Insolvenzen Karstadt: Wie Klaus Hubert Görg um seinen letzten Fall kämpft

Die Karstadt-Gläubiger haben dem Insolvenzplan zugestimmt. Damit steuert das größte Insolvenzverfahren der deutschen Wirtschaftsgeschichte auf das Finale zu. Eine Betriebsbesichtigung bei Karstadt-Insolvenzverwalter Klaus Hubert Görg.

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Karstadt-Insolventverwalter Klaus Hubert Görg Quelle: rtr

Der Mann, der Karstadt retten soll, war konsterniert, als er das Werk seiner Marketingabteilung in den Händen hielt: Fotos von Wassermelonen zierten den Hintergrund, ein dralles Dekolleté den Vordergrund, daneben pappte der Spruch: „Größe zählt!“

Pünktlich zum internationalen Frauentag am 8. März warb der neue Multimedia-Prospekt von Karstadt so für größere Spielkonsolen-Displays – und Klaus Hubert Görg, Insolvenzverwalter des Unternehmens, hatte plötzlich ein Problem mehr.

Kunden liefen Sturm, der Werberat rügte. Als eine Nürnberger Frauengruppe Karstadt dann auch noch für den Sexismus-Preis „Goldener Penis“ nominierte, reichte es Görg. Er nahm seine wichtigsten Leute beiseite, ließ ein Entschuldigungsschreiben aufsetzen und schärfte der Truppe ein, sich künftig in Dezenz zu üben.

Seither agiert Görgs Pleite-Mannschaft noch zurückhaltender als zuvor. Keine unbedachten Veröffentlichungen, keine Interviews, bloß keine weiteren Fehler. Es geht um zu viel.

Karstadt droht ein Schlußverkauf

Am 12. April soll die Gläubigerversammlung seinen Insolvenzplan absegnen. In den Tagen danach entscheidet sich die Zukunft des größten deutschen Warenhauskonzerns. Bis zum 30. April muss Görg einen Käufer finden, der Karstadt als Ganzes übernimmt. Andernfalls wird das 129 Jahre alte Traditionsunternehmen wohl vom Markt gefegt. Karstadt droht ein Schlussverkauf, wie ihn das Schwesterunternehmen Quelle bereits im vergangenen Sommer erlebt hat.

Es steht viel auf dem Spiel: Görgs Warenhaus-Finale platzt mitten in den nordrhein-westfälischen Landtagswahlkampf. Jeder Fünfte der insgesamt 26 000 Karstadt-Mitarbeiter arbeitet in NRW, allein 1800 in der Hauptverwaltung in Essen. Ein Ende wie bei Quelle – und das eine Woche vor der Wahl – wäre ein Horrorszenario für Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) und seine sozialdemokratische Herausforderin Hannelore Kraft.

Für Görg selbst geht es auch um seinen Ruf. Gelingt der Verkauf, wird er als Retter von Karstadt und als Manager einer der spektakulärsten Insolvenzen des Jahrzehnts in die deutsche Wirtschaftsgeschichte eingehen.

Scheitert der 69-Jährige hingegen, wird er sich nicht nur einer Diskussion um seine Millionenhonorare stellen müssen. Görg würde ein Gutteil seines beruflichen Renommees verlieren – auch zum Nachteil der Kölner Großkanzlei, die seinen Namen trägt.

Der Auftakt am Montag ist noch das leichteste Manöver. Wenn um zehn Uhr die Gläubigerversammlung in der Kantine der Karstadt-Hauptverwaltung beginnt, sind die Details des 89 Seiten starken Insolvenzplans längst festgezurrt.

Interessengruppen machen millioneschwere Zugeständnisse

Die Warenhausvermieter, die Vertreter der Beschäftigten und der Karstadt-Pensionskasse haben bereits ihre Zustimmung zum Insolvenzplan signalisiert und sich zu millionenschweren Zugeständnissen verpflichtet.

Die wichtigen Entscheidungen fielen im sogenannten Rittersaal, der Kommandozentrale in der dritten Etage der Hauptverwaltung in Essen-Bredeney. In dem Raum tagte früher der Arcandor-Aufsichtsrat. Inzwischen klebt draußen ein Zettel: „Reserviert für Dr. Görg“.

