Zulieferer brauchen starke Nerven Der Aufschwung der Luftfahrt bröckelt – schon wieder

Der Flugzeugbauer Airbus fährt seine Produktion zwar wieder hoch – aber langsamer als geplant. Quelle: ddp images

Sie waren optimistisch, dann stutzte eine Entscheidung von Airbus ihnen die Flügel: Zulieferer in der Luftfahrtbranche stehen wieder mit dem Rücken zur Wand. Doch gleich mehrere Beispiele zeigen auch Chancen auf.

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Wer mit Uwe Fresenborg einen Termin hat, erwartet dieser Tage eigentlich einen von der Coronakrise gebeugten Manager. Der 56-Jährige leitet mit der Deharde GmbH aus dem friesischen Varel seit Ende 2019 ein Unternehmen, das sich im Internet und in den Geschäftsberichten klar als Zulieferer der Luftfahrtindustrie präsentiert. Und die leidet wegen der vielen Reiseverbote wie kaum eine zweite Branche unter der Pandemie. Tatsächlich aber präsentiert sich der Manager mit dem Büro im alten Hafen der Küstenstadt entspannt. „Wir hatten 2020 sogar bessere Zahlen als vor Corona geplant“, sagt er. Auf die Frage, warum er trotz der vielen anstrengenden Monate optimistisch ist, scherzt er: „Ich bin in der Branche ein Fossil. Und Fossilien sind extrem belastbar.“

Manager mit starken Nerven können derzeit alle Luftfahrtunternehmen brauchen. Die Nachfrage nach neuen Flugzeugen ist nach 30 Jahren des Aufschwungs erstmals deutlich rückläufig. Weil der Luftverkehr wegen der vielen Reisebeschränkungen und der Angst vor Ansteckung mit dem Coronavirus weltweit stark gesunken ist, wollen derzeit fast alle Fluglinien neue Maschinen später oder sogar gar nicht mehr haben. Darum hat Airbus die Produktion deutlich gekürzt. Das war in früheren Rezessionen anders. „Selbst als in der Finanzkrise nach 2008 die Konjunktur weltweit einbrach, haben wir noch zugelegt“, sagt Mark Hiller, geschäftsführender Gesellschafter beim Sitzhersteller Recaro aus Schwäbisch-Hall, einem der größten deutschen Zulieferer.

Das Minus könnte noch eine ganze Weile anhalten. Das zeigt zum Beispiel eine Entscheidung, die Airbus am Donnerstag verkündete: Der weltgrößte Flugzeugbauer will die Produktion neuer Flugzeuge deutlich langsamer hochfahren als geplant. Statt ab Juli wieder fast 60 Maschinen pro Monat zu produzieren, sind es nun vorerst nur rund 50. „Die Krise ist noch lange nicht überwunden“, warnt der Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt. Er fürchtet, dass noch viele Zuliefererfirmen in Not geraten und – wie zuletzt der Sitzhersteller ZIM aus Marktdorf oder E.I.S. Aircraft aus Euskirchen – in die Insolvenz rutschen könnten. „Die Grundlagen für einen Aufschwung der Branche sind mehr als brüchig“, so Großbongardt.

Der Pessimismus des Experten passt auf den ersten Blick nicht so recht zur Stimmung in der Luftfahrtindustrie. Die ist längst wieder besser als noch im vergangenen Frühjahr. Laut einer Umfrage der Münchner Unternehmensberatung H&Z für den Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI) empfindet die Mehrheit der fast 200 befragten Unternehmen die Aussicht mittlerweile als weniger bedrohlich. Auch wenn sich nach zehn Monaten Krise für 60 Prozent der fast 200 befragten Unternehmen die Lage verschlechtert hat, halten nur noch 20 Prozent die Auswirkungen für existenzbedrohend. Und wo im Mai noch vier von fünf Befragten fürchteten, ihnen könnten die liquiden Mittel ausgehen, erwarten jetzt nur noch 23 Prozent einen gefährlichen Engpass in der Firmenkasse.

