Werner knallhart

Nikotinjunkies bleiben nur noch zwei Orte

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Rauchertoleranz in der Bildungsgesellschaft

In Deutschland ist der Konsum von Tabakwaren pro Kopf von 1700 Stück im Jahr 2000 auf heute unter 1000 gesunken. Es ist doch kurios, dass unsere aufgeklärte Bildungsgesellschaft Rauchen überhaupt noch toleriert. Wo wir doch sagen: Das Recht des Einzelnen zu tun endet dort, wo die Rechte des anderen anfangen.

Ich sage das ohne Groll gegen Raucher. Es fasziniert mich aber. Besonders klar wird das Phänomen, wenn man Zigaretten gedanklich durch Vergleichbares ersetzt.

Erstens verbietet der Camel-Konzern Reynolds jetzt das Rauchen am Arbeitsplatz. Bei UHU wird schließlich im Großraumbüro auch kein Klebstoff geschnüffelt. Zweitens ist Passivrauchen gesundheitsschädlich. Stellen Sie sich eine Kneipe vor, in denen einige Gäste aus reiner Genusssucht anderen Gästen plötzlich eine schallende Ohrfeige geben. Und wer keine geschmiert bekommen will, soll eben Zuhause bleiben. Was wäre das für eine Welt? Und von passivem Ohrfeigenkonsum bekommt man keinen Krebs.

Eine letzte Zigarette
Ein letztes Mal mit allem Drum und Dran: Peter Klinkhammer, Inhaber der Kneipe Dä Spiegel in Düsseldorf, schmeißt Ende April die letzten Raucher-Party in seinem Lokal. Ab Mai tritt in Nordrhein-Westfalen ein landesweites Rauchverbot in Kraft. Raucher müssen dann zum qualmen vor die Tür: In öffentlichen Einrichtungen, Einkaufszentren, Sport- und Kulturstätten war das bisher ja die Regel – aber nun auch in allen Kneipen, Gaststätten und bei Brauchtumsveranstaltungen wie Karnevals- oder Schützenfeste. Einzige Ausnahme des von der rot-grünen Landesregierung im Winter auf den Weg gebrachten Gesetzes sind Privatfeiern in abgeschlossenen Räumen. Quelle: dpa
Damit folgt NRW dem Beispiel Bayerns. Der Freistaat hatte zuerst versucht zu tricksen: Für einige Zeit gab es dort Raucherklubs, die mit ähnlichen Sätzen provozieren wollten. Doch es nutzte nichts, infolge eines Volksentscheids im Juli 2010 trat daraufhin ein umfassendes Rauchverbot in Kraft. Quelle: dpa
Der Gaststättenverband Dehoga sieht diese Regelung kritisch: kritisch. „Das bedeutet die Schließung von 3.000 Betrieben.“. Der Verband schätzt, dass 20 Prozent der kleinen Eckkneipen von dem Gesetz in ihrer Existenz bedroht sind, denn diese erhalten diesmal keine Ausnahmeregelungen wie eine Verfassungsklage, die ein Besucher und ein Wirt einer kleinen Gastronomie vor kurzem eingereicht hatten. Denn... Quelle: dpa
...diesmal haben Eckkneipen keinen Wettbewerbsnachteil gegenüber größeren Betrieben. Das war bei der Einführung des gesetzlichen Rauchverbots für die Gastronomie 2008 anders. Deshalb konnten zu diesem Zeitpunkt in den meisten Bundesländern Gaststätten bis 75 Quadratmeter vom Verbot ausgenommen wurden. Diese Regelung besteht auch weiterhin in den meisten Ländern - bis auf Bayern und NRW. Quelle: Handelsblatt Online
Grundsätzlich verboten ist Rauchen in Hessen. Allerdings hat das Bundesland 2012 noch zahlreiche Ausnahmeregelungen bestätigt. So gilt das Verbot nicht für kleine Eckkneipen oder Bars, auch abgetrennte Rauchersektionen sind hier erlaubt. Auch in Festzelten bleibt der blaue Dunst. Verboten ist die Zigarette in öffentlichen Gebäuden. 2005 trat in Hessen das erste allgemeine Rauchverbot an Schulen in Kraft. Quelle: dpa-dpaweb
In Sachsen ist in abgetrennten Raucherbereichen und kleinen Eckkneipen die Kippe weiterhin erlaubt, wird ein Gast aber an einem anderen Orten beim Rauchen erwischt, kann ein Rekordbußgeld von bis zu 5000 Euro fällig werden. Damit langt die Landesregierung in Dresden stärker hin als ihre Kollegen in anderen Bundesländern. Quelle: Handelsblatt Online
In Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt kosten Verstöße gegen die Regel bis zu 1000 Euro. Eigentlich hat Sachsen-Anhalt aber noch einige Ausnahmen mehr als viele andere Länder: So ist das Rauchen sogar teilweise in öffentlichen Gebäuden erlaubt – in abgetrennten Räumen versteht sich. Quelle: Handelsblatt Online