Drinnen, hinter metallbeschlagenen, 15 Zentimeter dicken Türen, herrscht Schulungsraumtristesse. Vorn ist ein Flipchart aufgebaut, in der Mitte ein Projektor, drum herum stehen Tische samt Versorgungsbatterien mit Saft- und Wasserfläschchen – das typische Seminargedeck. Allein eine großformatige Abstraktion mit leuchtend blauen und gelben Tupfern zieht die Blicke auf sich. 500.000 bis 800.000 Euro dürfte die Farbwolke des Malers Ernst Wilhelm Nay zur Insolvenzmasse beitragen – ein Sachverständiger hat den Wert des Bildes geschätzt.

13 Karstadt-Filialen mussten im Rahmen der Insolvent bereits schließen Quelle: dpa

Seit Görg das Kommando übernommen hat, tagen die Abgesandten der wichtigsten Gläubigergruppen alle paar Wochen im Rittersaal, um sich vom Insolvenzverwalter und seinen Leuten auf den aktuellen Stand bringen zu lassen. Mit dabei sind rund 20 Leute, darunter der Chef der Essener Arbeitsagentur Luidger Wolterhoff und der Düsseldorfer Rechtsanwalt Frank Kebekus, selbst Insolvenzverwalter und Vertreter des Immobilienkonsortiums Highstreet. Görg trägt „in seiner nüchternen Art“ die Fakten vor, anschließend stellt die Runde Fragen, erzählt ein Teilnehmer. Handfesten Streit gebe es so gut wie nie.

Kein Wunder. Anders als in anderen Verfahren sind die Interessen der Gläubiger ähnlich gelagert. Sie alle profitieren am meisten, wenn möglichst viele Karstadt-Filialen überleben. Für Görg war die Situation damit einerseits einfach. Für seine Grundidee, das Unternehmen fortzuführen, musste er nicht lange kämpfen.

Andererseits traf ihn der geballte Widerstand der Kerngläubiger, der Arbeitnehmer und Vermieter, sobald es um die Schließung einzelner Filialen ging. Görgs Einschnitte blieben denn auch übersichtlich. 13 Häuser wurden dichtgemacht, 900 Mitarbeiter in den Filialen und 125 in der Hauptverwaltung sollen bis September 2010 gehen. Zudem werden die Beschäftigten im Rahmen des Insolvenzplans auf rund 150 Millionen Euro verzichten. Die Immobilienbesitzer sind mit mehr als 200 Millionen Euro dabei.

Finanzinvestoren üben Kritik an Görg

Finanzinvestoren geht das nicht weit genug. Statt das Verfahren zu nutzen, um den Verwaltungsapparat zu schleifen und sich von allen unrentablen Häusern zu trennen, betreibe Görg „bestenfalls Stückwerk“, ätzt ein Private-Equity-Mann. Wie bei Quelle hätten Görg und sein Warenhaus-Beauftragter Rolf Weidmann die Chance vertan, zuerst mit möglichen Kaufkandidaten zu sprechen und dann das Unternehmen passgenau zurechtzuschneiden. Stattdessen gelte durch den Insolvenzplan nun ein Friss-oder-stirb-Prinzip.

Investoren können nicht für einzelne Karstadt-Häuser bieten, sondern nur alle 120 Filialen im Block kaufen und müssen diese mindestens bis Herbst 2011 betreiben. Daran sind die Zugeständnisse der Gläubiger geknüpft. Die Begeisterung über Görgs Vorgaben hält sich bei den Kaufinteressenten denn auch in Grenzen.

In der Gunst der Karstadt-Mitarbeiter ist der Insolvenzverwalter – anders als sein Team – im Laufe des Verfahrens dagegen gestiegen. Als „Grandseigneur“ gilt der knorrige ältere Herr inzwischen in Essen. Wird er auf den Fluren der Zentrale gesichtet, dann stets mit korrekt geknoteter Krawatte und Einstecktuch im dunklen Anzug. Er grüße allerorten, schaue auch mal kurz bei den Sekretärinnen ins Büro und reihe sich Mittags artig in die Kantinenschlange ein. An der Kasse verzichte er für seinen Eintopf auch noch auf den Mitarbeiterrabatt, heißt es leicht irritiert im Haus. Anfangs hatte man anderes erwartet.

