Interview mit Adidas-Chef Hainer Der Ball biegt dann links ab

Adidas-Chef Herbert Hainer über den Chip im Fußball, den KonkurrenzKampf im globalen Sportartikelmarkt und das Endspiel der Weltmeisterschaft 2006.

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Herr Hainer, dürfen wir ihn mal anfassen? Also, ich hoffe, Sie meinen jetzt den WM-Ball Ja sicher. Nein, das tut mir leid, den WM-Ball werden wir der Weltöffentlichkeit erst am 9. Dezember vorstellen, bei der Gala in Leipzig zur Gruppenauslosung der WM. Sie können uns aber schon mal verraten, wie er aussieht? Es wird Sie sicher völlig überraschen, aber auch dieser Ball wird rund sein. Wo haben Sie das gute Stück gerade untergebracht, doch wohl in einem Safe, bei der Geheimniskrämerei, die Sie betreiben? Also ehrlich gesagt: Der Ball ist nicht in einem Safe, weil wir permanent mit ihm arbeiten – der ist unterwegs zu Fotoshootings, wir müssen die Präsentation ja optimal vorbereiten. Nein, im Moment befindet sich der Ball in unserer World of Football, das ist dieser Containerbau, den ich von meinem Büro aus gut im Blick habe. Dort bereiten mehr als 100 Adidas-Mitarbeiter seit fast zwei Jahren unseren Auftritt bei der WM vor. Den WM-Ball habe ich kürzlich übrigens unserem Aufsichtsrat gezeigt. Und der hat erst mal eine Runde gekickt? Das nicht gerade, aber der Ball ging von Hand zu Hand, und jeder hat einen Kommentar abgeben. Natürlich ist der Aufsichtsrat nicht gerade die Zielgruppe für einen neuen WM-Ball, aber denen hat er sehr gut gefallen. Obwohl er wirklich anders aussieht: Er hat ein anderes Design und panel shape... ...ein was?

Bisher hatten Sie immer 32 Fünf- und Sechsecke, aus denen sich der Ball zusammensetzte. Das wird er nicht mehr haben – aber mehr darf ich Ihnen jetzt wirklich noch nicht verraten. Fliegt der Ball jetzt um die Ecke, oder was? Ja klar, der fliegt die ersten 80 Prozent geradeaus und biegt dann nach links oder rechts ab – Schmarrn. Natürlich wird dieser Ball noch präziser als andere Bälle fliegen. Wir haben das Material weiterentwickelt, der Ball wird komplett maschinell gefertigt, nicht mehr per Hand. Der Ball wird noch weicher, er ist noch besser zu behandeln. Das wollen ja die meisten Fußballer, vor allem die Lateinamerikaner. Die geben heute doch schon deutlich weniger Luftdruck auf den Ball als die Europäer, weil sie in der Regel technisch besser ausgebildet sind. Neben der größeren Fluggenauigkeit saugt der Ball kein Wasser auf, verändert also weder Gewicht noch Flugeigenschaften während eines Spiels – er ist gegen äußere Einflüsse komplett unempfindlich. Werden wir bei der WM erstmals den Chip im Ball erleben, der dem Schiedsrichter zeigt, ob der Ball vollständig hinter der Torlinie war? Das steht derzeit noch nicht fest. Getestet worden ist der Chipball bei der Weltmeisterschaft der unter 17-Jährigen in Peru, das war Erfolg versprechend, ein weiterer Test läuft bei der Fifa-Klub-WM jetzt im Dezember in Japan. Die Chancen, dass der Chip-Ball bei der WM gespielt wird, stehen bei mehr als 50 Prozent. Die endgültige Entscheidung wird der Weltfußballverband Fifa im März fällen. Brauchen wir dann in Zukunft beim Fußball keinen Schiedsrichter mehr? Das ist genau der Punkt – die letzte Entscheidung, und das sagt auch die Fifa, hat immer der Schiedsrichter. Der Chip im Ball sendet dem Schiedsrichter ein Signal, das ihm als Entscheidungshilfe dient, mehr nicht. Dieses Signal sieht außer ihm kein Mensch im Stadion. Theoretisch kann er dann immer noch frei entscheiden.

