Interview Interview: "Wie ein Igel mit Stacheln"

Kunstberater Helge Achenbach, 50, ist seit 1978 als Kunst- und Architektuberater tätig. Er beriet unter anderem IBM, die Victoria Versicherung und die Bayerische Hypotheken- und Wechsel-Bank (heute Hypo-Vereinsbank) beim Aufbau ihrer Sammlungen.

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Herr Achenbach, Sie fordern, Unternehmen sollten sich auf das Abenteuer Kunst einlassen. Glauben Sie wirklich, dass Unternehmen derzeit keine andere Sorgen haben? Natürlich habe ich Verständnis, dass etwa die Neugestaltung von Konferenzräumen verschoben wird, wenn gerade Sozialpläne verhandelt werden. Und wer will sich schon nachsagen lassen, sich statt um die Zukunft des Unternehmens vor allem um die Kunstsammlung gekümmert zu haben. Aber als Geldanlage hat sich die Investition in Kunst in der Vergangenheit für die meisten Unternehmen doch schon gelohnt. Einige Sammlungen, die vor 15 Jahren entstanden sind, haben heute ihren Wert verzwanzigfacht. Aber das ist natürlich nur ein Aspekt: Es geht um Kompromisslosigkeit, Risikobereitschaft, zukunftsweisende Denkanstöße. Mir sind nur wenige Vorstände begegnet, die sich dafür nicht begeistern ließen. Dennoch denken Konzerne wie die DZ Bank oder DaimlerChrysler darüber nach, sich von diesem Tafelsilber zu trennen und den Erlös ins Kerngeschäft zu stecken... Sicher nachvollziehbar. Aber so ein radikaler Schnitt macht allenfalls Sinn, wenn Kunst im Unternehmen nur eine dekorative Funktion hat. Aber Kunst im Unternehmen kann viel mehr bewirken. Was denn? Kunst muss aufrütteln. Ich spreche hier nicht vom Monet-Poster aus dem Kaufhaus. Ein gutes Kunstwerk ist wie ein Igel mit Stacheln, das Raum für sich beansprucht, zum Nachdenken und Widerspruch aufruft. Wird das von den Unternehmen gewollt? Zu selten. Oft soll Kunst Ausgleich schaffen, wo Architektur und Innenausstattung versagt haben. Das sind Erwartungen wie an einen Grünpflanzenlieferanten. Konsensfähig, bunt, preiswert soll es sein. Aber eine seelenlose Arbeitswelt lässt sich weder durch Gummibäume noch durch Farbkleckse kaschieren. Wer Kunst im Unternehmen auf diese Weise instrumentalisiert, handelt unökonomisch. Denn so bleibt eine Quelle für Impulse ungenutzt, die das Unternehmen weiterbringen könnte. Welche? Kunst ist ein integrativer Bestandteil der Arbeitswelt. Kunst ist ein Kommunikationsmittel. Ein ganz wichtiger weicher Faktor nach außen – im Verhältnis zu Kunden, Geschäftspartnern, der Öffentlichkeit. Das Bild im Foyer hilft dem Unternehmen, seine Werte und Ziele zu vermitteln. Wandschmuck gegen die Wirtschaftskrise? Kunst ist kein Allheilmittel, aber weit mehr als Dekoration und Kuschelfaktor. Ein künstliches Image durch Deckmäntelchen Kunst macht keinen Sinn. Kunst muss zum Standort, zum Unternehmen, seinen Produkten und den Mitarbeitern passen. Ein Rüstungskonzern kann noch so viele blaue Bilder mit Tauben ausstellen – das nimmt ihm keiner ab. Es muss ein Konzept entwickelt werden, das zum Unternehmen passt. Es geht um ein gesamtes kulturelles Engagement. Die Ausstrahlung von Kunst trägt zur Kultur des Unternehmens bei. Sie muss eingebettet sein in ein Klima, das ihrem Wesen entspricht. Dazu gehört auch ein Besuch im Theater – warum nicht statt der üblichen Betriebsfeiern ein Stück von Brecht anschauen? Oder das Theater ins Unternehmen holen? Das Ziel muss heißen: Möglichkeiten der Begegnung schaffen außerhalb des Arbeitsalltags. Was haben die Unternehmen davon? Es könnte der Vorwurf aufkommen, der Vorstand wirft unnütz Geld zum Fenster raus. Ich bin überzeugt, dass Unternehmen, die sich auf Kunst einlassen, generell mehr Kreativität zulassen. Und damit langfristig auch krisenresistenter sind. Nur wenn der einzelne schöpferisch ist, wenn er mitdenkt, bleibt das Ganze lebendig. Kunst regt zum Freidenken an. Jeder Mensch kann seine Kreativität zum Ausdruck bringen, das muss nur manchmal auf die richtige Spur gesetzt werden. Wenn ich vom Mitarbeiter über die Kunst dieses Mitdenken abfordere, wird er viel engagierter, reflektierter, wertvoller fürs Unternehmen. Diese Impulse sind sehr hilfreich, gerade in Krisenzeiten. Kunst trägt bei zu einer höheren Selbstständigkeit, Kreativität, Eigenverantwortung der Mitarbeiter. Wer nicht nur Lemminge in der Belegschaft will, sollte das fördern. Sie glauben, dass kulturelles Engagement das Image von Unternehmen positiv beeinflusst? Davon bin ich überzeugt. Nehmen Sie den Schraubenhersteller Würth. Der hat sein Museum, in dem er unter anderem Picasso ausstellt. Auch, weil er weiß, dass er guten Mitarbeitern und ihren Familien etwas bieten muss, um sie an den Standort Künzelsau zu bekommen. Auf jeden Fall besser, als Millionen ins Sportsponsoring zu stecken. Auch die Identifikation mit einem vom Arbeitgeber unterstützten Verein kann den Zusammenhalt im Unternehmen fördern... Da ist man abhängig vom Losglück, dem guten Händchen eines Trainers, dem Kreuzband eines Stürmers. In Kunst zu investieren, ist viel nachhaltiger für ein Unternehmen und seine Mitarbeiter. Im Moment sind aber nicht Visionen und Kreativität gefragt, sondern knallhartes Rechnen und Kürzen... Wer in Kunst und Kultur investiert, verschwendet kein Geld. Und um es mit Andy Warhol zu sagen: Gute Geschäfte zu machen ist die größte Kunst.

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