Görg wirkt zu Beginn wie ein Statist

Am Morgen des 10. Juni 2009 fielen Görgs Leute in die Hauptverwaltung ein. Dutzende Anwälte und Kanzlei-Mitarbeiter bahnten sich ihren Weg in die dritte Etage, wo die Führungskräfte residieren. Manager mussten ihre Büros räumen, um Platz zu schaffen für die neuen Herren. Selbst das Diensthandy eines Mitarbeiters aus der zweiten Ebene sei kurzerhand konfisziert worden, weiß der Flurfunk zu berichten. Görg selbst quartierte sich in dem kleinen, aber küchen- und toilettenahen Büro des früheren Aufsichtsratschefs Friedrich Carl Janssen ein.

Tags zuvor hatte das Amtsgericht Essen das Insolvenzverfahren über das Krisenreich des Arcandor-Konzerns samt der Töchter Karstadt und Quelle eröffnet. Görg war zum vorläufigen Verwalter im größten Insolvenzkomplex der deutschen Wirtschaftsgeschichte bestellt worden – und doch wirkte er damals eher wie ein Statist.

Am Nachmittag des 9. Juni trat zuerst der damalige Konzernchef Karl-Gerhard Eick vor die Mikrofone. Anschließend sprach der Düsseldorfer Insolvenzexperte Horst Piepenburg, den Eick kurz zuvor zum Generalbevollmächtigten ernannt hatte. Nach einer halben Stunde durfte Görg ran und revanchierte sich mit der knatschigen Eröffnung, es sei heute schon sehr viel gesagt worden, „auch viel Richtiges“ – mit Betonung auf dem Wörtchen „auch“.

Zu jenem Zeitpunkt agierte Görg weniger als Insolvenzverwalter denn als gerichtlich bestellter Aufpasser für Eick und Piepenburg. Schon Wochen zuvor hatten sich die beiden in der Düsseldorfer Dependance der Unternehmensberatung Roland Berger getroffen, um dort im Geheimen ein Notfallkonzept für die Insolvenz auszuarbeiten.

Görg, Piepenburg, Eick: Der vorläufige Insolvenzverwalter wirkte anfangs eher wie ein Statist Quelle: dpa

Als die Berliner Politik Staatshilfen für den Konzern ablehnte, trat der Plan in Kraft: Eick und Piepenburg wollten die Sanierung unter gerichtlicher Obhut selbst organisieren. Eigenverwaltung nennt sich das Verfahren – und Görg gilt in der Branche als einer der Begründer des Modells. 1999 war er zwei Wochen lang im Vorstand des Baukonzerns Holzmann, um die erste große Insolvenz in Eigenverwaltung vorzubereiten. Dann entdeckte Bundeskanzler Gerhard Schröder das Thema: Holzmann bekam Aufschub.

Bei Arcandor war Görg indes skeptisch. Dass die Warenhaussparte und die Versandgruppe Primondo mit dem Flaggschiff Quelle im Konzernverbund und per Eigenverwaltung überleben würde, hielt er für unwahrscheinlich. Doch Görg arrangierte sich mit Piepenburg, der mit dem kühnen Spruch angetreten war, er übernehme keine aussichtslosen Mandate.

Gemeinsam sahen Mitarbeiter das Führungstrio bisweilen am Fenster stehen und rauchen. Eick paffte seine braunen Zigarillos, Görg und Piepenburg griffen zur Schachtel Lucky Strike. Alle Rauchverbote im Haus ignorierten die drei Herren souverän.

Quelle-Flop setzt Görg zu

Allein, der Raucherclub hielt sich nicht lange. Piepenburg quittierte den Dienst, als Arcandor-Großaktionär Sal. Oppenheim kein Geld mehr für die Sanierung geben wollte. Für Eick gab es keine Verwendung mehr, als das Konglomerat auseinanderbrach.

