Zulassung für Medikamente Krebs und andere Krankheiten lassen sich schneller bekämpfen!

Quelle: imago images

Biontech und Moderna haben es vorgemacht – und in wenigen Monaten Corona-Impfstoffe entwickelt. Warum dauert es dann noch fast zehn Jahre, bis ein neues Krebsmedikament fertig ist? Es geht auch deutlich schneller, sagt der Biochemiker und Pharma-Berater Malte Kremer.

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Es geht also doch. Im Dienst der guten Sache kooperierten Pharmakonzerne und Zulassungsbehörden. Sie tauschten Wissen, Know-how und Daten aus, arbeiteten eng zusammen. Schnell und meist auf dem kurzen Dienstweg. In wenigen Monaten entstanden so Impfstoffe und Medikamente gegen das Corona-Virus.

Auch gegen andere Krankheiten lassen sich schneller Medikamente entwickeln, ist Malte Kremer, Director bei der Beratung Strategy& überzeugt. Neun Jahre dauert die Entwicklung eines neuen Medikaments im Schnitt. „Dabei lässt sich die Dauer der Entwicklung für wichtige Medikamenten-Kandidaten mit großen medizinischem Potenzial auf bis zu drei Jahre reduzieren, wenn Unternehmen und Zulassungsbehörden eng zusammenarbeiten“, ist Kremer überzeugt. „Insgesamt können bei allen Medikamenten durch besseres Management der Kandidaten in der klinischen Entwicklung mehrere Jahre eingespart werden.“

Normalerweise müssen Medikamente während der Entwicklung drei Testphasen durchlaufen. Doch es gibt Ausnahmen: „Für Kandidaten mit großem medizinischen Potential bietet etwa die Zulassung auf Basis von Studiendaten aus Phase 2 die größte Möglichkeit, schneller dem Patienten zur Verfügung gestellt zu werden“, sagt Kremer. Nach Zulassung auf Basis von Phase 2 werden dann oftmals weitere Daten erhoben, um die Wirksamkeit zu beobachten.

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von Jürgen Salz

Künstliche Intelligenz hilft, Zeit zu sparen

Kremer ist auch Co-Autor einer Studie, die in diesen Tagen erscheint und konkret auflistet, was Pharma- und Biotechunternehmen leisten müssen, damit ihre Medikamente schneller zugelassen werden – und früher zum Einsatz kommen. Etwa durch den Einsatz künstlicher Intelligenz: Damit lässt sich der Datenwust, der bei der Erprobung neuer Präparate anfällt, schneller auswerten. So erleichtert die computergesteuerte Analyse etwa die Auswahl möglicher Studienteilnehmer. „Allein der Einsatz künstlicher Intelligenz kann die Studiendauer um zehn bis zwanzig Prozent verkürzen“, so Kremer.

Bei Medikamenten-Kandidaten mit hohem medizinischen Nutzen können die Unternehmen bei den Zulassungsbehörden eine bevorzugte Behandlung erreichen. Bei Medikamenten, die den Status einer „breakthrough therapy“ von der US-Zulassungsbehörde FDA erhalten, verkürzt sich die Studiendauer danach um ungefähr 20 bis 25 Prozent. Eine „Breakthrough Designation“ bedeute, dass das Medikament bei den Behörden eine erhöhte Aufmerksamkeit und Priorität bekommt und die Zulassung schneller erfolgt, erklärt Kremer. Zuletzt hat etwa der deutsche Pharmakonzern Boehringer Ingelheim mehrere der begehrten schnellen Zulassungen erhalten.

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Berater und Biochemiker Kremer nennt zudem konkrete Maßnahmen, wie Unternehmen ihre Organisation verändern können, um mit ihren Medikamenten schneller am Markt zu sein. Zum Beispiel wenig „White Space“: Denn bis ein Medikament auf dem Markt ist, muss es mehrere klinische Studien durchlaufen – zunächst an wenigen, gesunden Patienten, zuletzt in Phase 3 an Hunderten, Tausenden oder manchmal sogar Zehntausenden erkrankten Patienten. Die Auswertung einer Studie dauert dann oft Monate, wenn nicht gar Jahre – bis dahin verzögert sich der Start der nächsten Testphase. Forscher sprechen vom „White Space“ zwischen den Studienphasen. Dieser Zeitraum lässt sich dabei beispielsweise durch schnellere Auswertungen und strukturierte Prozesse bis zum Start der Folgestudie und entsprechende Szenarioplanung verkürzen.

Pharmakonzerne müssen mehr riskieren

Bei ihren Entscheidungen können Unternehmen außerdem mehr ins Risiko gehen und intern klare Prioritäten setzen. Oft wird etwa ein neues Krebsmittel initial nur auf eine einzige Indikation getestet – etwa auf nicht-kleinzelligen Lungenkrebs. Kremer rät dazu, die Indikations-Palette zu erweitern – also gleichzeitig zum Beispiel auch auf Blasen-, Magen- oder Darmkrebs zu prüfen: „Natürlich bedeutet das höhere Kosten und ein größeres Risiko. Aber bei Medikamenten mit hohem medizinischen Nutzen und Umsatzpotential lohnt es sich für Unternehmen oft, dieses Risiko einzugehen.“

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Außerdem rät er zu besseren sogenannten Asset Teams. Bei den meisten Pharmaunternehmen sind heutzutage solche Teams für einzelne Medikamente in der klinischen Entwicklung zuständig. Hinreichend effizient zu arbeiten und eigene Entscheidungen zu treffen, ist den Gruppen jedoch häufig nicht möglich. Kremer: „Die Teams sind meistens nicht agil genug, sie brauchen Autonomie und Budgetfreiheit, um schnelle Entscheidungen zu treffen. Zudem ist es oft eine Herausforderung, die richtigen Leute und Fähigkeiten in diesen Teams zusammenzubringen – insbesondere in der Rolle des ‚Asset Leads‘. Dabei müssen die Teams sowohl tiefe wissenschaftliche Expertise mitbringen als auch das große Ganze im Blick haben – und sowohl die bisherigen Therapiemöglichkeiten im Blick haben als auch die zukünftigen Patienten und ihre Bedürfnisse.

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Noch scheinen die Möglichkeiten, die Medikamenten-Entwicklung zu beschleunigen, allerdings nicht bei allen Unternehmen angekommen zu sein. Zwar drängen insbesondere Biotechunternehmen in den USA darauf, eine begehrte „Breakthrough Designation“ zu erhalten. Doch insgesamt sind die Reaktionen eher zurückhaltend. Studienautor Kremer dämpft ebenfalls die Erwartungen: „Bis eine signifikante Beschleunigung in der Breite sichtbar wird, dauert es noch einige Jahre“, erklärt er.

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