Wolfsburg und Dieselgate Volkswagen versucht die Rückkehr zur Normalität

Acht Monate sind seit Ausbruch der Diesel-Affäre vergangen. Allmählich zeichnet sich ab, dass der Skandal den VW-Konzern, Vorstand und Anleger sehr viel Geld kosten wird. Doch es hätte noch schlimmer kommen können.

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Aufsichtsrat Wolfgang Porsche (links) und Konzernchef Matthias Müller müssen einen Rekordverlust von VW erklären. Quelle: dpa

Wolfsburg Als alles überstanden ist, legt Hans Dieter Pötsch den Arm um Matthias Müller. Der Aufsichtsratschef und der Vorstandsvorsitzende von Europas größtem Autobauer Volkswagen mussten der Öffentlichkeit gerade den größten Verlust der Konzerngeschichte verkünden.

Manchmal sind es die kleinen Dinge, die eine allmähliche Rückkehr zur Normalität suggerieren können. Schon um 11 Uhr solle man sich an diesem Freitag für ein Statement der führenden Kontrolleure bei Volkswagen bereithalten, hieß es im Vorfeld. Dann wollten der Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch, Ministerpräsident Stephan Weil und Wolfgang Porsche als mächtigster Vertreter der Familie vor die Öffentlichkeit treten. Auch Vorstandschef Matthias Müller sollte dabei sein. Womöglich auch Bernd Osterloh, der Betriebsratschef, ohne den in Wolfsburg ohnehin nichts entschieden wird.

Dann wäre man auch wieder in der Besetzung wie damals Ende September, als nach Bekanntwerden der Dieselaffäre in einer denkwürdigen Aufsichtsratssitzung unzählige strategische, personelle und finanzielle Entscheidungen getroffen werden mussten und anschließend „lastwagenweise“ Meldungen versandt wurden, wie es ein Sprecher damals nannte. Stunde um Stunde harrte damals eine Hundertschaft an Journalisten aus allen Erdteilen vor Tor Sandkamp, quasi dem Haupteingang des riesigen Werkes, aus. Verkündet wurde erst etwas, als es beinahe schon dämmerte.

Dass diesmal sogar just zu dieser Zeit schon ein  Bus an Tor Sandkamp vorfuhr, um das knappe Dutzend Kamerateams und die rund 50 wartenden Journalisten zum zentralen Verwaltungsgebäude mitten im riesigen Wolfsburger Werk zu fahren, war eine Überraschung. Trotzdem dauerte es anschließend noch über vier Stunden, ehe es endlich losging. Das war der Masse an Themen geschuldet, die die zwanzig Aufseher an diesem Tag abzuarbeiten hatten.

Am Abend vorher war es später geworden als gedacht. Lange Diskussionen zu den vielen Themen, die den Konzern momentan belasten, waren nötig. Deswegen startete die Sitzung am Freitag auch erst um 9.45 Uhr, am Vortag war noch von acht Uhr die Rede. Die ersten schwarz verglasten Limousinen waren indes morgens schon um halb acht ins Werk gefahren. Ohne Kontrolle auf einer Extraspur.

Das Zeichen nach außen waren jedoch gesetzt: Hier wird jetzt solide eine Krise abgearbeitet, deren Ausmaß sich noch vor einem Jahr nicht mal intimste Kenner des hochkomplexen Konzerngebildes vorstellen konnten. Deshalb hatten die jeweils zehn Vertreter der Kapital- und der Arbeitnehmerseite der Sitzung im Vorfeld bereits einen Rahmen gesteckt bekommen bei den wichtigsten Themen. Und schon am Donnerstag ab dem späten Nachmittag hatten sich erst das sechsköpfige Präsidium des Aufsichtsrates und anschließend die zehn Vertreter der Kapitalseite getroffen, um gemeinsame Positionen zu finden.


So wird der Bonus der Vorstände gekürzt

Es ging schließlich um nicht weniger als alles, was derzeit für den Konzern von Bedeutung ist. Den Bericht der Prüfer von Jones Day zur Dieselaffäre, den Jahresabschluss, die Dividende und schließlich die Boni für die Vorstände. Reichlich unsensibel war man mit diesem Thema in den vergangenen Wochen umgegangen, der Aufschrei in der Öffentlichkeit war groß. Deswegen widmeten sie diesem Thema besonders viel Raum.

Wohl wissend, dass hier der öffentliche Sprengstoff besonders hoch ist. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil war es vorbehalten, das Thema in seiner Komplexität zu erklären. Nach seiner Rechnung verdiente ein Vorstand mit zwölf Jahren Dienstzeit im  Jahr 2014 5,3 Millionen Euro. Weil 2015 ein Verlust anfiel, fiel der einjährige Bonus weg, bei den zwei und vierjährigen langfristigen Boni wurde es anteilig weniger, so dass hier 3,225 Millionen herauskommen. Davon werden eine Million Euro einbehalten, die in virtuelle Aktien umgewandelt werden. Die können frühestens 2018 zu Geld gemacht werden, vorausgesetzt der Kurs entwickelt sich um 25 Prozent höher als heute. Vorerst bekommt dieser beispielhafte Vorstand damit nur 2,225 Millionen Euro ausgezahlt, also 57 Prozent weniger als im Vorjahr. Läuft bis 2018 alles wieder gut, so könnte er das Minus bei entsprechender Kursentwicklung und anschließendem Verkauf der Aktien auf 39 Prozent reduzieren. 

