Es geht rund beim Windmühlenbauer Nordex. Beinahe im Zwei-Wochen-Takt flattern im Hamburger Stadtteil Fuhlsbüttel die Aufträge ins Haus: Fünf Mühlen und drei Turbinen für den irischen Windpark Woodhouse. 14 Windräder für zwei türkische Windparks auf einer Halbinsel bei Izmir. 20 Turbinen für den Windpark Moy im Norden Schottlands, 19 Mühlen für den Windpark Myllykangas an der Nordwestküste Finnlands, sechs Anlagen für den Windpark Jacks Lane in Ostengland, vier Stengelrotoren für den Windpark Sehestedt in Schleswig-Holstein und sieben Anlagen für das französische Projekt Lazenay.
Der Windradhersteller ist nach zwei Verlustjahren in die schwarzen Zahlen zurückgekehrt. Vor wenigen Wochen hoben die Hamburger sogar aufgrund der starken Quartalszahlen – der Umsatz wuchs um 64 Prozent, das Ergebnis von minus 0,6 auf 21 Millionen Euro im Vergleich zum Vorjahresquartal – ihre Jahresziele für 2014 an.
Grund für das gute Geschäft ist aber keineswegs die Energiewende in Deutschland. Vielmehr war es der Totalumbau, der Stellenstreichungen, Werksschließungen und Strukturanpassungen mit sich brachte. Hinzu kamen Erfolge mit einer neuen Turbinentechnologie und bei den Auslandsaktivitäten. „Weltweit zählt Nordex nun wieder zu den zehn größten Herstellern von Onshore-Windturbinen“, sagt Nordex-Chef Jürgen Zeschky, der den Turnaround von Beginn an begleitet hat.
2013 lag das Ergebnis vor Zinsen und Steuern wieder bei 44 Millionen Euro, nach einem Vorjahresverlust von 61 Millionen. Nach Zinsen und Steuern waren es mehr als zehn Millionen Euro. Dem standen im Vorjahr noch 94 Millionen Euro Miese gegenüber. Der Umsatz legte um ein Drittel auf 1,4 Milliarden Euro zu.
Neuausrichtung - So steht es um die Energiekonzerne
Umsatzanteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung: 2,0 %
Gewinnanteil vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen: 15,0%
Installierte Minikraftwerke in Deutschland: 4000
Unterstützung des Neugeschäfts durch Vorstandschef¹: *
Kooperationen mit anderen Unternehmen: 135
¹3 Sterne = groß, 1 Stern = gering
(Stand: Juni 2014)
Umsatzanteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung: 1,7 %
Gewinnanteil vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen: 4,5%
Installierte Minikraftwerke in Deutschland: 1300
Unterstützung des Neugeschäfts durch Vorstandschef¹: **
Kooperationen mit anderen Unternehmen: 90
¹3 Sterne = groß, 1 Stern = gering
Umsatzanteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung: 2,3 %
Gewinnanteil vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen: 10,0%
Installierte Minikraftwerke in Deutschland: 205
Unterstützung des Neugeschäfts durch Vorstandschef¹: ***
Kooperationen mit anderen Unternehmen: 50
¹3 Sterne = groß, 1 Stern = gering
Umsatzanteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung: k.A.
Gewinnanteil vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen: k.A.
Installierte Minikraftwerke in Deutschland: k.A.
Unterstützung des Neugeschäfts durch Vorstandschef¹: *
Kooperationen mit anderen Unternehmen: 300
¹3 Sterne = groß, 1 Stern = gering
Auf Normalmaß gestutzt
Wer eine derart beeindruckende Kehrtwende hinlegt, muss zuvor die Gründe für den Niedergang kennen und analysieren. Ein schwieriges Unterfangen für einen Quereinsteiger wie Zeschky, der erst im März 2012 den Chefsessel des börsennotierten Unternehmens übernimmt. Zuvor war der promovierte Maschinenbauingenieur fast zehn Jahre Manager beim Maschinenbauer Voith Turbo.
In Hamburg findet der 54-jährige gebürtige Ruhrpottler ein Unternehmen vor, das strukturiert ist, um in kurzer Zeit einen Umsatz von vier bis fünf Milliarden Euro zu erreichen. „Nordex war als Konzern konzipiert, mit drei Hauptgesellschaften in Deutschland, den USA und China, mit fünf Vorständen, unzähligen Stabsstellen und zwar guten, aber zu vielen hoch bezahlten Managern“, erinnert sich Zeschky.