Wer den Unterschied in der Wahrnehmung verstehen will, muss sich die Gründe für die bessere Stimmung genauer ansehen. Michael Santo, dessen Beratung H & Z die Studie erstellt hat, sieht vor allem drei Ursachen. Die Unternehmen haben restrukturiert, öffentliche Hilfen wie Kurzarbeit genutzt und können dank der von Airbus zugesagten höheren Produktionszahlen auf bessere Geschäfte hoffen.

Doch ein Blick hinter die Zahlen zeigt, dass zwei der drei Säulen brüchig sind.



Da ist zum einen die Produktion bei Airbus. „Das war mit der größte Ansporn für die gute Stimmung“, so ein Manager eines Zulieferers. Bisher wollte der Konzern die Produktion ab Juli von 44 Kurzstreckenflugzeuge im Monat auf mindestens 52 ausbauen. Bei den Langstrecken-Maschinen sollte die Zahl bald von derzeit nur sieben Maschinen um zwei oder drei steigen. Damit hätten bei kleineren Jets jeden Monat wieder 90 Prozent der im Rekordjahr 2019 ausgelieferten Maschinen die Hallen verlassen. Bei den Großraum-Modellen wäre es gut die Hälfte gewesen.

Daraus wird zunächst nichts. Und selbst die zusammengestrichenen Zielwerte halten viele für optimistisch. „Angesichts der stark gestiegenen Schulden der Branche können sich derzeit nur sehr wenige Gesellschaften neue Jets leisten“, sagt Jamie Baker, Analyst bei der US-Großbank JPMorgan Chase. Dazu halten viele die Grundlage der Wachstumsprognosen von Airbus für unsicher. Der Konzern geht davon aus, dass der Flugverkehr spätestens 2025 wieder so groß ist wie vor der Krise. „Doch das wirkt angesichts der aktuell wieder strengeren Reisebestimmungen und der noch auf Jahre schwächeren Konjunktur gerade in den bisherigen Boomländern des Luftverkehrs vorsichtig ausgedrückt optimistisch“, sagt Experte Großbongardt.

„Der Markt ist brutalst eingebrochen“

Unsicher ist derzeit auch die zweite Stütze der Branche: die staatliche Unterstützung. Drei Viertel der befragten Zulieferer nutzen Kurzarbeit und immerhin noch rund 20 Prozent der Firmen andere Mittel wie die Stundung von Zahlungen an das Finanzamt oder die Sozialversicherungen oder Corona-Liquiditätshilfen. „Das haben wir früh beantragt und das Verfahren lief unkompliziert“, sagt Dr. Christian Howe von der Heggemann AG aus dem ostwestfälischen Büren.

Das war für viele Firmen entscheidend und sorgte dafür, dass es im Verhältnis im Schnitt nicht mehr Insolvenzen gab als in anderen Branchen, so Berater Santo. „Besonders die großzügigen Kurzarbeitsregeln haben den Kern der Überlebensfähigkeit gesichert und den Unternehmen Zeit gegeben, sich anzupassen“, so der Experte.

Doch wie lange die bisher auf zwei Jahre befristeten Hilfen bleiben, ist unsicher. „Wenn im kommenden Jahr die Wahlen vorbei sind und die Konjunktur anzieht, dürften die Programme angesichts der hohen Staatsverschuldung zumindest gekürzt, wenn nicht gar ganz gestoppt werden“, fürchtet ein führender Manager der Branche. Das würde die Betriebe entscheidend treffen, glaubt Berater Santo. „Die Hilfen haben der Branche eine Brücke von zwei Jahren gebaut. Doch weil die Krise und die Umsatzrückgänge mindestens vier Jahre dauern, braucht es auch Maßnahmen für die zweite Hälfte des Übergangs“, so Santo.