Und als Nächstes werden Spieler mit Chips im Trikot ausgestattet, die Pulsfrequenz und gelaufene Kilometer ermitteln? Das ist auf alle Fälle möglich. Wir haben heute schon im Laufbereich eine Kooperation mit Polar, einem Hersteller von Pulsgeräten. Wir weben die Herzfrequenzmesser ins Laufshirt ein, anstelle dieser unästhetischen Gummibänder, die man sich heute um den Oberkörper schnallt. Wir bauen außerdem den Chip in den Schuh ein, dann können Sie an Ihrer Uhr ablesen, wie schnell Sie laufen, welche Distanz Sie gelaufen sind. Sichert sich Adidas mit dem Chip im Fußball nicht ein Monopol – Sie sind derzeit der einzige Anbieter dieser Technik? Es werden in Zukunft ja nicht alle Bälle mit einem Chip ausgestattet. Schließlich brauchen Sie dafür die nötige Infrastruktur. Deshalb wird der Ball voraussichtlich erst einmal nur bei offiziellen Fifa-Turnieren eingesetzt. Ein kleiner, unterklassiger Verein kann dagegen schlecht zwölf Antennenmasten rund ums Feld aufstellen, nur um zu messen, ob der Ball hinter der Linie war, das wäre sicher übertrieben. Aber die Entwicklung geht weiter, und in den Profiligen weltweit wird der Ball Einzug halten. Während andere Ligen mit einem offiziellen Ball kicken, sind in der Bundesliga Bälle von zehn unterschiedlichen Herstellern im Einsatz. Kommt bald der Einheitsball für die Bundesliga? Es könnte sein, dass die Entscheidung für den Chipball auch die Entscheidung für den Ligaball fördert – wir würden uns sicherlich nicht dagegen wehren. Stellen Sie die Chiptechnik auch anderen Herstellern wie Nike oder Puma zur Verfügung? Wir sind nicht die einzigen Entwickler dieses Balles, dazu arbeiten wir mit dem Fraunhofer-Ins-titut und der Firma Cairos zusammen, und da reden wir natürlich auch darüber, wie wir sicherstellen können, dass diese Technologie weiterentwickelt wird. Schließlich könnten Sie eine solche Technik ja nicht nur in einen Fußball, sondern praktisch in jedes Spielgerät einbauen. Ich möchte nicht ausschließen, dass wir auch anderen Unternehmen den Zugang zu dieser Technik geben werden. Sicher ist: Die Chiptechnik wird kommen, da gibt es überhaupt keinen Zweifel. Die einzige Frage ist, ob sie schon 2006 eingesetzt wird oder nicht, ob also die Technik schon ausgereift genug ist. Und Sie wissen doch, wie oft im Fußball darüber gestritten wird, ob die Kugel nun im Kasten war oder nicht. Das Wembley-Tor von 1966 ist sicherlich das berühmteste Beispiel. Und Mythos hin oder her – ohne das Tor wäre Deutschland damals Weltmeister geworden. Das hat ja dann acht Jahre später geklappt, bei der WM im eigenen Land. Sie waren damals 20 Jahre alt. Welche Erinnerungen haben Sie an die WM 1974? Ich war bei einigen Spielen in München dabei, das war natürlich gigantisch... ...Stehplatz oder Sitzplatz? Damals natürlich auf dem Stehplatz. Ich hatte noch nicht das Privileg, auf der Ehrentribüne zu sitzen. Das war schon ein tolles Erlebnis, ich habe zu der Zeit noch selbst Fußball gespielt, mein Bruder war später Profi bei 1860 München, für uns war Fußball alles. Und heute? Heute erlebe ich die WM ganz anders. Ich bin zwar immer noch Fußballfan, aber natürlich ist die WM heute für mich vor allem ein geschäftliches Ereignis – das geschäftliche Ereignis schlechthin. Ich erlebe es viel bewusster, weil ich in den Vorbereitungen von Anfang an dabei bin – für unser Unternehmen, aber auch für das Organisationskomitee, weil wir ja die Bewerbung von Anfang an unterstützt haben.

