Windenergie Aufpusten um jeden Preis

Im Überlebenskampf der Windkraftkonzerne wird Größe zum alles entscheidenden Faktor. Doch in ihrem Übernahmeeifer sparen die Turbinenbauer bei Innovationen. Ein Fehler, der bereits die Solarbranche in den Abgrund führte.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Der Wettbewerb der Windkraftkonzerne wird immer härter. Quelle: dpa

Düsseldorf Volle Auftragsbücher, sattes Umsatzplus und ein Gewinnsprung: Nordex-Chef Lars Bondo Krogsgaard hatte seinen Aktionären viel Gutes zu berichten. Das abgelaufene Geschäftsjahr war das erfolgsreichste in der Geschichte von Deutschlands drittgrößtem Hersteller von Windturbinen. Und auch 2016 fängt gut an. Im ersten Quartal kletterten die Erlöse des Hamburger Konzerns im Vergleich zum Vorjahr um fast ein Drittel – auf 637 Millionen Euro. Dennoch schwor Krogsgaard die Nordex-Anleger auf rauere Zeiten ein.

„Der Wettbewerbsdruck in der Windenergiebranche wird noch intensiver“, mahnte der Däne mit akzentfreiem Deutsch bei der Hauptversammlung am Dienstag in Rostock. Das werde auch Nordex zu spüren bekommen. Denn die Industrie kämpfe mit „signifikanten Überkapazitäten“. Es gebe „klare Konsolidierungstendenzen“ in der Branche, erklärte Krogsgaard. Und anders als früher seien es nicht mehr nur die kleinen Akteure, die untereinander fusionieren und den Preiskampf verschärfen, sondern die wirklich Großen des Geschäfts.

„Der Windbranche steht eine Konsolidierungswelle einer neuen Qualität bevor“, urteilt die Unternehmensberatung Oliver Wyman in einer Marktanalyse, die dem Handelsblatt exklusiv vorliegt. Demnach müssen selbst die führenden Hersteller von Windturbinen, der wichtigsten Komponente von Windrädern, rasch handeln, um im Wettbewerb nicht zerrieben zu werden. Und die Riesen reagieren – das große Fressen beginnt.

In München feilt Siemens-Chef Joe Kaeser seit Wochen an einer Übernahme des spanischen Konkurrenten Gamesa. Klappt der Deal wäre Siemens mit einem Schlag die neue Nummer eins im Windturbinengeschäft. Aber die Konkurrenz wehrt sich erbittert gegen die Attacke des Dax-Schwergewichts. Erzrivale General Electric (GE) bekundete erst vergangene Woche reges Interesse am französisch-spanischen Windkraftkonzern Adwen. Und die dänische Vestas, seit Jahren Branchenprimus bei Umsatz und Marge, rüstete bereits Anfang des Jahres auf – mit dem Zukauf des Wartungsspezialisten Availon.

Es gibt zu viele Akteure im Windmarkt. Der Wettbewerb wird immer härter. „Im Kampf ums Überleben wird Größe mitentscheidend“, sagt Wolfgang Krenz. Der Energieexperte von Oliver Wyman erwartet einen  Ausleseprozess in der Branche. Obwohl der Markt für Windturbinen allein in den vergangenen beiden Jahren um mehr als 30 Prozent gewachsen ist, könne sich kein Turbinenhersteller ein „Durchatmen“ leisten, so Krenz. Denn das Geschäft mit Ökostromanlagen ist längst kein Selbstläufer mehr.


Größenwahn mit Nebenwirkungen

Der weltweite Boom der Windenergie flaut ab. In Europa werden die Förderungen für Grünstrom zunehmend gekappt. Künftig müssen sich Anbieter im Wettbewerb um die Höhe der Subventionen streiten. Derjenige, der sich mit dem geringsten Zuschuss aus der Staatskasse zufrieden gibt, bekommt den Zuschlag für den Bau neuer Windmühlen, die oft 200 Meter in den Himmel ragen. Gleichzeitig verlagert sich das Wachstum in der Industrie – weg von Europa hin zu den Entwicklungsländern.