Drittens: Wer andere vorsätzlich mit einer Taschenlampe blendet, macht sich mitunter strafbar. Wer andere aus Spaß mit einem lauten "BUH!" erschrickt, auch. Was ist dann mit krebserregendem Rauch?

Das Amtsgericht Erfurt hat entschieden: Wer jemandem absichtlich Rauch ins Gesicht bläst, begeht eine Körperverletzung. Im konkreten Fall war Rauchen dort verboten. Ich behaupte: Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Einqualmen generell als Körperverletzung gilt. Weil es konsequent wäre. Wer raucht, dem signalisiert das vom Nikotin umprogrammierte Gehirn: Rauchen ist gut. Tue es wieder und wieder.

In welchem anderen Fall würde unsere Gesellschaft öffentlich ausgelebter Drogensucht solch einen Raum einräumen? Stehen Raucher vor der Kneipe gerne an einem Tisch mit jemandem, der sich Heroin in den Arm spritzt? Und wer schadet dem anderen durch seinen Drogenkonsum mehr?

Der Tabakkonzern hat ja so recht mit seinem Verbot. Und konsequent zu Ende gedacht - wo wird Rauchen am Ende noch möglich sein?

Mit dem Rauchen aufhören - so klappt es
Eine Frist setzenEine Deadline hilft, den Rauchstopp wirklich durchzuziehen. Wählen Sie ein Datum innerhalb der kommenden drei Wochen, aber beachten Sie dabei, dass es nicht ausgerechnet eine besonders stressige Zeit ist. Quelle: Deutsches Krebsforschungszentrum Heidelberg Quelle: dpa
Hilfe holenHolen Sie sich Unterstützung, sei es vom Hausarzt oder von Familie und Freunden. Auch das Rauchertelefon der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung bietet professionelle Hilfe. Eine Übersicht dazu gibt es hier. Quelle: dpa
Mit alten Gewohnheiten brechenFühren Sie sich nicht selbst in Versuchung: Werfen Sie am besten alle Rauchutensilien, seien es nun Pfeife, Feuerzeug oder Zigarrenspitze, weg. Machen Sie sich bewusst, in welchen Situationen Sie routinemäßig zur Zigarette greifen. Halten Sie dafür Ersatz parat, etwa einen Apfel, ein Glas Wasser, einen Kaugummi. Quelle: KNA
Meiden Sie Orte, die zum Rauchen animierenIn Kneipen, in der Raucherecke, im Dienstzimmer - meiden Sie Orte und Menschen, die Sie zum Rauchen animieren. Sprechen Sie lieber mit nichtrauchenden Freunden und lenken sich so ab. Quelle: AP
Entzugserscheinungen akzeptierenNikotin macht süchtig und Ihr Körper macht einen Entzug durch. Akzeptieren Sie Entzugserscheinungen wie Unruhe, Reizbarkeit und Unwohlsein als Teil des Prozesses. Meist gehen diese Symptome nach wenigen Minuten vorüber und verschwinden nach durchschnittlich zehn Tagen ganz. Führen Sie sich immer wieder die positiven Auswirkungen Ihres Rauchstopps vor Augen. Quelle: Fotolia
Medikamentöse UnterstützungProdukte wie Nikotin-Kaugummi, -lutschtabletten oder -pflaster können helfen, den Körper langsam zu entwöhnen und die Entzugserscheinungen so abzumildern. Es gibt auch verschreibungspflichtige Medikamente, die beim Rauchstopp helfen können. Sprechen Sie mit Ihrem Arzt. Quelle: dpa/dpaweb
Bewusste ErnährungBedenken Sie, dass Nikotin den Stoffwechsel beschleunigt. Fällt es weg, müssen Sie auf eine kalorienärmere Ernährung achten, wenn Sie nicht zunehmen wollen. Bei Heißhunger greifen Sie am besten zu Obst und Gemüse sowie zuckerfreien Kaugummis. Quelle: dpa

Am Arbeitsplatz: nein. In Restaurants und Kneipen: nein. Im Flugzeug und im Zug: nein, nein. Vor Restaurants und Kneipen, im Freibad, auf dem Campingplatz: nicht, solange andere gegen ihren Willen passiv rauchen könnten.

