Insolvenzen Wie Insolvenzverwalter um lukrative Mandate kämpfen

An welche Insolvenzverwalter die Gerichte ihre Mandate vergeben, ist oft schwer durchschaubar. Wie die Kanzleien um lukrative Aufträge kämpfen.

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Insolvenzverwalter Michael Quelle: AP

Heinz Vallender sitzt in Zimmer 13 der 13. Etage des Kölner Amtsgerichts an einer Ausfallstraße in einem tristen Hochhaus aus den Siebzigerjahren. Ein quadratischer Raum, der Teppichboden in einer undefinierbaren Farbe; Drucke des Malers Piet Mondrian und zwei Läufer in kräftigem Rot bringen etwas Farbe in die bescheidene Stube des Leiters der Insolvenzabteilung. Etwa 600 Meter weiter südöstlich steht der postmoderne Glaspalast, in dem die Kanzlei Görg Anwälte residiert. Der Bau mit gewellten Außenflächen ist selbst ein Kunstobjekt. Die Anwälte dieser Kanzlei verwalten Pleitefälle wie den Autozulieferer Edscha oder den Maschinenbauer Okin.

Zwei Welten, die unterschiedlicher nicht sein können und doch auf das engste miteinander verwoben sind. Denn die etwa 180 Insolvenzgerichte in Deutschland entscheiden über Wohl und Wehe der Insolvenzverwalter, deren Büros oft mehrstellige Millionenbeträge im Jahr umsetzen. Die Gerichte vergeben die Mandate, überwachen die Insolvenzverwalter und entscheiden über das Ende der Insolvenz. „Gottvater könnte nicht mächtiger sein“, klagt ein Verwalter, der seinen Namen nicht in der Presse lesen will.

Mehr Transparanz bei der Wahl von Insolvenzverwaltern angemahnt

Zwar läuft die Zusammenarbeit meist legal und reibungslos ab. Trotzdem mahnen Insolvenzverwalter und Gläubiger immer wieder mehr Transparenz vor allem bei der Auswahl der Verwalter an. Bei etlichen Gerichten gibt es eine Grauzone durch die Bevorzugung einzelner Verwalter – teils aus Bequemlichkeit, teils wegen über Jahre gewachsener Beziehungen. Vom Kungeln auf dem Gerichtsflur oder am Tennisplatz bis zu Qualitätsnachweisen durch Ratings – die Verwalter setzen beim Kampf um die attraktivsten Mandate viele Mittel ein.

Denn der Konkurrenzkampf unter den Sequestern wird härter. Noch immer gibt es Gerichte wie Berlin-Charlottenburg oder Meppen, die in der Insolvenzverwalterszene als sogenannte closed shops gelten. „Da haben außenstehende Insolvenzverwalter wenig Chancen, hereinzukommen“, sagt Heinz Schmidt, Geschäftsführer des Kölner Branchendienstes InDat-Report, der ein Rating der closed shops veröffentlicht. Deshalb gründen die großen Kanzleien zunehmend Zweigstellen und lassen ihre Verwalter flächendeckend bei den Gerichten akkreditieren. Sie wollen bei der Vergabe der dicken Fälle nicht allein deshalb leer ausgehen, weil sie in dem fraglichen Bezirk nicht eingetragen sind.

Gleichzeitig lockt das lukrative Gewerbe immer mehr Anwälte an. Ein Mandat bis 25.000 Euro Insolvenzmasse bringt dem Verwalter immerhin 40 Prozent Honorar, der Mehrbetrag bis zu 50.000 Euro 25 Prozent. Danach nimmt die Vergütung weiter regressiv ab: Für Insolvenzmassen ab 50 Millionen Euro erhält der Verwalter noch 0,5 Prozent. Kein Wunder, dass beim Kampf um die Pfründe die Kollegialität manchmal auf der Strecke bleibt.

Im Extremfall werden die Grenzen überschritten. So wie im Falle eines Insolvenzrichters aus Mannheim, der wegen Bestechlichkeit zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Der Richter hatte seine Insolvenzverfahren einem Verwalter zugeschustert, der sich dafür mit Zuschüssen für den Kauf von Luxuskarossen sowie der Lieferung von Champagner revanchierte. Aufsehen erregte der Fall des Hamburger Insolvenzverwalters Hans-Jürgen Lutz, gegen den seit Mitte der Neunzigerjahre wegen Untreue ermittelt wurde. Dennoch bekam der Verwalter große Fälle zugesprochen. Als dem Anwalt der Boden in Deutschland zu heiß wurde, tauchte er nach Kanada ab und musste sich – mehr als ein Jahrzehnt nach den ersten Ermittlungen – wegen Veruntreuung verantworten.

Schiebereien wie in Mannheim oder Wegsehen der Gerichte wie im Fall Lutz bilden aber die Ausnahme. „Der Kreis der Verwalter ist zu überschaubar, als dass Unregelmäßigkeiten lange verborgen bleiben“, sagt der Kölner Insolvenzverwalter Andreas Ringstmeier. Dennoch sind sich alle Beteiligten darüber im Klaren, dass die Zuteilungsverfahren transparenter werden müssen. 2004 sah sich gar das Bundesverfassungsgericht durch die Klage eines Bielefelder Advokaten genötigt, geschlossene Verwalterlisten zu untersagen. Viele Gerichte führten bis dahin eine Liste der bei ihnen bestellten Verwalter. Wer auf der Liste nicht verzeichnet war, hatte keinen Zugang zu Mandaten. Höchst selten kam es zu Neuzugängen.

