Infineon Vom Pleitekandidaten zum Dax-Rückkehrer

Vom Pleitekandidaten zum Dax-Rückkehrer: Das Blitzcomeback des Chipherstellers Infineon ist eine der Überraschungen des Jahres. Wie die Wende gelang und wie es jetzt weitergeht.

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Dass Höhen und Tiefen im Leben oft nah beieinander liegen, weiß wohl kaum jemand so genau wie Peter Bauer. Am 3. Dezember 2008 gibt der noch ziemlich frische Chef des Halbleiterherstellers Infineon einen Verlust bekannt, der mal eben doppelt so hoch ist wie allgemein erwartet. Binnen Stunden stürzt der Kurs der Aktie als erster Dax-Wert überhaupt unter einen Euro. Infineon fliegt aus dem Index. Der Chiphersteller, so die Befürchtung vieler Investoren, ist ein sicherer Pleitekandidat.

Doch inmitten der Wirtschaftskrise hat sich das Blatt überraschend schnell gewendet: In der bisher bedrohlichsten der zahlreichen Unternehmenskrisen hat das Management mit Banken, Investoren und dem Staat verhandelt, die Kosten gedrückt und sich letztlich durch den Umbau seiner Finanzen wieder auf die Füße gestellt. Prompt hat sich der Aktienkurs verzehnfacht, an diesem Montag kehrt die Aktie in die Eliteliga der Börse zurück. Doch das operative Geschäft bleibt schwierig. „Wir können mit der aktuellen Lage noch nicht zufrieden sein“, sagt Vorstandschef Bauer.

Auf dem absteigenden Ast

Im Vergleich zum Dezember 2008 sieht die Lage heute allerdings geradezu rosig aus. Damals werden Bauer und sein Finanzchef Marco Schröter auf einer Investorenkonferenz in London mit Fragen bombardiert. Sorgen machen vor allem Anleihen in Höhe von 700 Millionen Euro, die im Sommer 2010 auslaufen. Insgesamt muss Infineon bis Ende 2010 bis zu einer Milliarde Euro auftreiben.

Eine baldige Pleite scheint realistisch, in den kommenden Monaten geht es immer weiter bergab. Die Mehrheitsbeteiligung Qimonda geht in die Insolvenz, das Management prüft Staatshilfen, die Aktie fällt erst aus dem Dax und im März dann auf 39 Cent. Infineon ist an der Börse nur noch ein Fünftel des Betrages wert, mit dem allein Vermögensgegenstände wie Fabriken in den Büchern stehen.

Handlungsoptionen mit Haken

„Der Markt ging davon aus, dass das Konkursrisiko bei mindestens 50 Prozent lag“, sagt Roland Sand, Managing Director bei der Credit Suisse, die im Auftrag von Infineon eine Lösung suchen sollte. Es gibt nicht viel, was für Infineon spricht: Der Technologiekonzern hat noch rund 700 Millionen Euro in der Kasse und außerdem schon im Juni 2008 ein umfassendes Sparprogramm gestartet.

Zwar gibt es Handlungsoptionen, doch alle sind mit Haken versehen: Wer kauft eine Geschäftssparte und zahlt einen angemessenen Preis? Hat ein Antrag auf Staatshilfe Aussicht auf Erfolg, und verbaut man sich damit andere Lösungen? Eine Kapitalerhöhung scheint unmöglich, weil der Kurs der Aktie deutlich unter dem Nennwert von zwei Euro liegt. Doch unterhalb des Nennwertes darf eine AG keine neuen Aktien ausgeben.

Infineon- Aktienverlauf im Vergleich zum Dax (zur Vollansicht bitte auf die Grafik klicken)

Der erste Schritt des Managements: „Die Investoren haben gefordert, dass wir unsere Schulden zurückkaufen“, sagt Schröter. Also beginnt Infineon, eigene Anleihen, die für 50 bis 65 Cent je Euro gehandelt werden, am Markt einzusammeln. In Verbindung mit einer anziehenden Konjunktur zeigt dies im März Wirkung. „Investoren haben das als mutiges Signal gewertet, das Vertrauen geschaffen hat“, sagt Schröter. Als Schröter Anfang Mai allen Anleihegläubigern anbietet, die Papiere für 75 Cent je Euro zurückzukaufen, erreicht die Aktie wieder den wichtigen Kurs von zwei Euro.

Mit dem Erreichen der Zwei-Euro-Marke beginnt Schritt zwei. Infineon bietet eine neue Wandelanleihe über 196 Millionen Euro an. Obwohl Investoren die Anleihe als unsichere Investition (sub investment grade) einschätzen, ist das Papier am Ende sogar überzeichnet. Im Juli dann schaffen Bauer und Schröter noch einmal frisches Geld in die Kasse, indem sie den Bereich Festnetzkommunikation für 250 Millionen Euro an den Finanzinvestor Golden Gate Capital verkauften.

Juristischer Kniff bringt die Lösung

Der letzte Streich steht noch aus: eine Kapitalerhöhung über 700 Millionen Euro. Hier holen Schröter und Bauer den Finanzinvestor Apollo ins Boot. Die Amerikaner wollen bis zu 29,9 Prozent. Doch das kann Infineon nicht garantieren.

„Nachdem Infineon die Option einer Wandelschuldverschreibung mit Ausschluss des Bezugsrechts für die Aktionäre gezogen hatte, war es juristisch nicht mehr erlaubt, die Altaktionäre noch einmal von ihren Bezugsrechten auszuschließen“, sagt Hans-Jürgen Lütt, Partner bei der Kanzlei Latham & Watkins, die Apollo beraten hat. Das Bezugsrecht räumt Altaktionären bei einer Kapitalerhöhung den Anspruch ein, so viele neue Aktien zu erwerben, dass ihr Anteil am Unternehmen nicht verwässert wird.