Für den Konzern sehr viel entscheidender ist indes, dass endlich ein Jahresabschluss für das Krisenjahr 2015 präsentiert werden kann. Lange Monate hakte es, weil vor allem in den USA eine Entscheidung fehlte, wie die gut 580.000 dort betroffenen Dieselfahrzeuge auf einen umweltverträglichen Stand gebracht werden könnten. Erst am Donnerstagabend verkündete in San Francisco Richter Charles Breyer, dass Volkswagen mit den zuständigen US-Behörden und den Anwälten der Autobesitzer eine grundsätzliche Einigung erzielt hat.

Seither wissen sie zumindest in groben Zügen, was sie der Skandal allein in den USA kosten dürfte. Die Rückstellungen haben sie deshalb auf 16,2 Mrd. Euro erhöht, bislang standen lediglich 6,7 Mrd. Euro an dieser Stelle. Genau deshalb ist mit einem Minus von 4,1 Milliarden Euro auch das schlechteste operative Ergebnis der Konzerngeschichte herausgekommen.

Wie geplant, kann so auch kommenden Donnerstag die Bilanz präsentiert werden. Die haben die 20 Räte an diesem Freitag ebenfalls abgesegnet. Und das unter Schmerzen.


Mini-Dividende für die Aktionäre

Andererseits offenbart sich, was schon vor Monaten als Hoffnungsschimmer für Management, Belegschaft und Kontrolleure als Hoffnungsschimmer erkennbar war: Das Geschäftsjahr 2015 wäre sogar besser als das bisherige Rekordjahr 2014 verlaufen, wäre da nicht die Milliardenbelastung durch die Dieselaffäre. Die schlägt allerdings richtig ins Kontor. Denn der Umsatz wurde um 5,4 Prozent auf 213,3 Milliarden Euro gesteigert. Und wäre die Dieselaffäre nicht, wäre auch das operative Ergebnis auf 12,8 Milliarden Euro leicht gestiegen. Jetzt stehen an dieser Stelle eben besagte 4,1 Milliarden Euro Verlust.

Und noch etwas gibt Hoffnung in diesen schweren Zeiten. Die Netto-Liquidität im so schwer betroffenen Bereiche Automobile hat auf 24,5 Milliarden Euro relativ kräftig zugelegt. Im vergangenen Jahr standen an dieser Stelle noch 17,6 Milliarden Euro. Die günstigen Wechselkursverhältnisse sowie der Verkauf der Suzuki-Anteile im vergangenen August mit einem Milliardengewinn führten dazu.

Auch die Frage nach einer Dividende ist geklärt. Wo im Vorjahr noch 4,86 Euro je Vorzugaktie und 4,80 Euro je stimmberechtigter Stammaktie stand, sollen nun 0,11 bzw. 0,17 Euro ausgeschüttet werden. Das ist bestenfalls eine symbolische Geste. Es hätte indes noch schlimmer kommen können. Lange sah es so aus, als ob die Dividende diesmal krisenbedingt ganz ausfallen würde.

Apropos Krise: Ungeklärt bleibt für die Öffentlichkeit vorerst, wer die wahren Verursacher der Diesel-Affäre sind. Den Bericht der internen Ermittler der US-Großkanzlei Jones Day bleibt vorerst unter Verschluss. Eine Veröffentlichung von Zwischenergebnissen der Untersuchung führe zum gegenwärtigen Zeitpunkt zu  unvertretbaren Risiken. In der zweiten Aprilhälfte wollten sie endlich vor aller Welt zeigen, was die gut 450 Ermittler über Monate aus 102 Terabyte Material an verdächtigen Dokumenten gezogen hat. Das hatte Konzernchef Matthias Müller immer wieder betont.

Jetzt aber herrscht erst mal Burgfriede zwischen VW und den US-Behörden. Und der soll nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden. Es gilt deswegen vorerst weiter: Die Schummelsoftware war das Werk einiger weniger im Konzern. Die alte Führungsriege, zu der auch der neue Aufsichtsratschef Hans-Dieter Pötsch, wusste nichts davon.


Wann kommt der Bericht von Jones Day?

Wird der Bericht jemals veröffentlicht? Nach aktuellem Stand geht Jones Day davon aus, dass die Untersuchung im vierten Quartal abgeschlossen sein wird. 65 Millionen Dokumente wurden den Anwälten zur digitalen Auswertung zusammengestellt, von denen insgesamt zehn Millionen Dokumente zur Ansicht an Anwälte von Volkswagen weitergeleitet wurden. Früheren Meldungen zufolge haben die internen wie die externen Anwälte rund ein Drittel der Dokumentenflut bisher durchforstet. „Zudem dürfte eine Veröffentlichung aus Sicht unserer Rechtsberater das Entgegenkommen bezüglich des Strafmaßes gefährden, das Volkswagen im Falle einer umfassenden Zusammenarbeit mit dem Department of Justice erwarten darf“, heißt es in der offiziellen Mitteilung des Konzerns.  

Bleibt noch eine Szene, die an diesem Freitag ebenfalls für ein bisschen Normalität gesorgt hat. Vom Hochhaus, dem markanten Verwaltungsgebäude mit dem riesigen VW-Emblem auf dem Dach, wurden wieder ein Teil des Gerüstes abgenommen. In Kürze sollen nach der Generalsanierung hier wieder Mitarbeiter einziehen. Eine neue Normalität im Konzern soll dann auch dazu kommen, hoffen sie.

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