Hinter dem Quasi-Konzern verbirgt sich jedoch ein ebenso aufgeblasener wie angeschlagener Mittelständler. Der Umsatz von Nordex liegt Ende 2011 nur noch bei 920 Millionen Euro. Erstmals sind operative Verluste in Höhe von 30 Millionen entstanden, der Fehlbetrag im Konzern summiert sich auf 50 Millionen Euro.
Schnell wird Zeschky klar: Der zusammenfantasierte Konzern muss auf ein realistisches Maß gestutzt werden.
Er kann sich noch sehr gut an seine erste Aufsichtsratssitzung im März vor zwei Jahren erinnern. Dort wird beschlossen, aus der Offshore-Technologie auszusteigen. „Da war ich gerade mal drei Wochen an Bord“, erinnert sich Zeschky.
Ähnlich wie Siemens, Repower, Bard, Vestas oder Areva wollte auch Nordex in das seinerzeit lukrativ erscheinende Geschäft mit Windparks auf hoher See einsteigen. Mehr als zwei Dutzend Mitarbeiter mit Unterstützung durch Ingenieure, Einkäufer, Konstrukteure und Finanzexperten tüftelten an einer wettbewerbsfähigen Meereswindturbine. „Wir waren so weit, dass der nächste Schritt der Bau eines Prototypen gewesen wäre“, sagt Zeschky. Das hätte mindestens 200 Millionen Euro gekostet.
Statt des Prototypen kommt jedoch das Aus. Zeschky: „Das Offshore-Geschäft mit Windparkprojekten in einem Volumen von 500 Millionen Euro und mehr war für uns viel zu groß, zu risikoreich und hätte zu viele Ressourcen gebunden.“
Rückzug aus China
So beginnt sein Amtsantritt mit einer unpopulären Entscheidung gegen die Begeisterung im Unternehmen und damalige Wachstumsfantasien. Heute nimmt es Zeschky mit Humor: „Die schlimmsten Dinge können Sie nur in den ersten sechs Monaten durchziehen.“
Und es kommt schlimmer. Zeschky schrumpft den Vorstand von fünf auf drei Köpfe und schließt im Spätherbst 2012 das Rotorblattwerk in China mit 130 Mitarbeitern – eine Konsequenz aus der rückläufigen Auslastung und den dadurch im Reich der Mitte entstandenen Verlusten. Lange hatte Nordex vergeblich einen Partner gesucht. Und ohne ging es nicht: „99,9 Prozent der Aufträge in China gingen und gehen an chinesische Hersteller“, moniert Zeschky.
Im Sommer 2013 zieht Zeschky auch den Stecker im US-Werk in Jonesboro im Bundesstaat Arkansas. Grund dafür ist die andauernd schwache Nachfrage aus den USA, weil nicht feststeht, ob und in welcher Höhe es Steuervergünstigungen für Windanlagen gibt. Rund 40 Mitarbeiter verlieren ihren Arbeitsplatz.
Außer einem Büro mit einem Dutzend Mitarbeitern ist nicht viel übrig geblieben. Aber: „Wir gewinnen, anders als in China, in den USA wieder Aufträge“, sagt Zeschky. Vor wenigen Wochen holte sich Nordex den Zuschlag für den Windpark Fourmile Ridge im Bundesstaat Maryland mit 16 Turbinen und einem Wartungsvertrag über 20 Jahre.
Parallel zu Schließungen und Entlassungen arbeitet Zeschky am operativen Überleben: „Wir hatten keine Berater im Unternehmen und auch keinen tollen Namen für das Restrukturierungsprogramm. Wir haben es einfach gemacht.“
Alle Entscheidungen seien bis Spätsommer 2012 in Teams mit den 20 Top-Führungskräften erarbeitet worden, schildert der Nordex-Chef. Denn: „Die Mitarbeiter, die die Pläne ausführen, sollen sie auch machen.“ Nordex soll demnach künftig
- in jeder der drei Windklassen (stark, mittel, schwach) eine wettbewerbsfähige Anlage am Start haben,
- Materialkosten beim Windturbinenbau senken,
-Montagezeiten reduzieren sowie
-Pleiten und Pannen beim Bau schlüsselfertiger Parks vermeiden.