Wenig später scheiterte die Käufersuche für Quelle. „Das hat ihm heftig zugesetzt“, sagt einer, der bei den Verhandlungen dabei war. Der Schlag kam unerwartet. Bis zuletzt sei Jörg Nerlich, Görgs Mann für Quelle, davon ausgegangen, dass der Finanzinvestor Golden Gate den Kaufvertrag unterschreibe, heißt es in Görgs Kanzlei. Dort sieht man die Verantwortung für das Scheitern bei der Valovis-Bank, die das Factoring, also die Vorfinanzierung von Kundenforderungen, für Quelle übernommen hatte. Die Bank hatte die Verträge gekündigt.

Bei Karstadt sorgte derweil Thomas Fox für Ärger. Der Manager, der sich mit dem schönen Titel „Chief Restructuring Officer“ schmücken darf, gehört zum Team der von Görg beauftragten Berliner Sanierungstruppe Modalis und genießt bei vielen Mitarbeitern inzwischen so viel Sympathie wie sonst nur ältere Kunden, die ihren Großeinkauf mit abgezählten Cent-Münzen begleichen.

Mitarbeiterversammlung sorgt für Stimmung

Für Stimmung sorgte Fox bei einer Mitarbeiterversammlung: Es gebe drei Wege, in die sich insolvente Gesellschaften entwickeln, ließ Fox seine Zuhörer wissen: „Sie werden entweder adoptiert, geheiratet oder vergewaltigt.“ Auch sonst gilt Fox als Gegenstück zu Görg: ruppig im Umgang, lautstark im Auftritt. „Einer muss die Drecksarbeit ja machen“, kommentiert eine Karstadt-Mitarbeiterin. Mangelnde Handelserfahrung kann man Fox indes nicht vorwerfen. Nebenher betreibt er die kleine Ladenkette Fox-Shops. Das Geschäftsmodell: Wer Ware loswerden will, kann Regalfläche in den Geschäften mieten. Auf der Homepage des Unternehmens prangt ein Fuchs, garniert mit dem Slogan: „Aus allen Sachen Bares machen.“ Ein Motto, das auch die Karstadt-Aufgabe gut umreißt.

Den Verkaufsprozess steuert Fox’ Modalis-Kompagnon Josef Schultheis gemeinsam mit der Investmentbank Merrill Lynch.

Rund 30 Kandidaten hatten anfangs Interesse an Karstadt bekundet. Nach und nach reduzierte sich die Zahl auf sechs „namhafte Interessenten“, wie es offiziell heißt. Deren Wirtschaftsprüfer und Anwälte durchkämmen seit dem 15. Februar in einem eigens eingerichteten Online-Datenraum die Karstadt-Zahlen, besichtigen einzelne Filialen und sprechen mit dem Management. Zur Tarnung wurde jedem Investor ein Städtenamen zugeordnet. Auf Boston, Amsterdam, Paris, Seoul, Toronto und Budapest ruhen nun die Hoffnungen in Essen.

Die größten Karstadt-Gläubigergruppen (Klicken Sie auf die Grafik für eine erweiterte Ansicht)

Seit Wochen spekuliert die Branche, wer sich hinter den Decknamen verbirgt. Klar ist: Ein Handelskonzern ist nicht dabei. Stattdessen machen Namen von Finanzinvestoren wie die US-Beteiligungsgesellschaft Apollo die Runde. Zudem hätte sich die britische Investorengruppe Pamplona, hinter der die russische Alfa Group steht, informiert, heißt es in Finanzkreisen. Auch der frühere Karstadt-Manager Klaus Appelhoff wird regelmäßig ins Spiel gebracht, will sich selbst aber nicht äußern. Immerhin: Appelhoff steht seit einigen Monaten der Aktiengesellschaft KaPri Retail vor – ein Name, der sich auch ohne viel Fantasie als Akronym für Karstadt und die Versandsparte Primondo interpretieren lässt.

