Interne Papiere aufgetaucht Laissez-faire-Kultur bei Ernst & Young

Interne Papiere belasten die Wirtschaftsprüfung Ernst & Young schwer. Zählt die Effizienz für sie mehr als die Qualität der Kontrolle?

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Ernst & Young-Chef Müller: Fehlerlosigkeit durch Selbstverpflichtung nicht erreicht

Herbert Müller ist ein selbstbewusster Mann, und eigentlich hat er auch allen Grund dazu. Denn Anfang Dezember konnte der Deutschland-Chef der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young ein stolzes Ergebnis vermelden. Der Umsatz des Unternehmens war im abgelaufenen Geschäftsjahr um 13,5 Prozent erstmals auf mehr als eine Milliarde Euro gestiegen, rund 600 Hochschulabsolventen hatten neu bei ihm angefangen. Und obwohl die Finanzkrise das Übernahmegeschäft, an dem die Wirtschaftsprüfer gut verdient haben, schwieriger macht, soll es munter so weitergehen. „Aufgrund unseres starken Wachstums wollen wir im laufenden Geschäftsjahr 1500 neue Mitarbeiter einstellen“, kündigte Müller an.

Das Motto der Gesellschaft „Quality in everything we do“ scheint sich auszuzahlen. Doch so weit, wie der Slogan nahe legt, ist es mit der Qualität wohl nicht immer her gewesen. Für die Expansion ist Ernst & Young bereit gewesen, einiges zu riskieren. Den Schluss legen Aussagen hochrangiger Manager und vertrauliche Papiere nahe, die der WirtschaftsWoche vorliegen. Demzufolge ist im Kerngeschäft, der Bilanzprüfung, Effizienz das oberste Gebot. Einige Partner haben es darüber offensichtlich mit der Qualität nicht so genau genommen, und obwohl einige Mängel seit Jahren bekannt gewesen sind, ist die Gesellschaft anscheinend lange nicht wirklich entschlossen dagegen vorgegangen.

Im Protokoll einer Vorstandssitzung vom 13. Februar 2007 etwa ist die Rede von seit „Jahren unverändert schlechten Ergebnissen im Quality Review“, der internen Qualitätskontrolle der Prüfer. Außerdem erwähnt werden „hundertfache Verletzungen der persönlichen Independence“ – eine Zahl, die sich nach Aussagen von Ernst & Young auf die weltweiten Aktivitäten der Gesellschaft bezieht. Dabei geht es etwa um Fälle, in denen Prüfer Mitglieder im Aufsichtsrat eines Prüfmandanten sind oder Aktien von Unternehmen halten, bei denen Ernst & Young als Abschlussprüfer fungiert.

Kein wirksames Gegensteuern

Auch bei der „Erbringung von High Risk Services“ hat es demnach Probleme gegeben. Dazu zählen zum Beispiel die Abschlussprüfungen von Finanzinstituten, deutschen Tochterunternehmen von US-Konzernen nach den Vorschriften der amerikanischen Börsenaufsicht SEC oder von Mandanten mit riskantem Geschäftsmodell. Übernehmen dürfen diese komplexen und sensiblen Aufgaben nach den internen Richtlinien nur speziell qualifizierte Mitarbeiter. Zumindest einige Prüfer haben diese Vorgaben anscheinend ignoriert.

Diesen Befunden zum Trotz konnten sich die Manager von Ernst & Young jedoch, das geht aus dem Protokoll hervor, lange nicht dazu durchringen, wirksam gegenzusteuern. Selbst für gravierendes Fehlverhalten von Partnern gab es bis Mitte des vergangenen Jahres offenbar keinen Katalog festgelegter Sanktionen, Ermahnungen verpufften anscheinend ungehört. „Reines Überzeugen hat uns in unserer Laissez-faire-Kultur nicht weitergebracht“, heißt es in dem Protokoll. „Wir stehen dort, wo wir auch schon vor fünf Jahren gestanden haben.“

Das anscheinend laxe Vorgehen verwundert umso mehr, als Prüfer bei den Wirtschaftsskandalen der jüngeren Vergangenheit fast reflexartig stets mit unter Beschuss geraten sind – und das nicht nur bei den großen Bilanzskandalen um Enron und Worldcom in den USA. Ende 2007 etwa begann vor dem Landgericht Chemnitz ein Prozess gegen den Ernst & Young-Partner Klaus Haarmann, weil er Ende der Neunzigerjahre Bilanzmanipulationen beim mittlerweile insolventen Autozulieferer Sachsenring gedeckt haben soll, was Haarmann bestreitet. Bei der Pleite des Ettlinger Unternehmens Flowtex war den Prüfern von KPMG, einer anderen großen Gesellschaft, entgangen, dass nur ein Bruchteil der angeblich rund 3000 Bohrsysteme existierte.

Auch bei der von der Finanzkrise gebeutelten Sachsen LB kam die Frage auf, wie den Kontrolleuren von PricewaterhouseCoopers die riskanten Geschäfte des Provinzinstituts verborgen bleiben konnten, sodass es noch wenige Monate vor der Beinahepleite ein uneingeschränktes Testat erhielt. Der neue Siemens-Chef Peter Löscher hat kürzlich auf die Kritik am Abschlussprüfer KPMG reagiert und wird diesen künftig nicht mehr beschäftigen.

Ernst & Young-Chef Müller bestreitet denn auch, dass die Gesellschaft das Thema Qualität zu leicht genommen hat. „Wir haben uns weltweit in den vergangenen Jahren mit kaum einem anderen Thema so intensiv beschäftigt wie mit Qualität und Risikomanagement von Prüfungen“, sagt er – mit den Aussagen der Protokolle konfrontiert – der WirtschaftsWoche. Seit 2002 habe die Gesellschaft Spielregeln entwickelt, die „teilweise deutlich über das deutsche Berufsrecht hinausgehen und garantieren sollen, dass künftig nichts mehr passieren wird“. Neue Vorgaben der Gesetzgeber weltweit und die Größe der Organisation hätten diesen Prozess so komplex gemacht, dass er viele Jahre in Anspruch nahm. Zunächst habe die Gesellschaft dann auf eine Selbstverpflichtung der Partner gesetzt. „Da wir das Ziel einer Nulltoleranz gegenüber Fehlern so nicht erreicht haben, haben wir uns auf ein zusätzliches Instrumentarium verständigt“, sagt Müller. Der Weg in Richtung Nullfehlertoleranz ist offenbar lang und steinig.

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