierung der Kühlwasserströme, sind wir in der Lage, während heißer Wetterphasen Produktionsunterbrechungen zu verhindern, den Standort unabhängiger vom Flusswasser des Rheins zu machen“, erläutert ein Sprecher.

Pegel in Kaub: 32 Zentimeter

Der Pegel Kaub, zwischen Koblenz und Bingen, ist neben Duisburg-Ruhrort der wichtigste Pegel für die Binnenschifffahrt auf dem Rhein. Hier müssen alle Schiffe passieren, die etwa nach Mannheim oder Karlsruhe möchten, wo der Energiekonzern EnBW Kraftwerke betreibt. Dort wird Strom für Zehntausende Haushalte produziert. „Fällt der Pegel in Kaub unter die Grenze von zwei Meter, müssen Binnenschifffahrer ihre Beladungsauslastung einschränken“, sagt Alexander Bethe, Chef des Vereins der Kohlenimporteure. Am Samstagmorgen stand der Pegel bei nur 36 Zentimetern und damit rund 6 Zentimeter niedriger als zum gleichen Zeitpunkt des Vortags. Bis zum Montagmorgen sank er weiter auf 32 Zentimeter, Tendenz weiter fallend. Einer Prognose der Behörde zufolge könnte am Mittwoch die kritische Marke von 30 Zentimetern erreicht werden.

Schon bei einem Pegelstand von 70 Zentimetern in Kaub „laden Binnenschiffe nur noch 30 bis 40 Prozent dessen, was sie laden können“, sagt Bethe. „Man braucht also etwa dreimal so viel Schiffsraum für dieselbe Ladung.“ Niedrigwasser ist im Rhein natürlich nicht unüblich im Sommer. Fatal ist aber, wenn es so früh im Jahr passiert – und weitere Faktoren hinzukommen. Denn in diesem Jahr ist die Energieversorgung, wie man weiß, ein besonders heikles Thema.

2016 hat Deutschland rund 41 Millionen Tonnen Kraftwerkskohle importiert; ein großer Teil davon wurde per Binnenschiff an deutsche Kraftwerke transportiert. 2020 waren es nur noch knapp 20 Millionen Tonnen. Wegen des beschlossenen Kohleausstiegs wurden einige Kohlekraftwerke vom Netz genommen oder die Abmeldung beantragt. Und auch in der Binnenschifffahrt hatte man sich entsprechend darauf eingestellt und sich teilweise bereits anderen Gütern zugewandt oder das Transportvolumen reduziert. Doch seit Putins Überfall auf die Ukraine erlebt die Kohle ein nicht für möglich gehaltenes Comeback.

„Das wird quietschen“

Dank des neuen Gesetzes zur Bereithaltung von Ersatzkraftwerken können unter bestimmten Voraussetzungen auch wieder jene Kohlekraftwerke in den Markt zurückkehren oder weiter am Markt verbleiben, die eigentlich bereits stillgelegt oder abgemeldet wurden. So plant es etwa der Betreiber Steag mit seinem Steinkohlekraftwerk Bergkamen im Kreis Unna. Dafür aber brauchen die Betreiber wiederum mehr Kohle, als vor ein paar Monaten absehbar war. „In diesem Winter kommen die Reservekraftwerke hinzu, wir werden bestimmt über 30 Millionen Tonnen importieren“, schätzt Bethe. „Das wird quietschen.“

Kleinwasserzuschlag hilft – aber nur den Reedern

Als wäre das Niedrigwasser nicht genug der Sorgen, kommt in diesem Jahr noch eine ganz spezielle Ausprägung des Fachkräftemangels hinzu.

