Zulieferer Kiekert will das Auto-Türschloss neu erfinden

Vor über 40 Jahren erfand Kiekert die Zentralverriegelung. Nun will der Autozulieferer das Türschloss ein weiteres Mal revolutionieren: Das E-Schloss soll den Einstieg ins Auto erleichtern – und in Zukunft Leben retten.

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Die Zentrale des Autozulieferers in Heiligenhaus. Quelle: dpa

Heiligenhaus Es war ein Meilenstein: 1974 erfand die Firma Kiekert die Zentralverrieglung fürs Auto. Die ist aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Lange her sind die Zeiten, in denen noch alle Türen einzeln abgeschlossen werden mussten. Mit seiner neusten Innovation, dem E-Schloss, könnte der Mittelständler aus Heiligenhaus bei Düsseldorf die Autobranche abermals revolutionieren.

Mit dem E-Schloss wird der Griff an der Autotür praktisch zum Schalter. Er muss nur noch einige wenige Millimeter herausgezogen werden. „Das ist ganz leicht“, verspricht Thorsten Nottebaum, Entwicklungschef bei Kiekert. „Das E-Schloss kann sogar mit dem kleinen Finger aufgemacht werden.“ Das ist besonders praktisch, wenn der Autofahrer gerade alle Hände voll hat. Durch die elektronische Bedienung ist auch nicht mehr das typische Klick-Geräusch beim Öffnen der Tür zu hören, das bislang durch die Mechanik verursacht wird.

Das E-Schloss ist keine Zukunftsmusik. Im Gegenteil: Es kommt noch dieses Jahr auf den Markt – auch hierzulande. Welcher Autohersteller das Schloss anbietet, darf der Zulieferer aus vertraglichen Gründen noch nicht verraten. Es werde aber, so Nottebaum, „in signifikanter Stückzahl“ auf den Markt kommen. Klar ist, dass das E-Schloss zunächst nur in Premiumfahrzeugen eingebaut wird. Eine Parallele zur Zentralverriegelung: Die kam damals zunächst auch nur in hochwertigen Autos zum Einsatz. Heute ist sie in allen Wagen Standard. Geht es nach Kiekert, soll das mit dem E-Schloss bald auch so sein.

Kiekert, der weltgrößte Hersteller von automobilen Schließsystemen, hat auch schon die nächste Evolutionsstufe des E-Schlosses geplant: Demnächst soll sich die Tür sogar öffnen, ohne dass man an ihr ziehen muss. Dazu ist am Auto ein Sensor angebracht, mit dem sich der Fahrer etwa per Fingerabdruck identifizieren kann. So weiß das Auto auch, wer gerade mit ihm fährt – persönliche Begrüßung durch den Bordcomputer inklusive. In der Variante, die dieses Jahr auf den Markt kommt, erkennt das Fahrzeug am Autoschlüssel oder am Handy in der Hosentasche, ob da wirklich der Eigentümer einsteigen will oder doch ein potenzieller Dieb. Der kommt, wie bislang, ohne Schlüssel aber nicht ins Auto.

Der eigentliche Griff bleibt vorerst an der Autotür befestigt – auch aus Sicherheitsgründen. Kommt es nach einem Umfall zu einem Stromausfall im Auto, kommen Rettungskräfte auch weiterhin in den Wagen, ohne die Scheibe einschlagen zu müssen: Das E-Schloss verfügt entweder über eine mechanische Redundanz oder aber über eine Ersatzbatterie.

Wie sicher das E-Schloss ist, können Experten erst nach der Markteinführung fundiert beantworten. Die derzeit verbreiteten Funkschlüssel sind einem Test des ADAC zufolge aber nicht besonders sicher. Die Funkschlüssel lassen sich schon mit einfachen Mitteln, etwa mit einer selbstgebauten Funk-Verlängerung, manipulieren. Die Sicherheitslücke sei auch bei den großen Autoherstellern zu finden.

„Wir sind davon überzeugt, dass sich der Trend zum autonomen Fahren fortsetzt“, sagt Karl Krause, Vorstandsvorsitzender von Kiekert. „Nicht nur das Autofahren wird autonom, auch die Art und Weise des Einstiegs.“ Das E-Schloss ist für den Mittelständler der erste Schritt zu einer autonomen Tür. Die zweite Innovation: Ein modernes Sensorsystem, welches das Umfeld der Tür erkennt und so das Öffnen und Schließen derselben intelligent kontrolliert.

Die Idee der intelligenten Autotür: Ist in der Nähe ein Hindernis, sorgt ein Bremssystem dafür, dass der Fahrer die Tür nicht weiter öffnen kann. Das Anschlagen der Autotür an das Fahrzeug auf dem Parkplatz neben etwa soll der Vergangenheit angehören. Und damit auch die kostspieligen Reparaturen der so verursachten Kratzer und Dellen.

Das ist nicht nur komfortabel. Die intelligente Tür sorgt auch für mehr Sicherheit im Straßenverkehr, da sie auch dynamische Hindernisse wie ein Fahrrad, erkennen soll. Kommt es bislang zu teils schweren Verletzungen, kann der unachtsame Autofahrer die intelligente Tür erst gar nicht aufmachen, wenn von hinten ein Fahrrad oder Auto angefahren kommt. Diese Technologie wird von Kiekert gerade noch getestet. Sie soll in drei bis vier Jahren serienreif sein.

Für mehr Komfort soll zudem ein automatisches Öffnungssystem sorgen. Ein Tastendruck soll reichen, damit die Autotür aufgeht. Bislang kennt man das nur vom Öffnen und Schließen der Heckklappe. Diese Idee, den automatischen Anschlagschutz und das E-Schloss will Kiekert unter dem Namen „autonome Tür“ rausbringen. Und damit Geld verdienen. Für das laufende Jahr erwartet die Kiekert AG, die in elf Ländern 6500 Mitarbeiter beschäftigt, einen Umsatz von 880 Millionen Euro und damit ungefähr so viel wie im vergangenen Jahr.

Kiekert ist ein wichtiger Zulieferer für die Automobilbranche. Und zwar nicht nur in Deutschland: Nach Firmenangaben sind in über 60 Automarken die Schließsysteme der Firma zu finden. Zum möglichen Kartell der großen deutschen Autohersteller äußerte sich das Unternehmen auf Anfrage aber nur verhalten. „Das es ein laufendes Verfahren ist, möchten wir keine Stellung beziehen“, so Kiekert-Chef Krause.

Die Firma aus Heiligenhaus feiert in diesem Jahr ihr 160-jähriges Bestehen. Weltweit hat, so teilt das Unternehmen mit, jedes dritte Fahrzeug ein Schließsystem, das auf dem Kiekert-Design basiert. Die Firma geriet zuletzt während der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise in Turbulenzen. Die Insolvenz wurde verhindert, als ein chinesisches Unternehmen den deutschen Mittelständler 2012 übernahm. Seitdem wächst die Firma nach eigenen Angaben stärker als andere Autozulieferer.

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