Deutschland erwartet von der WM Wunderdinge, der Fußball soll das Land retten. Ist das nicht ein bisschen viel? Ich denke schon, dass man der WM zu viel aufbürdet. Natürlich hoffe ich, dass die WM in Deutschland endlich wieder positive Stimmung entfacht. Leider werde ich fast täglich eines Schlechteren belehrt: Letztendlich muss doch die Regierung die Rahmenbedingungen schaffen, dass es auch wirtschaftlich wieder aufwärts geht, dass kann der Fußball nicht allein stemmen. Wenn er das könnte, dann sollte Jürgen Klinsmann ab 9. Juni gleich Bundeskanzler werden. Adidas erhofft sich zusätzliche Fußballeinnahmen von 100 Millionen Euro. Andererseits zahlen Sie um die 45 Millionen Euro an die Fifa, um WM-Sponsor sein zu dürfen. Sie machen viel Werbung, sponsern einen Kinofilm, statten Balljungen und Schiedsrichter aus – rechnet sich der ganze Aufwand überhaupt? Die Rechnung funktioniert doch so nicht. Unser WM-Engagement dient natürlich zum Einen dazu, den Konsum von Fußballartikeln zu steigern. Zum Anderen soll sie im Hirn der Verbraucher festnageln: Adidas ist die Fußballmarke. Wir sind die Nummer eins, die Marke, die Fußball am besten versteht. Und wenn der Konsument im Februar 2007 in den Laden geht, um sich einen Fußballschuh zu kaufen, soll er zu Adidas greifen.

Gilt Image vor Umsatz? Nein, natürlich wollen wir Umsatz machen: Vom WM-Ball 2002 haben wir knapp sechs Millionen verkauft, vom EM-Ball 2004 über sechs Millionen – vom Deutschland-Ball wollen wir zehn Millionen Exemplare verkaufen. Insgesamt werden wir 2006 zum ersten Mal mehr als eine Milliarde Euro mit Fußballartikeln umsetzen. Und wenn sich dann kumulativ 44 Milliarden Menschen eine Fußball-WM angucken, und sie sehen permanent drei Streifen und Adidas, hat das einen anhaltenden Effekt. Allein in Japan haben wir zur WM 2002 fast 600 000 Nationaltrikots verkauft und unsere Umsätze um 30 Prozent gesteigert. Heute sind wir in Japan die Nummer eins. Ein Jahr nach der WM 1998 in Frankreich haben wir dort die Marktführerschaft übernommen und nicht mehr abgegeben. Aber was bringt das im wichtigsten Sportmarkt USA, wo Fußball nur eine Nebenrolle spielt? Fußball ist in den USA eine der beliebtesten Sportarten. Der Markt wächst permanent. Man hat allerdings in den USA versäumt, für die Highschool-Abgänger eine Infrastruktur mit Vereinen und Spielklassen zu schaffen, damit sie am Ball bleiben können. Aber wir arbeiten mit dem US-Fußballverband an diesem Thema. Welches Potenzial steckt im US-Fußballmarkt? Das ist schwer zu sagen, allerdings ist es heute schon so, dass wir in den USA Marktführer bei Fußballschuhen sind und dort weltweit mit Abstand die meisten Fußballschuhe verkaufen. Bereits vor vier Jahren haben wir dort zwei Millionen Paar Schuhe im Jahr verkauft, heute sind es schon fast drei Millionen. Die USA sind definitiv der größte Fußballmarkt der Welt, was auch an der großen Zahl von Immigranten aus lateinamerikanischen Ländern liegt. Und wir haben dort einen Marktanteil von 55 Prozent.

