Zukunftsallianz Maschinenbau Warum die Industrie 4.0 noch am Anfang steht

Deutschland ist Vorreiter bei der Industrie 4.0 – zumindest in der Diskussion, bei der Einführung hapert es noch. Um das Heft in die Hand zu nehmen, haben sich Maschinenbauer zu einer neuen Plattform zusammengeschlossen.

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Industrie-4.0-Demonstrator der Firma Harting: Im Kleinen funktioniert die vernetzte Produktion schon – doch der große Durchbruch bleibt bislang aus. Quelle: dpa Picture-Alliance

Es soll nicht weniger als die vierte industrielle Revolution werden: Auf Dampfmaschine, Fließband und Elektronik folgt die vernetzte, intelligente Fabrik. „Smart Factories“ sollen – getrieben von der rasenden Digitalisierung von Gesellschaft und Wirtschaft – die Art und Weise, wie in Deutschland produziert und gearbeitet wird, nachhaltig verändern.

Die Betonung liegt auf „soll“.

Die Folgen von Industrie 4.0 für die Branchen in Deutschland bis 2025

Gut vier Jahre sind vergangen, seit auf der Hannover Messe der Begriff „Industrie 4.0“ geprägt wurde – allerdings nicht wie die drei bisherigen Revolutionen als Beschreibung für das Ergebnis jahrelanger Entwicklungen, sondern in der politische Debatte. Schnell hat sich Deutschland in der Diskussion darüber als Vorreiter etabliert. Doch in der Umsetzung – der eigentlichen Revolution – hapert es bis heute.

Der Mittelstand hält Investitionen zurück

Das Potenzial ist enorm: Laut einer Studie der Beratungsgesellschaft PwC kann die Industrie bei einer digitalisierten Produktion bis zu 30 Milliarden Euro mehr umsetzen und ihre Effizienz um bis zu 18 Prozent steigern. Doch bislang proftieren nicht alle davon.

Großkonzerne wie BMW oder VW arbeiten bereits an ihren Produktionsstätten 4.0 und prägen damit das öffentliche Bild. Das täuscht aber nicht über das Hauptproblem hinweg: Im hierzulande so wichtigen Mittelstand steht die industrielle Vernetzung immer noch am Anfang. Es fehlt an etablierten Standards, nach denen die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) ihre Digitalisierungsprozesse ausrichten können.

Immerhin: Die Bekanntheit des Themas in der Industrie ist gestiegen. Fühlten sich laut einer aktuellen Studie des Marktforschungsinstituts Pierre Audoin Consultants (PAC) im Auftrag der Freudenberg IT viele Unternehmen in den vergangenen Jahren noch nicht hinreichend informiert, sehen sich mittlerweile die meisten mit dem erfoderlichen Wissen ausgestattet. Nur 19 Prozent der Befragten sehen hier noch Defizite – 2014 waren es noch 27 Prozent.

Schwere Bürde für kleine Unternehmen

Dennoch existieren Themen wie Sicherheit, einheitliche Dateiformate oder Übertragungswege bisher meist nur als Tagesordnungspunkte auf Agenden. Die Folge: Es wird nicht investiert, weil die Zukunft noch unklar ist. „Es gibt viele Diskussionen um die Industrie 4.0 und das Internet of Things“, sagt Volker Franke. „Wir haben schnell festgestellt, dass es in den Unternehmen ganz unterschiedliche Wissensstände und Herangehensweisen an das Thema gibt.“

Franke muss es wissen: Der Geschäftsführer der Sondermaschinenbau-Sparte des Steckerverbindungs-Spezialisten Harting kennt nicht nur die Perspektive im eigenen Unternehmen. Als Vorstandssprecher der im April gegründeten Zukunftsallianz Maschinenbau hat Franke viel mit anderen Branchenvertretern und Forschungsinstituten über die Vernetzung diskutiert. Die Allianz versteht sich als Innovationsnetzwerk für das „Nordcluster“ – also alles nördlich des Mains. „Baden-Württemberg und Bayern stehen für die Hälfte des Umsatzes des deutschen Maschinenbaus, wir für die andere“ erklärt Franke die selbst gesetzte Trennlinie. „Die Unternehmen im Süden sind bereits eng vernetzt und tauschen sich viel aus. So etwas wollen wir im Norden auch erreichen.“

Umsatzanteile im Maschinenbau nach Ländern

Wer im Maschinenbau gegen die neuen Wettbewerber aus Asien und den unter anderem dadurch entstandenen Kostendruck bestehen will, darf den digitalen Wandel nicht ignorieren. Das fällt vor allem den kleinen Unternehmen schwer. Also jenen Maschinenbauern mit etwa 20 bis 50 Mitarbeiter, deren Kunden zwar eine vernetzte Produktion erwarten, denen aber zugleich das nötige IT-Fachpersonal für die neuen digitalen Aufgaben fehlt. „Die Zukunftsallianz Maschinenbau will kleine und mittlere Unternehmen fit machen für den globalen Wettbewerb“, sagt Franke.