Befeuert werden die Verkaufsspekulationen zusätzlich von Meldungen, Investoren wie Apollo würden sich nicht nur für Karstadt interessieren, sondern auch für Anteile an dessen Erzrivalen Kaufhof.

Manager des Kaufhof-Mutterkonzerns Metro würden bereits „tastende Vorgespräche“ mit verschiedenen Private-Equity-Unternehmen führen, heißt es im Metro-Umfeld. Das Ziel: eine Allianz der Kaufhaus-Konkurrenten.

Vision der Warenhaus AG vor erheblichen Problemen

Eine Warenhausehe würde indes eher auf die Zerschlagung als die Rettung von Karstadt hinauslaufen. Denn ein Investor müsste nicht nur zahlreiche Doppelstandorte übernehmen, sondern auch zwei IT-Systeme, zwei Hauptverwaltungen und parallele Logistikstrukturen. Die Schließungskosten wären außerhalb der Insolvenz, in der Arbeits- und Mietverträge problemlos gekündigt werden können, immens. Das Kalkül wäre denn auch eher, den Verkaufsprozess für Karstadt als Ganzes platzen zu lassen, danach die rentabelsten Standorte einzusammeln und diese mit Kaufhof zusammenzulegen.

Zugleich stellt sich ohne die Vision einer gemeinsamen Warenhaus AG die Frage, wie ein Investor seinen Einsatz mit Karstadt allein jemals wieder herausholen will. Zahlreiche Filialen müssen dringend modernisiert werden. Den Investitionsbedarf taxieren Experten auf einen dreistelligen Millionenbetrag. Monat für Monat fallen allein Personalkosten von mehr als 50 Millionen Euro an.

Karstadt wirkt gesünder, als es eigentlich ist

Zwar wird Görg nicht müde zu betonen, dass Karstadt schwarze Zahlen schreibt. Dass sich die Liquiditätslage entspannt hat, ist aber vor allem dem Insolvenzrecht geschuldet. So zahlt die Bundesagentur für Arbeit den Beschäftigten insolventer Unternehmen drei Monate lang Insolvenzgeld. Allein dadurch sparte die Warenhauskette rund 186 Millionen Euro Lohnkosten und Sozialabgaben.

Zudem nutzte Görg die Möglichkeit, im vorläufigen Insolvenzverfahren die eingenommene Umsatzsteuer einzubehalten. Auch dadurch wirkt das Unternehmen finanziell gesünder, als es tatsächlich ist. Nebenbei sind staatliche Behörden zu den größten Karstadt-Gläubigern aufgestiegen. Auf knapp 700 Millionen Euro dürften sich ihre Forderungen summieren. Insgesamt geht Görg von rund zwei Milliarden Euro Verbindlichkeiten aus.

Läuft alles nach Plan, fließen zum ersten Rückzahlungstermin im Mai drei Prozent der Schuldsumme an die Gläubiger zurück. Doch selbst die geringe Quote steht unter dem Vorbehalt, dass ein Käufer Karstadt komplett übernimmt. Im Fall einer Zerschlagung sei nicht mehr als ein Prozent drin, geht aus einer internen Präsentation der Verwalter hervor. „Wir haben mit der Lupe nach der Substanz in diesem Unternehmen gesucht“, stöhnte Görg im vergangenen Jahr, „aber wir haben nichts Nennenswertes gefunden.“ Die Aufgabe, den Konzern zu retten, hatte er sich offenkundig leichter vorgestellt.

Eigentlich sei seine Lebensplanung bereits auf Rasenmähen ausgerichtet gewesen, kokettiert Görg gern. Keine Kleinigkeit bei einem 150 Hektar großen Gelände am Stadtrand Kölns. Die Handhabung einer Motorsäge sei ihm ebenfalls durchaus vertraut. Jedenfalls hatte er seiner Frau gerade versprochen, langsam in den Ruhestand zu gleiten, als der Arcandor-Fall kam.

Verkehrsspiegel zeigt das Logo Quelle: dpa/dpaweb

Bei einer Vorbesprechung zwischen den wichtigen Gläubigern und der zuständigen Richterin am Amtsgericht Essen fiel sein Name. Wenig später stellte sich der Veteran persönlich vor.