Psychologischer Trick

Die Lösung bringt ein juristischer Kniff. Apollo verhandelt eine Klausel in den Vertrag, die es dem Investor erlaubt, aus dem Deal auszusteigen, wenn er nach der Kapitalerhöhung weniger als 15 Prozent der Aktien erhalten würde. Bauer und Schröter müssen damit rechnen, im ungünstigsten Fall nur 360 statt der erhofften 700 Millionen Euro zu erlösen.

Infineon-Geschäftsfelder (zur Vollansicht bitte auf die Grafik klicken)

Dass es am Ende gelingt, fast die gesamte Kapitalerhöhung bei den Altaktionären einzusammeln, verdankt Infineon auch der Psychologie. „Dass ein namhafter Investor so einen großen Scheck schreibt, hat der Markt als Signal gewertet, dass sich der Einstieg lohnt“, sagt Credit-Suisse-Banker Sand.

Für Apollo hat sich das Geschäft nur bedingt gelohnt. Zwar streicht der Investor für die Zusage für den Erwerb des Aktienpakets eine Provision von 21 Millionen Euro ein, erhält am Ende aber nur drei Prozent der neuen Aktien. Da die Aktien kräftig gestiegen sind, entging Apollo ein dreistelliger Millionengewinn.

Umsatz und Gewinn von Infineon (zur Vollansicht bitte auf die Grafik klicken)

Finanziell gestärkt muss Bauer nun die Probleme im Tagesgeschäft angehen. Seit seinem Amtsantritt hat Infineon rund 3000 Jobs abgebaut – jeden zehnten Mitarbeiter. Die laufenden Kosten sind so um 600 Millionen Euro gesunken.

Derzeit profitiert das Unternehmen von der anziehenden Konjunktur: „Weil fast alle Automobil- und Industriekunden ihre Lager in der Krise leer geräumt haben, steigt jetzt die Nachfrage rasch“, sagt Jürgen Wagner, Analyst bei Sal. Oppenheim. So schrieb im dritten Quartal des Geschäftsjahrs (zum 31. Juli) nur noch die Autosparte rote Zahlen. 

Offene Frage

Doch die Frage, wie wettbewerbsfähig Infineon als integrierter Halbleiterkonzern ist, bleibt offen. Denn im Grunde hat das Unternehmen zwei Gesichter: Einerseits produziert Infineon Leistungshalbleiter. Das sind Chips, die für hohe Spannungen und Ströme konzipiert sind und in Industrieanlagen und Automobilen eingesetzt werden. Damit erzielt Infineon rund zwei Drittel seines Umsatzes.

Auf der anderen Seite stehen Mobilfunkchips: Infineon hat sich vor allem auf günstige Chips für Einsteigerhandys sowie hochwertige Bauteile für Smart-phones spezialisiert. Zu den Kunden zählt Apple mit seinem Mega-Erfolg iPhone.

Beide Segmente haben unterschiedliche Technologiesprünge und Entwicklungszyklen. Gibt es in der Autoindustrie mehrere Jahre Vorlauf, muss Infineon bei den Handys alle paar Monate Neuerungen auf den Markt werfen. Bei den Leistungshalbleitern kommt es auf Zuverlässigkeit an, im Mobilfunk auf starke Verkleinerung. Um nicht in neue Werke investieren zu müssen, lässt der Konzern diese Bauteile weitgehend in Asien herstellen. Bei Auto- und Industriechips gibt es hingegen keine Fremdhersteller.

Marktanteile von Infineon im weltweiten Halbleiter-Geschäft (zur Vollansicht bitte auf die Grafik klicken)

Das erinnert an die Lage bei Infineon vor sechs, sieben Jahren. Damals kamen Forderungen nach einer Trennung des Geschäfts mit Logik- und Speicherchips auf, weil beide Bereiche nur wenig Synergien aufwiesen. Infineon spaltete sein Speichergeschäft ab – aber erst 2006, wassich als viel zu spät erwies: Mit der Pleite von Qimonda gingen weltweit mehr als 10 000 Arbeitsplätze verloren.

Glaubt man Analysten, müsste sich nun der Logikbereich erneut aufspalten. „Zwar läuft das Handygeschäft gut“, sagt Sal.-Oppenheim-Analyst Wagner. „Aber der Abstand zu den Wettbewerbern ist gewachsen.“ So haben im April 2008 die europäischen Chipkonzerne ST Microelec-tronics und NXP ihr Handygeschäft zusammengelegt, Ericsson stieß dazu.

Valides Geschäftsmodell

Gemeinsam kommt ST Ericsson auf rund 3,6 Milliarden Dollar Umsatz und rangiert hinter Qualcomm und Texas Instruments weltweit auf Platz drei. Durch die Größe lassen sich Ausgaben für Entwicklung gemeinsam schultern – viel schwieriger bei Infineon, das nur auf rund ein Drittel des Umsatzes kommt. „Für Zukäufe oder Zusammenlegungen gibt es jetzt nicht mehr viele Optionen“, sagt Wagner.

Bliebe die Möglichkeit, das Handygeschäft abzustoßen, da es schwarze Zahlen schreibt. „Auch ein derart verkleinerter Konzern hätte seine Daseinsberechtigung“, sagt Wagner, „im Auto- und Industriegeschäft hat Infineon meist ordentlich Geld verdient.“ Peter Bauer will davon freilich nichts wissen. „Unser Geschäftsmodell ist valide“, sagt er. Und sieht sich eher auf der Seite der Aufkäufer: „Wenn sich ein Wettbewerber neu orientiert, wollen wir in der Lage sein, zuzuschlagen.“

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