Deutschlands größten Insolvenzen und ihre Verwalter

Trotz des höchstrichterlichen Spruchs haben viele Gerichte die Listen ihrer zugelassenen Insolvenzverwalter nur minimal geöffnet. „De jure halten sich die Gerichte zwar an die Vorgaben“, sagt InDat-Report-Macher Schmidt. „Aber wir sehen keinen Anlass, unsere jährlichen Listen der closed und open shops aufzugeben.“ Es ist spät geworden an diesem Dienstagabend. Richter Vallender und die vier weiteren Insolvenzrichter des Kölner Amtsgerichtes haben stundenlang Bewerbergespräche mit Verwaltern geführt, die sich um die Zulassung am Insolvenzgericht in Köln beworben haben. „Unser Assessment-Center“, nennt Vallender die Prozedur, die er den Auswahlverfahren für Führungskräfte in der freien Wirtschaft angepasst hat. In seinem grauen Dreiteiler wirkt der schmalgesichtige Jurist, der sich als „preußischer Rheinländer“ bezeichnet, eher wie ein englischer Lord.

Über die Jahre hat sich der 58-Jährige den Ruf des Nestors unter den deutschen Insolvenzrichtern erworben – vergleichbar dem Heidelberger Jobst Wellensiek aufseiten der Verwalter. In seinem Beritt hat Vallender für größtmögliche Transparenz gesorgt. Die Richter besprechen gemeinsam Bewerber für Bewerber durch. Die Entscheidung wird begründet, Ablehnungen dem Bewerber vorgetragen, der diese auch vor Gericht anfechten kann. In den großen Gerichten haben Verwalter, die auf Beziehungsmarketing setzen, denn auch wenig Chancen. „Bei uns ist es verpönt, sich auf den Gerichtsfluren zu tummeln“, sagt der Kölner Insolvenzverwalter Andreas Ringstmeier, „und hier in Köln wie auch in vielen anderen Orten wäre ein solches Verhalten ein K.-o.-Kriterium.“

Bei produzierenden Unternehmen zählt jede Stunde

Arbeitsplatzverluste durch insolvente Unternehmen

Ein Problem kann Vallender mit seinem Auswahlverfahren jedoch nicht lösen: Wenn ein Unternehmen den Bach heruntergeht und die Anmeldung zur Insolvenz auf seinem Schreibtisch landet, muss er den Verwalter innerhalb kurzer Zeit auswählen. Vor allem bei produzierenden Unternehmen zählt jede Stunde. „Und ich kann an ein großes Unternehmen nicht einen Verwalter setzen, der bisher nur Handwerksbetriebe betreut hat“, sagt Vallender.

Legen die Richter ihren Ehrgeiz darin, als „open shops“ zu gelten, um sich nicht dem Vorwurf der Intransparenz auszusetzen, müssen sie viele kleine Verwalter in ihre Liste aufnehmen. Dabei bleibt die Übersicht und oft auch die insolvenzrechtliche Kompetenz der Sequester auf der Strecke. „Wenn die Liste zu lang wird, haben die einzelnen Verwalter kaum noch eine Chance, hinreichend Mandate zu bekommen“, sagt Thomas Wehr, Leiter des Hamburger Insolvenzgerichtes. Von den 180 Insolvenzgerichten seien 150 zu viel, heißt die Standardklage der Branche. In vielen Bundesländern erledigen Richter, die auch mit Zivil- oder Familiensachen befasst sind, das Insolvenzgeschäft nebenher. Gerade bei kleinen Gerichten suchen die Verwalter die Nähe der Richter. „Und vielfach haben die Richter weder Zeit noch die Kompetenz, die Kandidaten genau zu prüfen.“

Denn es gibt große Qualitätsunterschiede. Die oberste Liga bilden die Mitglieder des renommierten Gravenbrucher Kreises, ein Club von 23 Top-Verwaltern. Dazu gehören neben Wellensiek etwa der Düsseldorfer Großverwalter Horst Piepenburg oder der Verwalter des Chipbauers Qimonda, Michael Jaffé. In der untersten Klasse finden sich Verwalter, die nur ein kleines Verfahren pro Jahr abwickeln.

Um Licht ins Dunkel zu bringen, hat der ehemalige Insolvenzrichter Hans Haarmeyer, heute Professor für Wirtschaftsrecht am RheinAhrCampus-Remagen, ein Insolvenzverwalter-Rating namens Zertrate mit mehr als 40 Kriterien entworfen: von der Zahl der geretteten Arbeitsplätze über die Dauer der Verfahren bis zur Ausschüttungsquote für die Gläubiger. Das Instrument ist in der Branche umstritten. „Die Leistung eines Insolvenzverwalters ist äußerst komplex“, sagt Verwalter Ringstmeier, „hohe Standards sind richtig und wichtig, die Qualität lässt sich aber nur mit methodischen Einschränkungen messen.“

Immerhin haben sich schon knapp 140 Verwalter dem Test unterzogen, darunter Branchengrößen wie Michael Pluta aus Ulm oder die Kanzleien Klaas aus Krefeld und HWW aus Hamburg. Das Rating förderte erhebliche Unterschiede zu Tage: Die besten 53 Kanzleien erzielten eine Ausschüttungsquote von 14 Prozent, der Durchschnitt liegt bei vier Prozent. Und die Top-Verwalter konnten 65 Prozent der fortgeführten Betriebe sanieren, im Durchschnitt lag die Erfolgsquote bei 18 Prozent.

Das Rating ist ebenso wie der Richterspruch des Bundesverfassungsgerichtes ein Element zur Erneuerung der Konkursbranche. „Die Zeit des Mauschelns ist vorbei“, sagt ein Verwalter aus Bayern, „aber das ist das Beste, was uns passieren kann.“

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