Bei der Kirch-Pleite war Görg dabei, auch beim Anlagenbauer Babcock Borsig und zuletzt als Treuhänder bei der Abwicklung des Imperiums von Adolf Merckle. „Ich bin einfach nicht weggelaufen, wenn sich eine Chance ergeben hat“, hat Görg einmal der Fachzeitschrift „Juve“ seinen Aufstieg erklärt.

Das war schon am Anfang seiner Karriere so. Die Juristerei sei ihm in die Wiege gelegt worden, erzählt Görg gern, sein Vater sei schließlich Professor für Staatsrecht gewesen. Görg studierte in Marburg, München und Köln Jura, trat der katholischen Studentenverbindung Rhenania Marburg bei und promovierte.

Nach dem Studium wollte er einer „aktiven Verwaltertätigkeit“ nachgehen. „Ich hatte die Vorstellung, dass ich da vielleicht mal irgendwo die städtische Müllabfuhr organisiere“, vertraute Görg der „Zeit“ an.

Es kam anders: Der Kölner Konkursanwalt Alois Matern stellte ihn ein und gab ihn wieder frei, als er 1975 von einem Richter mit dem ersten eigenen großen Verfahren betraut wurde: der Abwicklung der Pfalz-Kreditbank.

Als sich Mitte der Achtzigerjahre der Kölner Immobilienspekulant Günter Kaußen das Leben nahm, beauftragte der Kölner Konkursrichter Wilhelm Uhlenbruck Görg mit der Vermögenssuche. Der sei zwar „keiner, mit dem man mal schnell ein Glas Kölsch trinkt“, erinnert sich der betagte Richter heute, dafür aber „einer seiner fähigsten Verwalter“.

Auch ohne Kölsch lernte Görg bei dem Kaußen-Verfahren einen seiner später wichtigsten Vertrauten kennen: Hans-Gerd Jauch, ein examinierter Krankenpfleger, der in der Psychiatrie arbeitete und nebenbei Jura studierte, durfte Görg damals zuarbeiten. Mittlerweile ist Jauch Partner bei Görg und kümmert sich im Arcandor-Komplex um die Koordination der Verfahren und die Konzernholding.

"Görg weiß schnell, wo es hakt"

„Görg kann in einen Betrieb reingehen und weiß sehr schnell, wo es hakt“, sagt der pensionierte Richter Uhlenbruck und ist sich darin einig mit der Verwalter-Zunft. Als „souveränen, über den Dingen stehenden Insolvenzfachmann“ und „kühlen Rechner“ sieht ihn Verwalterlegende Jobst Wellensiek. Der Münchner Kollege Michael Pluta nennt ihn schlicht eine „große Anwaltspersönlichkeit“.

Kein Zweifel, das Amtsgericht Essen wollte bei dem Mammutverfahren eine Galionsfigur an Bord haben. Mindestens genauso wichtig dürfte die Kapazität seiner Kanzlei gewesen sein.

Eine Armada von rund 160 Rechtsanwälten segelt inzwischen unter der Flagge Görgs. Mit einem Jahresumsatz von rund 54 Millionen Euro zählt die Kanzlei mit Hauptsitz in einem Glaspalast in Köln zu den 20 größten deutschen Wirtschaftssozietäten.

Im Karstadt-Verfahren wirkt die Rechtsfabrik mitunter dennoch überfordert. Kleinere Gläubiger wundern sich über die teils „chaotische Abwicklung“. So wurden jüngst etwa 10 000 Euro Nutzungsentschädigung fällig, weil ein zur Schließung stehendes Karstadt-Sports-Haus in Essen nicht zum verabredeten Termin an den Vermieter übergeben wurde. Insider kritisieren, dass der Verkaufsprozess für die Warenhäuser viel zu spät begonnen habe.

Hat sich Görg also überschätzt? „Wenn ich mit dem Wissen von heute noch mal wählen könnte, würde ich Rasen mähen gehen“, bekannte er im Dezember. Karstadt, so viel scheint sicher, ist sein letzter großer Fall.

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