Darum wird es umso wichtiger, dass die Luftfahrtzulieferer weiter umbauen, wie es Heggemann getan hat. In deren Zentrale direkt am Vorfeld des Flughafens Paderborn-Lippstadt sorgte Corona für spürbare Verwerfungen. „Wir haben im April unsere erste Krisenplanung mit nur 20 Prozent Minus über den Haufen geworfen und dann auf Basis detaillierter Markt- und Kundenanalysen eine Worst-Case-Planung mit minus 40 Prozent aufgebaut, die dann ziemlich genau so eingetroffen ist“, so der 46-Jährige. Ob Teile für den Triebwerkshersteller MTU oder den Sitzhersteller Recaro, fast alle Kunden brauchten über Nacht weniger Lieferungen, nicht zuletzt, weil ihre Lager angesichts der eingebrochenen Produktionszahlen noch gut gefüllt waren. Ein weiteres Risiko bestand darin, dass die von Heggemann belieferten Kunden dauerhaft Aufträge reduzieren oder stornieren, um diese Teile selbst herzustellen und ihre eigene Fertigung besser auszulasten.

Weil die Heggemann AG bereits 2017 die Abläufe verschlankt hatte und die Produktion in großem Maß digital steuerte, konnte sie die Produktion ohne großen Mehraufwand herunterfahren. Dank der Digitalisierung konnten die Manager auch leichter ihre freie Kapazität anderweitig nutzen. Dazu zählen Arbeiten, die Unternehmen vor der Krise aus Kostengründen anderen Firmen oder ihren Lieferanten überlassen hatten. Zudem suchten Howe und sein Team nach neuen Geschäftsfeldern, in denen sie das Heggemann-Wissen beim Entwickeln oder der extrem präzisen Herstellung hochtemperaturbeständiger Teile nutzen konnten. Fündig wurden sie etwa im Bereich Energietechnik. Heggemann ist damit kein Einzelfall: Den Weg in neue Felder sind laut der Umfrage bereits fast 40 Prozent der Unternehmen gegangen. Weitere 40 Prozent planen dies.

Was eine breitere Aufstellung bringt, zeigt der Zulieferer Deharde. Auch wenn das Unternehmen aus Friesland im vergangenen Jahr seinen geplanten Umsatz von knapp 40 Millionen Euro Umsatz mehr als erreicht hat, litt es unter Corona. Der prominenteste Teil des 1909 gegründeten Unternehmens ist der Bau von Anlagen für die Produktion von Flugzeugteilen. Der sollte im Branchenboom eigentlich zulegen. Doch weil Airbus die Herstellung herunterfuhr, brauchen weder der Luftfahrtriese selbst noch seine Zulieferer im großen Stil neue Fertigungsstationen. „Der Markt ist brutalst eingebrochen“, so Fresenborg. Ähnlich läuft es bei den Frästeilen.

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Doch zu ihrem Glück macht die Arbeit für Passagierjets bei den Friesen derzeit nur 20 Prozent des Umsatzes aus. So fertigt das Unternehmen Teile für das Beluga genannte Flugzeug, mit dem Airbus große Teile zwischen den Standorten Europa befördert, und den Militärtransporter A400M. Dazu nutzt das Unternehmen die in der Luftfahrt zentrale Fähigkeit für hochpräzise Arbeiten in zwei anderen Feldern. Sie bauen Modelle, mit denen Unternehmen neue Designs im Windkanal testen können. Eine ähnliche Idee steht hinter dem vierten Geschäftsfeld: dem Bau von Prototypen etwa für die Autoindustrie, Rüstungsunternehmen oder Hersteller von Zügen. „Beides läuft besser als erwartet“, so Fresenborg.

Darum will er den Bereich ausbauen zum Nothelfer für andere Luftfahrthersteller. „Weil viele Zulieferer die Produktion runterfahren, geraten in vielen Fällen die Lieferketten unter Druck und wichtige Teile können fehlen“, so der Manager. Hier ist Deharde bereits mehrfach in die Lücke gesprungen.

Wie viele Firmen sich mit einem Umbau und dem Fokus auf andere Branchen retten können, ist jedoch alles andere als sicher. „Klar ist: Aus eigener Kraft, hätten es die wenigsten geschafft“, so Berater Santo.

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