Zuhause: Nur solange der Vermieter oder die Eigentümergemeinschaft nichts dagegen haben und andere Hausbewohner keinen Rauch über offene Fenster und Treppenhaus abbekommen (wäre bei dauernden Klebstoffdämpfen auch nicht hinnehmbar). In Gegenwart von Kindern: Wer da raucht, dem hat das Nikotin ja eh schon die Vernunft weggelötet.

So könnten europäische Zigarettenschachteln bald aussehen
Vor zehn Jahren sahen deutsche Zigarettenpackungen noch so aus. Der Warnhinweis der „EG-Gesundheitminister“ fand sich lediglich klein gedruckt am unteren Rand. Seit dem hat sich in der Gestaltung der Packungen weltweit viel getan. Quelle: AP
Ab 2003 wurden die Warnhinweise EU-weit größer und einheitlich gestaltet. Von abschreckenden Bildern war damals noch nicht die Rede - und bis heute ist das in Deutschland und den meisten anderen EU-Ländern auch noch nicht üblich. Quelle: AP
Dann könnten auch europäische Zigarettenschachteln möglicherweise aussehen, wie diese hier in Australien. Das oberste Gericht des Landes erklärte es Mitte August 2012 für rechtlich zulässig, dass Zigarettenpackungen nicht nur mit abschreckenden Bildern und großen Warnhinweisen versehen werden müssen. Es darf zudem nur der Markenname des Herstellers in einfacher Schrift aufgedruckt sein. Quelle: dpa
Mit der Vorschrift zur einheitlichen und neutralen Gestaltung ist Australien derzeit Vorreiter. Die neue Packungsgestaltung soll ab Ende Dezember 2012 greifen. Quelle: REUTERS
Das australische Gesundheitsministerium hält eine breite Palette an Bildern bereit. Auch in anderen Ländern sind solche drastischen Abbildungen üblich, allerdings darf dort noch das Logo einer Marke verwendet werden. Quelle: dapd
In Neuseeland gilt seit 2008 bei der Bildwahl eine ähnliche Vorschrift wie in Australien. Hier versuchen die Packungsdesigner, Mitleid zu erwecken und so Käufer abzuschrecken. Quelle: Neuseeländisches Gesundheitsministerium
Kein medizinisches Sachbuch braucht sich hinter den neuseeländischen Abbildungen zu verstecken. Ironischerweise trägt die Webseite des Gesundheitsministeriums eine Warnung vor dem Schockpotenzial der Bilder. Im Laden fehlt ein solcher Hinweis jedoch. Quelle: Neuseeländisches Gesundheitsministerium

Letztendlich bleiben zwei Orte: Entweder das eigene Auto - solange es stets nur allein genutzt wird. Da ist dann aber jede Zigarette mehr doppelt so teuer, weil mit jedem Ausblasen der Wiederverkaufs-Wert des Autos sinkt. Zweitens: Ein einsamer Platz im Wald im Regen (bei Trockenheit Waldbrandgefahr). Für Raucher scheint die Lage also aussichtslos. Und dennoch rebellieren sie nicht. Wie sind die zwei Geschichten von eben ausgegangen?

In beiden Fällen haben alle Raucher ihre Zigaretten sofort ausgedrückt. Ohne Maulen, sondern freundlich, schon fast devot: "Ja, da haben Sie natürlich recht". Wir leben eben bereits in der Ära nach der großen Rauchverbots-Depression. Raucher sind zwar meistens drogensüchtig, aber meistens keine Unmenschen. Sie lenken ein.

Und genau deshalb lenkt auch die weltweit schrumpfende Tabakindustrie konsequent ein und setzt zum Teil im großen Stil auf E-Zigaretten. Namhafte Hersteller wie Lorillard oder die Altria Group kaufen sich einfach ihre E-Zigaretten-Hersteller vom Weltmarkt.

Die von den Nikotin-Verdampfern ausgehenden Gesundheitsgefahren insbesondere für Passivdampfer sind noch nicht sonderlich gut erforscht. Die Regelungen zu Verkauf und Dampferlaubnis in der Öffentlichkeit ein Chaos. Das wird noch andauern. Darauf setzten die Konzerne in ihrer Not.

Aber Tabakrauch wird sicher bald ein Merkmal der ewig Gestrigen sein. Die graue, matte Haut bleibt als Erkennungszeichen wegen des Nikotins aber selbst beim Umstieg auf E. Das ist auch konsequent.

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