Zolgensma Ist dieses Medikament zwei Millionen Dollar wert, Herr Professor?

Zolgensma kostet in den USA 2,1 Millionen Dollar. Quelle: AP

Das teuerste Medikament der Welt, Zolgensma vom Pharmakonzern Novartis, gibt es bald auch in Deutschland. Eine einzige Spritze hilft gegen eine seltene Muskelerkrankung bei Kleinkindern – und kostet zwei Millionen Dollar. Der Kinderarzt Andreas Hahn vom Uniklinikum Gießen sieht auch einige Risiken.

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WirtschaftsWoche: Herr Professor Hahn, Zolgensma, kostet in den USA 2,1 Millionen Dollar. Bald gibt es das Präparat auch in Europa. Ist Zolgensma tatsächlich so viel Geld wert?
Andreas Hahn: Es ist zunächst einmal toll, dass es Zolgensma und das Konkurrenzpräparat Spinraza von Biogen gibt. Diese Muskelerkrankung, die sogenannte spinale Muskelatrophie, kurz SMA, ist bereits vor hundert Jahren beschrieben worden, es gab aber bis vor kurzem kein Mittel dagegen. Diese Krankheit trifft vor allem Säuglinge, viele erlebten ihren zweiten Geburtstag nicht oder mussten künstlich beatmet werden. Dank Zolgensma und Spinraza haben die Kinder nun die Chance, zu überleben, können weiter selbstständig atmen und einige machen auch motorische Fortschritte. Ob ein Preis von zwei Millionen Dollar deswegen gerechtfertigt ist, kann ich nicht sagen. Es gibt auch einige Risiken.

Weil Zolgensma eine Gentherapie ist? Dabei wird ein verändertes Gen in den Körper eingeschleust.
Das ist durchaus ein Risiko. Es überrascht mich ja, wie positiv Gentherapien in Deutschland aufgenommen werden. Wenn es um genetisch veränderte Nahrungsmittel geht, läuft die Diskussion deutlich kritischer. Das Problem ist, dass es noch relativ wenig Erfahrungen mit Gentherapien gibt. Wir wissen nicht, wie diese langfristig im Körper wirken. Und die Studienlage dazu ist dünn: Bislang haben weltweit nur etwa hundert Patienten Zolgensma erhalten. Die Frage ist, ob die Therapie im Körper ein Leben lang funktionieren kann. Da bin ich mir noch nicht sicher.

Wie lässt sich das denn kontrollieren?
Bei Zolgensma ist die Nachsorge sehr wichtig. Die Patienten müssen in spezialisierten Zentren regelmäßig nachuntersucht werden. Dafür fallen pro Jahr auch noch einige tausend Euro an Kosten an.

Gibt es weitere Risiken bei Zolgensma?
Zolgensma kann zu Leberwerterhöhungen führen oder dazu, dass das Immunsystem fehlerhaft reagiert. Einige Patienten haben auch Antikörper, so dass Zolgensma nicht wirken kann.

Könnte Zolgensma auch Krebs auslösen?
Das Medikament wird nicht in das Genom des Patienten integriert. Aufgrund der bisherigen Erkenntnisse schätze ich diese Gefahr daher als gering ein.

Der Vorteil von Zolgensma ist, dass es als Infusion nur einmal verabreicht werden muss. Spinraza muss mehrfach im Jahr gegeben werden, ein Leben lang. Welche Nebenwirkungen treten dabei auf?
Spinraza ist insgesamt ein nebenwirkungsarmes Medikament. Viele Patienten müssen Spinraza aber unter Röntgenkontrolle und in Sedierung oder Narkose bekommen. Während der Behandlungsprozedur ist der Patient also einer Strahlenbelastung ausgesetzt, die auf Dauer sicher nicht zu vernachlässigen ist. Im Gegensatz zu Zolgensma ist die medizinische Betreuung bei Spinraza aufwändiger, die Behandlung komplexer. Während Zolgensma in die Vene infundiert wird, muss Spinraza direkt in das Nervenwasser mittels Punktion appliziert werden. Da müssen viele Ärzte und Schwestern mitwirken. Außerdem ist die Erfassung des Therapieerfolgs wichtig. Leider wird das den Kliniken und Zentren nicht ordentlich vergütet. Der Medizinische Dienst der Krankenkassen drangsaliert uns zudem noch zusätzlich, wenn es um die Liegedauer der Patienten geht.



Wie lässt sich die Behandlung der Säuglinge noch verbessern?
Ich fände es absolut sinnvoll, wenn SMA in das Neugeborenen-Screening aufgenommen würde. Dabei wird den Säuglingen kurz nach der Geburt Blut entnommen, um mögliche Krankheiten festzustellen. Nur leider wird dabei nicht auf SMA untersucht, mit Ausnahme von Bayern und Teilen Nordrhein-Westfalens. Dabei wäre das so wichtig. Denn wenn die SMA erst einige Monate später entdeckt wird, kann es gut sein, dass die Behandlung mit Zolgensma oder Spinraza deutlich weniger effektiv ist. Mit einem Neugeborenen-Screening könnte die Prognose vieler Kinder hinsichtlich Beatmungsnotwendigkeit und motorischen Fähigkeiten ganz erheblich verbessert werden. Eine bundesweite Lösung ist aktuell aber noch nicht in Sicht.

Viele Kassen klagen über die hohen Kosten, die dann wahrscheinlich bald auf die Solidargemeinschaft zukommen. Können Sie die Kritik verstehen?
Ich verstehe, dass das für die Kassen eine völlig neue Situation ist. Einmalige, aber teure Behandlungen, hat es in Deutschland bislang noch nicht gegeben. Das Gesundheitssystem ist darauf nicht vorbereitet. Wir werden es aber in Zukunft noch mit weiteren solcher Medikamente zu tun bekommen. Weitere Gentherapien, die nur einmal injiziert werden müssen, kommen in den nächsten Jahren auf den Markt, auch gegen andere Muskelerkrankungen. Für uns Ärzte ist das ebenfalls Neuland. In Deutschland hat bislang etwa kaum ein Mediziner Erfahrungen mit Zolgensma.

Mehr zum Thema: Das teuerste Medikament der Welt heißt Zolgensma und kommt bald auch nach Deutschland. Hersteller Novartis verspricht Patienten den Durchbruch bei der Behandlung einer seltenen Muskelkrankheit – und macht den Aktionären Hoffnung auf einen Milliardenumsatz. Die Krankenkassen aber bekommen ein Problem.

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