Zulieferer brauchen starke Nerven Der Aufschwung der Luftfahrt bröckelt – schon wieder

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„Der Markt ist brutalst eingebrochen“

Unsicher ist derzeit auch die zweite Stütze der Branche: die staatliche Unterstützung. Drei Viertel der befragten Zulieferer nutzen Kurzarbeit und immerhin noch rund 20 Prozent der Firmen andere Mittel wie die Stundung von Zahlungen an das Finanzamt oder die Sozialversicherungen oder Corona-Liquiditätshilfen. „Das haben wir früh beantragt und das Verfahren lief unkompliziert“, sagt Dr. Christian Howe von der Heggemann AG aus dem ostwestfälischen Büren.

Das war für viele Firmen entscheidend und sorgte dafür, dass es im Verhältnis im Schnitt nicht mehr Insolvenzen gab als in anderen Branchen, so Berater Santo. „Besonders die großzügigen Kurzarbeitsregeln haben den Kern der Überlebensfähigkeit gesichert und den Unternehmen Zeit gegeben, sich anzupassen“, so der Experte.

Doch wie lange die bisher auf zwei Jahre befristeten Hilfen bleiben, ist unsicher. „Wenn im kommenden Jahr die Wahlen vorbei sind und die Konjunktur anzieht, dürften die Programme angesichts der hohen Staatsverschuldung zumindest gekürzt, wenn nicht gar ganz gestoppt werden“, fürchtet ein führender Manager der Branche. Das würde die Betriebe entscheidend treffen, glaubt Berater Santo. „Die Hilfen haben der Branche eine Brücke von zwei Jahren gebaut. Doch weil die Krise und die Umsatzrückgänge mindestens vier Jahre dauern, braucht es auch Maßnahmen für die zweite Hälfte des Übergangs“, so Santo.

Darum wird es umso wichtiger, dass die Luftfahrtzulieferer weiter umbauen, wie es Heggemann getan hat. In deren Zentrale direkt am Vorfeld des Flughafens Paderborn-Lippstadt sorgte Corona für spürbare Verwerfungen. „Wir haben im April unsere erste Krisenplanung mit nur 20 Prozent Minus über den Haufen geworfen und dann auf Basis detaillierter Markt- und Kundenanalysen eine Worst-Case-Planung mit minus 40 Prozent aufgebaut, die dann ziemlich genau so eingetroffen ist“, so der 46-Jährige. Ob Teile für den Triebwerkshersteller MTU oder den Sitzhersteller Recaro, fast alle Kunden brauchten über Nacht weniger Lieferungen, nicht zuletzt, weil ihre Lager angesichts der eingebrochenen Produktionszahlen noch gut gefüllt waren. Ein weiteres Risiko bestand darin, dass die von Heggemann belieferten Kunden dauerhaft Aufträge reduzieren oder stornieren, um diese Teile selbst herzustellen und ihre eigene Fertigung besser auszulasten.

Weil die Heggemann AG bereits 2017 die Abläufe verschlankt hatte und die Produktion in großem Maß digital steuerte, konnte sie die Produktion ohne großen Mehraufwand herunterfahren. Dank der Digitalisierung konnten die Manager auch leichter ihre freie Kapazität anderweitig nutzen. Dazu zählen Arbeiten, die Unternehmen vor der Krise aus Kostengründen anderen Firmen oder ihren Lieferanten überlassen hatten. Zudem suchten Howe und sein Team nach neuen Geschäftsfeldern, in denen sie das Heggemann-Wissen beim Entwickeln oder der extrem präzisen Herstellung hochtemperaturbeständiger Teile nutzen konnten. Fündig wurden sie etwa im Bereich Energietechnik. Heggemann ist damit kein Einzelfall: Den Weg in neue Felder sind laut der Umfrage bereits fast 40 Prozent der Unternehmen gegangen. Weitere 40 Prozent planen dies.

Was eine breitere Aufstellung bringt, zeigt der Zulieferer Deharde. Auch wenn das Unternehmen aus Friesland im vergangenen Jahr seinen geplanten Umsatz von knapp 40 Millionen Euro Umsatz mehr als erreicht hat, litt es unter Corona. Der prominenteste Teil des 1909 gegründeten Unternehmens ist der Bau von Anlagen für die Produktion von Flugzeugteilen. Der sollte im Branchenboom eigentlich zulegen. Doch weil Airbus die Herstellung herunterfuhr, brauchen weder der Luftfahrtriese selbst noch seine Zulieferer im großen Stil neue Fertigungsstationen. „Der Markt ist brutalst eingebrochen“, so Fresenborg. Ähnlich läuft es bei den Frästeilen.

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Doch zu ihrem Glück macht die Arbeit für Passagierjets bei den Friesen derzeit nur 20 Prozent des Umsatzes aus. So fertigt das Unternehmen Teile für das Beluga genannte Flugzeug, mit dem Airbus große Teile zwischen den Standorten Europa befördert, und den Militärtransporter A400M. Dazu nutzt das Unternehmen die in der Luftfahrt zentrale Fähigkeit für hochpräzise Arbeiten in zwei anderen Feldern. Sie bauen Modelle, mit denen Unternehmen neue Designs im Windkanal testen können. Eine ähnliche Idee steht hinter dem vierten Geschäftsfeld: dem Bau von Prototypen etwa für die Autoindustrie, Rüstungsunternehmen oder Hersteller von Zügen. „Beides läuft besser als erwartet“, so Fresenborg.

Darum will er den Bereich ausbauen zum Nothelfer für andere Luftfahrthersteller. „Weil viele Zulieferer die Produktion runterfahren, geraten in vielen Fällen die Lieferketten unter Druck und wichtige Teile können fehlen“, so der Manager. Hier ist Deharde bereits mehrfach in die Lücke gesprungen.

Wie viele Firmen sich mit einem Umbau und dem Fokus auf andere Branchen retten können, ist jedoch alles andere als sicher. „Klar ist: Aus eigener Kraft, hätten es die wenigsten geschafft“, so Berater Santo.

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