Klaus Hohenbild ist Binnenschiffer mit eigenem Schiff und wenn er gerade mal nicht fährt, kümmert er sich im Bundesverband der Selbständigen Abteilung Binnenschiffahrt um die Belange der Unternehmer. Zum Ende der vergangenen Woche war er gerade von Uelzen in Niedersachsen nach Neuss im Rheinland unterwegs. Geladen hatte er auf seinem 2000-Tonnen-Schiff Roggen für die Brotherstellung. Wegen des Niedrigwassers konnte er weniger transportieren als geplant. Wirtschaftlich mache ihm das keine Sorgen. Es gebe dann einen „Kleinwasserzuschlag“. Es sei aber stressiger, „richtig zu planen“. Er blicke dann auf die Wetterprognosen, schaue auf den Seiten der Bundesanstalt für Gewässerkunde nach – und entscheide dann aufgrund seiner „langjährigen Erfahrungen“.

Eigentlich gehe es den Binnenschiffern ganz gut. Die Frachtraten seien „okay“, sagt Hohenbild. Und sie könnten bald sogar noch steigen. Denn im Markt gibt es seit dem Beginn des Ukraine-Krieges eine ungewöhnliche Unruhe. Es heißt, es würden reihenweise freischaffende Binnenschiffer ihre Gefährte nach Rumänien verkaufen, die sie dort an der Donaumündung einsetzen, um Getreide aufzunehmen und die Donau flussaufwärts zu transportieren. Hohenbild kennt zumindest einen Unternehmer, der sein Rheinschiff dorthin verkauft hat. „Der Kollege wollte eh aufhören“, sagt Hohenbild. 1000 Tonnen Frachtraum werden jedenfalls bald in Rumänien zur Verfügung stehen – und nicht mehr am Rhein.

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Wie groß dieser Abverkauf wirklich ist, darüber gebe es derzeit nur Gerüchte, sagen Branchenvertreter. Angeblich würden vor allem Niederländer ihre Schiffe nach Rumänien verkaufen. 500.000 bis 600.000 Tonnen Frachtraum hätten auf diese Weise das Rheinland Richtung Osten verlassen, heißt es im Markt. Auch Kohleimporteur Bethe hat diese Gerüchte mitbekommen: „In Gesprächen wurde mir gesagt, dass 30 bis 40 Binnenschiffe abgezogen worden sind in Richtung Rumänien, um dort zu helfen, ukrainisches Getreide auszuschiffen. Das sind rund 80.000 Tonnen Transportraum, also rechnerisch rund 400.000 Tonnen Kohle, die pro Monat zwischen Amsterdam und Duisburg nicht mehr verschifft werden.“

Ob es stimmt? Genau weiß es keiner. Der Markt ist kleinteilig, besteht aus vielen Tausend Partikulierern, die als Einzelkämpfer im Markt unterwegs sind. Einige holen sich ihre Aufträge über Makler, andere schließen sich Genossenschaften an. „Aber wenn es stimmt, dass Schiffe zigfach nach Rumänien gingen„, sagt Hohenbild, „dann würde sich die angespannte Lage beim Frachtraum in Deutschland zuspitzen“.

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So unklar diese Entwicklung noch sein mag, so eindeutig ist ein anderer Zusammenhang: Wenn der Rhein zu wenig Wasser hat, dann kommen die Binnenschiffe nicht durch. Manche trifft es früher, andere später. Die größten Engstellen liegen auf dem Stück zwischen St. Goar und Mainz. Unterhalb und oberhalb dieses Abschnitts ist die Fahrrinne 2,10 Meter tief, auf dieseem Stück nur 1,90 Meter. Teils sind es nur einzelne Felsen, die in die Fahrrinne hineinragen. Seit vielen Jahren gibt es Pläne, diese Stellen zu vertiefen und so die Durchfahrung auch bei deutlich niedrigeren Wasserstraßen zu ermöglichen. Bei durchschnittlichen Wasserständen kann jedes einzelne Schiff so rund 250 Tonnen zusätzliche Fracht transportieren.

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Umgesetzt aber wird das Projekt erst jetzt, derzeit laufen die ersten Tests auf dem Rhein, wie genau das Schiefergestein abgefräst und eingesaugt werden kann. Fertigstellung, im besten Fall: 2030. Mindestens acht bittere Sommer also stehen der Industrie am Rhein noch bevor, bis sich die Lage entspannen könnte. Solange heißt es zumindest für BASF: Hoffen auf Canaletto.

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