WindEnergy Windmüller in der Systempflicht

Satte Gewinne, kaum Verantwortungsgefühl: Die Windkraftindustrie hat lange ignoriert, wie stark ihr volatiler Grünstrom die Netze belastet. Jetzt, wo die Kosten für die Verbraucher explodieren, steuert die Branche um.

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Weil Solar- und Windenergieanlagen witterungsbedingt oft nicht dann Strom produzieren, wenn die Elektrizität von Industrie und Privathaushalten tatsächlich benötigt wird, passen Energieerzeugung und Verbrauch immer seltener zusammen. Quelle: dpa

Hamburg Es gibt wahrscheinlich nichts, worüber Grünstrommanager lieber sprechen, als über den Preissturz bei Ökoenergieanlagen. Martin Neubert ist dafür nahezu ein Paradebeispiel. „Wir haben die Kosten für Offshore-Wind alleine binnen drei Jahren um 50 Prozent reduziert“, frohlockte der Deutschland-Statthalter des dänischen Meerwindparkbauers Dong Energy am Dienstag bei der WindEnergy, der weltgrößten Messe für Windenergie in Hamburg.

Neubert hat mit Dong jüngst die magische Kostengrenze von 100 Euro pro Megawattstunde bei dem niederländischen Offshore-Windpark Borssele durchschritten. Die Dänen haben sich im Wettbewerb durchgesetzt und nur einen Preis von 72,70 Euro pro erzeugte Megawattstunde Strom verlangt, um das Projekt umzusetzen. Zum Vergleich: Der Strom aus dem geplanten Kernkraftwerkt Hinkley Point in Großbritannien wird teils um gut ein Drittel höher vergütet.

Nur allzu gerne verweist die Ökobranche angesichts solcher Beispiele auf die Vorzüge ihrer Anlagen und die Nachteile von fossilen Kraftwerken. Während Windmühlen sauber, dezentral und mittlerweile ziemlich kostengünstig Strom produzieren, sind Kohle-, Gas- und Atommeiler schmutzig, risikoreich und verhältnismäßig teuer, so der Tenor.

Völlig falsch ist das natürlich nicht. Aber was die Manager der regenerativen Szene in ihrer Rechnung gerne unterschlagen, sind jene Kosten, die beim Umbau des Energiesystems hinzu mehr erneuerbaren Energien einfach auf die Verbraucher abgewälzt werden. Und diese Kosten steigen rasant an.

Weil Solar- und Windenergieanlagen witterungsbedingt oft nicht dann Strom produzieren, wenn die Elektrizität von Industrie und Privathaushalten tatsächlich benötigt wird, passen Energieerzeugung und Verbrauch immer seltener zusammen. Um das fragile Stromnetz dennoch in der Balance zu halten und einen Blackout zu verhindern, sehen sich etwa die deutschen Übertragungsnetzbetreiber immer häufiger dazu gezwungen, Windmühlen abzuriegeln und fossile Kraftwerke hoch- und runterzufahren. Die Maßnahmen kosten viel Geld.

Alleine im vergangenen Jahr mussten die Verbraucher für den Blackout-Schutz rund eine Milliarde Euro über die Netzentgelte bezahlen. Wegen des stetig steigenden Anteils der erneuerbaren Energien am heimischen Strommix und dem mangelnden Netzausbau wird der Betrag in den nächsten Jahren sogar noch deutlich ansteigen – auf bis zu vier Milliarden Euro jährlich ab 2022, fürchtet die Bundesnetzagentur. Einen ersten Vorgeschmack, was den Verbrauchern blüht, setzte kürzlich Tennet. Der Netzbetreiber wird seine Netzentgelte zum Jahreswechsel um 80 Prozent anheben. Ein Drei-Personen-Haushalt zahlt dann im Schnitt um gut 30 Euro mehr pro Jahr als bisher.


Wie lässt sich Grünstrom besser ins Elektrizitätsnetz integrieren?

Bis jetzt hat sich die Windkraftindustrie kaum darum geschert, wie die Kosten für das gesamte Energiesystem im Zaum gehalten werden können. Angesichts der explodierenden Kosten schwenkt die Branche aber jetzt allmählich um.

„Uns hilft es nicht weiter, wenn wir nur den Windbereich im Fokus haben“, mahnte Hans-Dieter Kettwig. Der Chef von Deutschlands führendem Windkraftkonzern Enercon forderte seine Branche im Rahmen der Leitmesse der Industrie dazu auf, mehr Verantwortung zu übernehmen und Lösungen zu entwickeln, wie der volatile Grünstrom besser ins Elektrizitätsnetz integriert werden kann. „Wir haben die Verpflichtung hier Ideen zu liefern“, sagte Kettwig. Es gehe dabei auch darum, die Energiepreise in Deutschland zumindest stabil zu halten.

Kettwig kündigte an, dass sich Enercon künftig viel stärker mit Stromspeichern und netzstabilisierenden Innovationen auseinandersetzen werde. „Wir wollen hier eine Vorreiterrolle spielen“, erklärte der Chef des Konzerns, der bei einem Umsatz von fast fünf Milliarden Euro 2014 einen Gewinn von 490 Millionen Euro erwirtschaftete. Kettwig will zeigen, dass es in Deutschland nicht nur Blaupausen für eine autarke, grüne Stromversorgung gibt, sondern praxistaugliche Systeme. Gemeinsam mit dem Oldenburger Energieversorger EWE arbeitet Enercon gerade daran, eine ganze Region mit hundert Prozent Ökostrom zu versorgen. In Gesamtdeutschland wird derzeit ein Drittel des Stroms grün erzeugt.

„Die Energiewende wird nur dann ein Erfolg, wenn der Ausbau der Erneuerbaren systemisch abläuft“, sagte Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel bei der Eröffnung der Windmesse in Hamburg. Der Ausbau von Solar- und Windenergie müsse mit jenem der Infrastruktur gekoppelt werden, sprich mit dem Zubau an Stromleitungen und Speichern. „Der Hinweis von Herrn Kettwig, sich in diesem Bereich zu engagieren, wird künftig von allergrößter Bedeutung sein“, betonte Gabriel wohlwollend. Allzu viele Innovationen bei Speichern und intelligenten Netzen sollte der sozialdemokratische Vizekanzler aber von der Windkraftbranche dann auch wieder nicht erwarten.

Selbst Enercon-Chef Hans-Dieter Kettwig, der in der Industrie technologisch vorangeht, hielt am Ende seiner Ausführungen fest: „Zu 95 Prozent bauen wir Windenergieanlagen“. Daran werde sich auch so rasch nichts ändern. Die Prioritäten bleiben, wie sie sind.

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