Interview Warum Erfindungen nicht zum Erfolg werden

In Deutschland hapert es daran, Erfindungen in Markterfolg umzumünzen. Das glaubt zumindest Stephan Scholtissek, Deutschlandchef von Accenture. Im Interview mit dem Handelsblatt erklärt er, warum Innovation mühselig ist und weh tun muss, wenn sie erfolgreich sein will.

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Herr Scholtissek, der Volksmund sagt: "Not macht erfinderisch". Können wir nach der Krise mit vielen Innovationen rechnen?

Der Kostendruck in wirtschaftlich schlechten Zeiten zwingt dazu, alles infrage zu stellen und ausgetrampelte Pfade zu verlassen. Fakt ist: Jede Veränderung ist mühsam und unbequem. Solange alles gut läuft, werden solche Anstrengungen minimiert. Das liegt in der Natur des Menschen. In welche Sackgasse das führen kann, dafür sind die US-Autohersteller ein warnendes Beispiel. Sie pushten PS-strotzende Benzinfresser und entwickelten über Jahre nichts Neues. Erst jetzt, wo die Absatzzahlen wegbrechen, entdecken sie energiesparende Wagen und alternative Antriebssysteme. Viel zu spät.

Verfechten Sie das Prinzip der "schöpferischen Zerstörung"?

Wir brauchen mindestens alle zehn Jahre eine Krise. Das ist ein heilsamer Schock und gibt Innovationen einen Schub. Studien belegen, dass Firmen, die in der Rezession in Innovationen investiert haben, danach wirtschaftlich besser dastehen.

Wie sollen Unternehmen das stemmen, wenn ihnen finanziell das Wasser bis zum Hals steht?

Es gilt, die richtigen Prioritäten zu setzen, Unwichtiges sausen zu lassen. Die meisten Manager haben aus den Fehlern in der letzten Krise gelernt und lassen jetzt die Finger vom Forschungsbudget. Dafür setzen sie in anderen Abteilungen umso stärker den Rotstift an. Doch Vorsicht: Wer jetzt Marketing oder Vertrieb übermäßig ausdünnt, bringt sich letztlich um die Früchte seiner Forschung. Denn Innovation ist Erfindung plus Markterfolg. Was nutzt die beste Idee, wenn sie wirtschaftlich keine Durchschlagskraft hat?

Sie sind promovierter Biochemiker. Beim Medizintechnikhersteller Dräger haben Sie einen Formaldehyd-Sensor erfunden, der sich bis heute erfolgreich verkauft. Warum sind Sie nicht in der Forschung geblieben?

Mein Wunsch, Produktentwicklung und Markteinführung mitgestalten zu dürfen, blieb unerfüllt. "Gehen Sie zurück in Ihr Labor und entwickeln Sie etwas Neues", wurde ich beschieden. Ich wollte aber nicht im Elfenbeinturm forschen.

Und so wurden Sie Unternehmensberater...

Das Thema Innovation ließ mich nicht mehr los. Aus vielen Gesprächen hatte ich die ernüchternde Erkenntnis gewonnen: In keinem der großen deutschen Medizin-, Chemie- und Pharmaunternehmen gab es einen durchgängigen Prozess, um Erfindungen schnell und effizient in Innovationen umzusetzen.

Gehen die meisten Unternehmen Innovationen falsch an?

Deutsche engen Innovation viel zu stark auf Produkte ein. Doch es gibt ebenso gewinnbringende Neuerungen in Prozessen, Geschäftsmodellen, Marketing und Dienstleistungen. Fresenius Medical Care etwa hat dies erkannt und bietet ein komplettes Dialyseangebot für Krankenhäuser an - vom Dialysegerät über die Liege bis zum Fachpersonal. Viele Neuerungen hierzulande sind aber zu stark technikgetrieben.

Haben die Deutschen da einiges verschlafen?

Telefon, Video, Fax, Walkman, MP3-Player - deutsche Erfindungen, die ausländische Firmen in finanziellen Erfolg ummünzten. Das Fraunhofer Institut hat 2006 zwar 70 Mio. Euro Lizenzgebühren am MP3-Patent verdient, Apple hat mit dem iPod aber 1,7 Mrd. Euro Gewinn gemacht. "Land der Ideen" ist gut und schön, als "Land der Marktumsetzung" würden wir uns alle finanziell viel besser stellen: Unternehmen, Mitarbeiter und Staat. Dann hätten wir wahrscheinlich auch keine Arbeitslosigkeit mehr. Hier muss es ein Umdenken geben: Marke, Design, Lifestyle tragen genauso viel zum Ansehen bei wie Ingenieurskunst.

Warum gelingt dies nur wenigen?

Innovation ist nur ein Prozent Inspiration, aber 99 Prozent Transpiration. Innovation tut weh, kostet Zeit und Geld, und ist voller Risiken. Jede Firma braucht dafür eine Innovatorinstanz, einen ständigen Antreiber - wie Steve Jobs. Firmen müssen bis zum Markterfolg die besten Leute abstellen. Sie müssen innovative Köpfe halten, auch wenn sie mal ein Jahr nicht so erfolgreich waren. Kluge Manager schützen Querdenker und heben sie öffentlich aufs Schild.

Forschung hüten viele Firmen wie den Heiligen Gral. Zu Recht?

Wer Forschung und Entwicklung (F&E) alleine betreibt, ist dumm. Unternehmen müssen genau schauen: Wodurch unterscheide ich mich vom Wettbewerber? Alles andere sollten Konkurrenten zusammen entwickeln, das spart allen Zeit und Geld. Einige tun das schon, aber zu wenige.

Allen voran die Autobauer...

Der Konsumgüterkonzern Procter & Gamble geht noch einen Schritt weiter und hat begonnen, seine F&E weitgehend nach außen zu verlagern. Im Internet wird der Forschungsbedarf bekannt gegeben. Kreative Köpfe aus aller Welt können ihre Lösungsvorschläge einsenden. "Proudly found elsewhere" lautet das Motto. Damit tun sich traditionelle Firmen oft schwer.

Forschung outsourcen - geht das?

Die Quote erfolgreicher Innovationen von Procter & Gamble verdoppelte sich zwischen dem Jahr 2000 und 2006, während die Kosten deutlich sanken. Klar verrät der Konzern der Konkurrenz dadurch Betriebsgeheimnisse. Aber das nutzt ihr wenig, denn Procter ist viel schneller am Markt. Das Beispiel belegt erneut: Für Innovationen ist die Umsetzung viel viel bedeutender als die Idee.

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