Zug-Megaprojekt Eine Eisenbahn quer durch Südamerika

Es soll ein Jahrhundertprojekt werden. Eine Zugstrecke vom Atlantik zum Pazifik quer durch Südamerika. Zahlreiche Konzerne wittern die Chance. Auch deutsche Firmen sind an Bord – mit Unterstützung der Bundesregierung.

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Die neue Bahnstrecke soll über die Hochanden durch ganz Südamerika bis zum Atlantik führen. Quelle: Imago

La Paz Das Projekt klingt wie ein wahnwitziges Vorhaben, ein Zug quer durch Südamerika, durch das Amazonasgebiet, über die Anden. Vom brasilianischen Santos am Atlantik, durch Bolivien bis zum peruanischen Hafen Ilo am Pazifik. Mindestens zehn Milliarden US-Dollar Kosten. Und umstritten: In einer peruanischen Zeitung formt sich der aus dem Schornstein einer Lok quellende Dampf zu einem roten Drachen, der über dem Zug schwebt. Denn China ist Treiber des Projekts, viele Südamerikaner fürchten eine Art „Neo-Kolonisierung“.

Es war Mitte Mai 2015, als Brasiliens Staatspräsidentin Dilma Rousseff mit Chinas Regierungschef Li Keqiang 35 Kooperationsverträge mit einem Volumen von über 50 Milliarden US-Dollar unterzeichnete - Herzstück war der „Tren Bioceanico“, der Zug zwischen den Ozeanen.

Aber nun gibt es Konkurrenz aus Deutschland und der Schweiz, von Unternehmen, die auch zum Zuge kommen wollen. Eine Delegation, angeführt vom Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, Rainer Bomba, will bei einer bis Samstag geplanten Visite führende Politiker Boliviens wie Staatspräsidenten Evo Morales davon überzeugen, dass europäische Unternehmen besser prädestiniert seien. Mit der Strecke sollen Güter schneller nach Asien kommen als mit Schiffen, die erst um das Kap Hoorn herumfahren müssen. Teilabschnitte wären auch für den bisher in Bussen abgewickelten Personenverkehr interessant.

Mehrere Firmen aus Deutschland und der Schweiz wollen gemeinsam ein Paket anbieten - aus Bau der Infrastruktur, Lieferung von Loks und Waggons sowie Wartung der Züge. Nach Vorbild des dualen Ausbildungssystems in Deutschland sollen zudem Fachkräfte für Instandhaltung und Betrieb der Strecke vor Ort ausgebildet und eingesetzt werden. So sollen 6000 bis 8000 Arbeitsplätze entstehen.

„Die geplante Bahnverbindung wird Bolivien und die gesamte Region Südamerika nachhaltig stärken. Die deutschen und schweizerischen Unternehmen stehen bereit, dieses Jahrhundertprojekt mit Fachwissen, Erfahrung und hochwertigen Produkten zu unterstützen“, so Bomba. Zur Delegation gehören auch Vertreter von Siemens und Molinari (Schweiz).

Das Projekt war auch Thema beim Besuch von Morales im November in Berlin. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wiederum war mit dem Großteil ihres Kabinetts Mitte August bei Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff. Während viele das Interesse an Südamerika verlieren und China an Einfluss gewinnt, versucht Deutschland offenbar, angesichts der globalen Turbulenzen hier neue Geschäftsfelder zu erschließen.


Solange südamerikanische Länder nicht zustimmen, geht gar nichts

Eine Renaissance des Bahnverkehrs wäre ein riesiges Geschäftsfeld. Die Realität heute? Sehr gemächlich tuckert der Expreso Oriental durch das heiße Tiefland Boliviens. Ein Zuggefühl wie vor 100 Jahren, antiquierte Waggons. Fast 17 Stunden dauert die 640 Kilometer lange Strecke von der brasilianischen Grenze bis in die Stadt Santa Cruz.

Geht es nach Morales, soll hier etwas mehr Zug in die Sache kommen. Für den Transozean-Express müsste die Bummeltrasse durch das Gebiet, in dem Reste von Jesuitenmissionen mit beeindruckenden Holzkirchen zu finden sind, modernisiert werden. Boliviens Bahnnetz umfasst heute gerade mal rund 3500 Kilometer – weitgehend eingleisig, in Meterspur.

Eigentlich sollte die Strecke an Bolivien vorbei weitgehend durch das Amazonasgebiet Brasiliens nach Peru führen. Doch das ist schon aus Umweltschutzgründen problematisch, zudem muckte Morales auf. Bolivien hatte im Salpeterkrieg (1879-1884) mit Chile seinen Meerzugang verloren - die Bahnlinie würde die historische Möglichkeit eröffnen, einen viel schnelleren Zugang zu beiden Ozeanen zu bekommen und den Handel zu stärken. Zudem wäre die Linie durch Bolivien bis zum peruanischen Hafen Ilo mit rund 3500 Kilometern weitaus kürzer.

Allerdings müssten neue Schienenstränge über die Anden gebaut werden. Britische Ingenieure errichteten im 19. Jahrhundert schon einmal solche Linien, aber gerade in Boliviens Hochland finden sich heute mehr Zugfriedhöfe als fahrende Züge. Der frühere Kokabauer Morales, mit zehn Jahren der am längsten amtierende Präsident Boliviens, setzt die Einnahmen aus dem verstaatlichten Erdgasgeschäft gezielt für den Ausbau der Infrastruktur ein; mit russischer Hilfe will er sogar ein Atomzentrum bauen.

In Sachen Ozeanzug ist aber noch nichts geklärt, erstmal müssen sich Peru, Brasilien, Bolivien sowie China als geplanter Mitfinanzier über das Konzept und den Verlauf einigen. Womöglich bleibt alles Utopie – doch wer hier zu spät kommt, könnte eine Milliardenchance verpassen.

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