Wer überleben will, muss sich breit aufstellen und sowohl hochspezialisierte Windturbinen für Europa im Portfolio haben wie günstige Massenmühlen für Südamerika, Asien und Afrika. „Kleine Unternehmen tun sich da schwer“, sagt Branchenkenner Krenz. Wie zum Beleg rutschte der Hamburger Windkraftkonzern Senvion gerade in die roten Zahlen; meldet für das erste Quartal einen Verlust von 32 Millionen Euro.

Jürgen Geißinger beschwichtigt. „Die Zahlen sind gar nicht so schlecht“, sagte der Senvion-Chef dem Handelsblatt. Der Verlust ergebe sich nur „rechnerisch“ durch einmalige Abschreibungen und die Kosten für den Börsengang des Unternehmens im März. Betrachte man dagegen das Tagesgeschäft sei Senvion „gut unterwegs“, erklärte Geißinger. An der Börse legte die Aktie von Senvion am Dienstag sogar leicht zu.

„Strategisch muss das Hauptthema für alle Windturbinenhersteller sein, den richtigen Partner im Konsolidierungsspiel abzubekommen und eine nachhaltig verteidigbare Wettbewerbsposition einzunehmen“, erklärt Wolfgang Krenz von Oliver Wyman. Während Senvion noch allein dasteht, hat sich Konkurrent Nordex bereits mit der Übernahme der Windsparte des spanischen Mischkonzerns Acciona verstärkt. Doch der Drang der westlichen Windkraftkonzerne nach Größe und Skaleneffekten hat unschöne Nebenwirkungen.  

Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung sind bei europäischen  Turbinenherstellern in den vergangenen Jahren auf ein Niveau von teils weniger als zwei Prozent in Relation zum Umsatz abgerutscht. Und auch die absoluten Zahlen sind eindeutig. So gibt etwa Gamesa heute um gut zehn Prozent weniger Geld für Innovationen aus als noch 2011. Beim Branchenprimus Vestas sind die Ausgaben für Forschung und Entwicklung binnen der letzten fünf Jahre sogar um mehr als 60 Prozent zurückgegangen – von mehr als 400 Millionen Euro auf nur mehr 156 Millionen Euro.


"Es droht ein Schicksal wie in der Solarbranche"

„Langfristig ist das nicht nachhaltig“, sagt Windkraftexperte Krenz. Im Klartext heißt das: Die Konzerne sparen an der falschen Stelle. Noch ist die Billig-Konkurrenz aus China fast nur in Asien aktiv. Aber die Anbieter aus dem Reich der Mitte drängen zunehmend nach Europa und Übersee. Goldwind, Chinas führender Turbinenbauer, sucht im Westen sogar aktiv nach Übernahmezielen.

„Auf der Kostenseite allein wird es schwierig, mit chinesischen Herstellern zu konkurrieren“, analysiert Justus Haucap. Der Düsseldorfer Wettbewerbsökonom warnt: „Sollte es den europäischen Turbinenproduzenten nicht gelingen, sich durch Innovationen von der Billigkonkurrenz zu differenzieren, droht ein ähnliches Schicksal wie in der Solarbranche.“

Die deutsche Photovoltaikwirtschaft durchlebt seit Jahren einen steten Niedergang. Fast 90.000 Arbeitsplätze gingen alleine in Deutschland verloren. Hauptgrund: Die chinesische Billigkonkurrenz hat die heimischen Solarmodulhersteller technologisch überholt. Kostennachteile konnten mangels Innovationen und kaum höherer Qualität nicht mehr kompensiert werden. Haucap fordert deshalb von Europas Windkraftkonzernen „überdurchschnittliche Anstrengungen“ im Bereich Forschung und Entwicklung ein.

„Wir müssen weiterhin extrem viel investieren“, sagt auch Lars Bondo Krogsgaard. Der Nordex-Chef sieht, dass der Bedarf nach Forschung und Entwicklung durch den zunehmenden Wettbewerbsdruck sogar noch ansteigt. Langfristig müsse Nordex „80 bis 90 Millionen pro Jahr“ in diesem Bereich investieren, „um unseren Technologievorsprung zu sichern“, so Krogsgaard. Aktuell geben die Hamburger rund 60 Millionen Euro für Forschung und Entwicklung aus. In Relation zum Umsatz investiert Nordex damit mehr als die Konkurrenz. Aber auch nicht viel mehr.    

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%