Wird Ihr 3,1 Milliarden-Euro-Einkauf Reebok in Zukunft als Fußballmarke eine Rolle spielen? Reebok spielt derzeit als Fußballmarke überhaupt keine Rolle – weder in den USA noch sonstwo. Nehmen Sie Reebok beim Fußball vom Feld? Nein, das glaube ich nicht. Aber ob Reebok in Zukunft mit den herkömmlichen Mitteln agiert – also weiterhin Vereine und Nationalmanschaften austattet – oder ob wir andere Möglichkeiten nutzen, Reebok als Fußballmarke zu fördern, das werden wir nach vollzogener Übernahme voraussichtlich im kommenden Frühjahr entscheiden. Was hilft Ihnen die Fußball-WM im Kampf gegen Nike? Fußball ist die größte Mannschaftssportart der Welt, insofern ist die Marktführerschaft hier natürlich sehr wichtig. Das hat Nike auch erkannt und pulvert seit 1994 Geld ohne Ende in diese Kategorie. Bei Adidas ist Fußball Herz und Seele des Unternehmens, wir sind damit groß geworden – denken Sie nur daran, wie die Deutschen mit den Schraubstollen von Adi Dassler 1954 Weltmeister wurden. Aber: Fußball ist auch nur eine Kategorie unter vielen, die wir beachten müssen, Fußball macht 15 bis 20 Prozent unseres Umsatzes aus. Hilft der Fußball Ihren Marktanteilen insgesamt auch auf die Sprünge? Sicherlich nur dann, wenn wir nicht gleichzeitig Marktanteile in anderen Kategorien verlieren. Also rücken Sie näher an Nike heran? Wir werden definitiv als Sieger aus der WM herausgehen, das sehen Sie ja schon ein halbes Jahr vor dem Anpfiff an unseren Auftragsbeständen. Wir wachsen schneller als Nike, nicht nur im Fußball. Noch vor zwei Jahren haben Sie nicht ausgeschlossen, dass Nike Sie beim Fußball überholen könnte. Was sagen Sie heute? Damals habe ich gesagt: Wenn man den Freizeitbereich hinzunimmt, mag das stimmen. Aber auch schon damals habe ich gesagt, was reine Performance-Schuhe, also Fußballschuhe für den Wettkampf betrifft, hat Nike keine Chance, an uns vorbeizukommen. Keine Frage: Nike hat das damals gut gemacht, über das Modell Total 90 den Fußballschuh zum Freizeit- und Modeartikel zu machen. Das waren schlicht Straßenschuhe mit einem Fußballdesign. Wir haben aber längst reagiert und mit dem Modell F50 einen Schuh auf den Markt gebracht, der ebenfalls als Modeartikel funktioniert. Natürlich hätte ich mir gewünscht, wir wären die Ersten und nicht die Zweiten gewesen.

Sie legen kommenden Februar nach – wie sieht Ihr neuestes Modell Tunit aus? Tja, genaues kann ich Ihnen da noch nicht sagen, aber es ist spektakulär, die Auftragseingänge schießen durch die Decke... ...den ziehen dann wohl Ihre neuen Stars an – Ihre etablierten Helden wie David Beckham oder Zinedine Zidane sind mittlerweile ganz schön in die Jahre gekommen. Wir haben auch viele jüngere Spieler unter Vertrag, wie Arjen Robben von Chelsea London, der beste Linksfuß, den ich kenne. Oder Frank Lampard, ebenfalls Chelsea, in Deutschland Schweinsteiger und Podolski. Nicht zu vergessen, den 23-jährigen Brasilianer Kaka vom AC Mailand. Der könnte zum Star der WM 2006 werden. Ihr Konkurrent Puma rüstet elf, und damit gut ein Drittel der WM-Teilnehmer aus, so viele wie nie zuvor. Wie viele werden Adidas tragen? Insgesamt sechs, darunter Mannschaften, die weit kommen können: Deutschland, Argentinien, Japan, Frankreich, Spanien sowie Trinidad und Tobago. Wir haben leider etwas Pech gehabt: Viele Adidas-Mannschaften wie Dänemark, Griechenland, Nigeria, China oder Südafrika haben sich nicht qualifiziert. Lag’s an der Ausrüstung? Bestimmt nicht. Die war perfekt. Nur Tore schießen müssen unsere Partner immer noch selbst. Wie lautet Ihr Tipp für das Endspiel? Deutschland gegen Argentinien. ...was jetzt ganz zufällig zwei Adidas-Mannschaften sind? Ich glaube an die deutsche Mannschaft. Sie hat schon während des Confederation Cups begeisternden Fußball gezeigt und die Spieler haben bewiesen, dass sie sich während eines Turniers steigern können. Herbert Hainer ist seit März 2001 Vorstandsvorsitzender von Adidas. Das Unternehmen aus Herzogenaurach ist nach Nike der größte Sportartikelkonzern der Welt und erzielte 2004 rund 6,5 Milliarden Euro Umsatz. Im Mai 2005 verkaufte Adidas seine Wintersportsparte Salomon. Drei Monate später kaufte der Konzern den Konkurrenten Reebok, um in den USA Boden gutzumachen.

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