Wie groß der Bedarf in der Branche für einen solchen Austausch ist, hat die erste Veranstaltung der Zukunftsallianz in Gütersloh am Stammsitz von Miele gezeigt. Das Diskussionsforum war mit 180 Vertreter von Maschinenbauern, Systemlieferanten und Forschungsinstituten komplett ausgebucht.

Das Interesse ist da, die Bedenken allerdings auch: Laut einer im April veröffentlichten Umfrage des IT-Verbands Bitkom unter 400 Unternehmen hielten vier von fünf Betrieben das eigene Unternehmen bei der Umsetzung von Industrie 4.0 für zu zögerlich. Das größte Hindernis waren dabei die Investitionskosten: 72 Prozent der Befragten waren der Auffassung, dass diese Investitionen gegen den Einsatz von Industrie-4.0-Anwendungen in ihrem Unternehmen sprechen. Jeweils 56 Prozent nannten die hohe Komplexität des Themas und den Mangel an ausgebildeten Fachkräften als Hindernis.

Der Wandel macht vor keinem Unternehmen halt

„Wenn man das Ziel der Industrie 4.0 ernsthaft verfolgen möchte, dann ist dies mit Aufwendungen verbunden, die sich nicht unmittelbar wirtschaftlich rechnen lassen, aber langfristig durch systematisierte und automatisierte Abläufe signifikante Kostenvorteile bietet“, sagt Christian Brecher, Geschäftsführender Direktor des Werkzeugmaschinenlabors WZL der RWTH Aachen. „Diese Investition in die Zukunft stellt in den nächsten Jahren eine große Herausforderung für und alle dar.“

Selbst wenn investiert wird: Die Smart Factory ist nicht mit ein paar neuen Maschinen umgesetzt – die Industrie 4.0 verändert nicht nur die Produktion und die Produkte, sondern auch die Unternehmen selbst. Sie wird zu einem zentralen Hebel der künftigen Wertschöpfung und Wettbewerbsfähigkeit.

Mut zum Wandel

Diese Transformation macht vor keinem Unternehmen halt. Das enthält für jeden einzelnen Betrieb große Chancen, aber auch Risiken. Wie schnell innovative Technologien ganze Branchen umwälzen können, haben die Musiklabels und Filmstudios am eigenen Leib erlebt und der Handel steckt gerade mittendrin.

„Anpassungsfähigkeit und Mut zum Wandel werden zukünftig über Erfolge entscheiden“, sagt Miele-Chef Eduard Sailer. Zwar ist der Hausgeräte-Hersteller kein Maschinenbauer, als Abnehmer von Produktionstechnik aber deren Kunde – und damit daran interessiert, dass die Ausrüster auf dem neuesten Stand der Technik bleiben.

Kollege Roboter lässt grüßen
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) schäkert bei der Eröffnung der Hannover Messe in Hannover mit indischen Maskottchen. Schon vor der Eröffnung hat sich Merkel für intensivere Handelsbeziehungen zum diesjährigen Messepartnerland Indien ausgesprochen. „Der Handel zwischen Deutschland und Indien kann noch verbessert werden, obwohl Deutschland schon der größte europäische Handelspartner Indiens ist“, sagte Merkel am Sonntagabend. Quelle: dpa
Merkel eröffnete die Messe am Abend gemeinsam mit dem indischen Ministerpräsidenten Narendra Modi. Dabei mahnte sie zur Wachsamkeit: „Wir müssen in Europa einfach einen Zahn zulegen, genauso wie wir auch in Deutschland einen Zahn zulegen müssen“, sagte sie am Sonntag zur Eröffnung der weltgrößten Industrieschau . „Wir müssen uns jeden Tag ändern“, forderte Merkel mit Blick auf das Zukunftsthema vernetzte Produktion. Auch Modis Land will sich in Hannover als fortschrittliches Technologieland präsentieren. Modi versprach Reformen in seinem Land, um Handel zu erleichtern. „Für uns hat es außerdem höchste Priorität, eine Weltklasse-Infrastruktur zu schaffen“, sagte er. Quelle: dpa
Obwohl beide Länder ihre Beziehungen seit der Öffnung Indiens für Europa durch diverse Reformen ab 1991 intensivieren wollen, hat der bilaterale Handel wegen der Wachstumsschwäche der indischen Wirtschaft zuletzt abgenommen. So schrumpfte das Handelsvolumen in der Saison 2013 -2014 im Vergleich zur Vorperiode um 7,4 Prozent auf 16,1 Milliarden Euro. In der Rangfolge der deutschen Handelspartner steht Indien auf Platz 24, bei Ein- und Ausfuhren auf Platz 25. Umgekehrt steht Deutschland in Indien als Lieferant an 9. Stelle und als Abnehmer indischer Waren an 8. Stelle. In Indien werden vor allem Investitionsgüter nachgefragt, also Maschinen, die etwa ein Drittel am Gesamtexport nach Indien ausmachen, sowie Elektrotechnologie, Metallwaren, Chemie, Automobile. Nun will Indien wieder in di Offensive gehen und selbst als Handelspartner attraktiver werden. Mit seiner Milliardenbevölkerung will in diesem Jahr China als wachstumstärkstes Schwellenland überholen. Quelle: dpa
Nach Dampfmaschine, Fließband und Elektronik soll der Wirtschaft nun die vierte Revolution bevorstehen: die Vernetzung von Produkt, Maschine und Werkzeug in der Industrie 4.0. Quelle: dpa
Doch nur schleppend nimmt die nächste Entwicklungsstufe der Produktion in Deutschland Fahrt auf: Nur etwa die Hälfte der großen Unternehmen und 43 Prozent der Mittelständler messen der Industrie 4.0 eine hohe Bedeutung bei, ergab eine aktuelle Umfrage des Digitalverbands Bitkom. Quelle: dpa
Ein Grund ist laut Bitkom, dass viele Unternehmen die Chancen der Industrie 4.0 unterschätzen. Bei der Hannover Messe sollen ihre Möglichkeiten Gestalt annehmen. Schon zum dritten mal verschreibt sich die Hannover Messe damit demselben Thema, dieses Mal unter dem Titel „Integrated Industries – Join the Network“. Quelle: dpa
Mensch-Maschine-Kooperation ist ein zentrales Thema bei der diesjährigen Ausgabe der Messe. Die nächste Generation Roboter soll nicht mehr hinter Gittern, sondern Seite an Seite mit dem Facharbeiter werken. Ein Beispiel ist das Greifsystem des Herstellers Schunk. Quelle: dpa