„Bei vielen Windparkprojekten fehlten wochenlang mal die Türme, mal die Rotorblätter auf den Baustellen“, sagt Zeschky. „2013 ist das fast gar nicht mehr vorgekommen.“ Auch die Materialkosten konnte er senken. So wird eine Nordex-Turbine heute rund 100 000 Euro günstiger gefertigt als noch vor zwei Jahren.
Rotorflügel aus der Türkei
Zur Kosteneinsparung tragen auch neue Lieferanten und Partner bei. So arbeitet Nordex seit August 2013 mit dem US-Komponentenhersteller TPI zusammen, der für die Hamburger im türkischen Izmir Rotorblätter montiert. Das Werk in Izmir ist ideal gelegen, um die riesigen Windflügel auf dem Land- und Wasserweg auf die Baustellen in der Türkei, aber auch in andere Länder zu transportieren. „Das ist ein wichtiger Markt und ein wichtiger Standort, bei dem wir von geringeren Lohn- und Logistikkosten profitieren“, sagt Zeschky.
Die Erfolge lassen nicht lange auf sich warten. Vor knapp zwei Wochen bestellten drei lokale türkische Energieversorger insgesamt 17 Windmühlen für drei Windparks.
Parallel senkt Zeschky auch die Arbeitszeiten im Werk in Rostock. Die Montagestunden für ein Getriebe reduzieren sich durch eine erhöhte Automatisierung und Fließbandproduktion um 16 Prozent, die Stunden für Rotorblätter sogar um 20 Prozent.
Für kräftigen Rückenwind sorgt ab Mitte 2012 auch die Einführung der neuen Windkraftanlage N117/2400, einer Mühle für Gebiete, in denen der Wind in der Regel nur schwach weht. „50 Prozent der Auftragseingänge entfallen auf diese Innovation“, schwärmt Zeschky. Um die Nachfrage bewältigen zu können, wurden im Blatt- und Maschinenhauswerk in Rostock wieder 150 Mitarbeiter eingestellt und die Kapazitäten hochgefahren.
Ralf Meier, seit mehr als 17 Jahren bei Nordex in Hamburg und seit einer Dekade Gesamtbetriebsratsvorsitzender, bezeichnet Nordex als „Stehaufmännchen der Windbranche“: „Wir haben eine Belegschaft, die anscheinend nie den Glauben daran verliert, dass es wieder aufwärtsgeht.“ Im Unternehmen stecke so viel Potenzial, dass „wir auch schwere Zeiten überstehen können“.
Für viele Analysten ist die Aktie des norddeutschen Windmühlenherstellers nach der gelungenen Wende eine Empfehlung. „Dank der strategischen Neupositionierung, erfolgreich durchgeführter Kostensenkungsprogramme sowie der Entwicklung neuer, innovativer Produkte ist 2013 die Trendwende gelungen“, kommentiert Nord/LB-Analyst Holger Fechner.
Commerzbank-Kollege Sebastian Growe sieht vor allem in der starken Entwicklung des Repowering in Deutschland einen großen Vorteil für Nordex. Mit Repowering bezeichnet man den Austausch bestehender alter Onshore-Windkraftanlagen durch neue, leistungsstärkere Windräder.
Entspannte Großaktionärin
Unterstützung erhält Nordex auch von der Europäischen Union. Die Europäische Investitionsbank in Luxemburg stellte Nordex Ende April für ein mehrjähriges Forschungs- und Entwicklungsprogramm ein Darlehen über 100 Millionen Euro zur Verfügung. Die positive Entwicklung freut nicht nur Mitarbeiter, Betriebsräte, Lieferanten, Analysten und Kunden. Auch die Milliardärin Susanne Klatten dürfte entspannter und freudiger auf ihr Investment blicken. Über die Beteiligungsgesellschaft Skion ist die BMW-Großaktionärin 2008 mit 20 Prozent bei Nordex eingestiegen und hält heute knapp 23 Prozent. Zur gelungenen Kehrtwende möchte sich Klatten dennoch nicht äußern.