Diese Fähigkeiten dürften sich jedoch nicht auf das klassische Geschäft beschränken, so Sailer. „Mehrwertdienste und Services sowie neue, innovative Geschäftsmodelle werden über die Wettbewerbsfähigkeit mittelständischer Unternehmen entscheiden.“ Sein Beispiel: Die seit zwei Jahren erhältliche Waschmaschine mit automatischer Waschmittel-Dosierung kann – wie gerade auf der IFA vorgestellt – künftig auf das Smartphone melden, wenn das Waschmittel zur Neige geht. Die App leitet dann in den Miele-Shop, wo nachbestellt werden kann. So banal es klingt: Für ein produzierendes Unternehmen ist ein Waschmittel-Direktvertrieb via Internet ein neues Geschäftsmodell, das erst erarbeitet und umgesetzt werden muss. Bevor es ein anderer macht, Amazon zum Beispiel.

Für einen Anlagenbauer kann ein neues Geschäftsmodell etwa sein, nicht mehr die Anlage an sich, sondern deren Betriebsleistung zu verkaufen. Womöglich ein Aufzug, der nach zurückgelegten Kilometern abgerechnet wird. Doch um so etwas umsetzen zu können, müssen erst einmal die passenden Produkte her. „Wir müssen den Entwicklungsprozess auf den Kopf stellen, sonst können wir nicht die geforderte Geschwindigkeit und Komplexität liefern“, sagt Zukunftsallianz-Sprecher Franke. „Heute ist in der Produktentwicklung der Software-Entwickler stärker eingebunden als der Mechaniker – früher war das umgekehrt.“

Die Geschwindigkeit, mit der dieser Wandel zur Software geschieht, ist in einigen Ländern deutlich höher. „In den USA ist die Bereitschaft, in Industrie 4.0 zu investieren, viel höher“, sagt Frankes Vorgesetzter Philip Harting. „Die Amerikaner wollen so viel wie möglich mit Software lösen. Wir sehen auch die Vorteile und haben angefangen, das bei uns im Betrieb Stück für Stück umzusetzen.“

Ein Beispiel: In einem Werkteil hat Harting die Produktionssteuerung von einem Papierkarten-basierten System auf eine digitale Steuerung mit Funk-Chips umgestellt. Damit spart das Unternehmen pro Jahr 90.000 Blatt Papier. Der finanzielle Vorteil im Einkauf hierfür mag noch überschaubar klingen.

Wenn aber jedes dieser Blätter während der Produktion drei Minuten bearbeitet werden musste – etwa um den aktuellen Arbeitsschritt einzutragen –, fielen in der Summe unzählige Arbeitsstunden an. Alleine diese Arbeitszeit, die jetzt effektiver eingesetzt werden kann, spart jährlich 140.000 Euro.

Trotz solcher handfester Vorteile spürt Harting auch die Skepsis gegenüber der neuen Technologien: „Wir müssen auch bei unseren Kunden noch viel Überzeugungsarbeit leisten. Die Erfahrungen, die wir mit unseren 4.0-tauglichen Projekten gemacht haben, sind aber durchweg positiv.“

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